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Zeit geändert werden, als das materielle Strafrecht. Für die Hauptstreitfrage – die erweiterte Zuziehung von Laienrichtern – hätte gerade die voraussetzliche Notwendigkeit, später ohnehin das Strafverfahren nochmals zu ändern, den Entschluß erleichtern müssen, es zunächst mit einer erweiterten Zuziehung von Laien in dem geringeren Maße, wie es vom Bundesrat zugestanden war – für die Strafkammern als 1. Instanz – zu versuchen.

Gleichzeitige Reform von Strafrecht und Strafprozeß.

Nachdem die Reform der StrPO. gescheitert war, haben allerdings die Bundesregierungen mit Recht den Entschluß gefaßt, nur zwei besonders dringende unter den vom Reichstag angenommenen Verbesserungen schon jetzt durch eigene Gesetze einzuführen, im übrigen aber eine Wiederaufnahme der Reform bis zum Abschluß der Strafrechtsreform zu verschieben. Es wird sich nunmehr empfehlen, beide Entwürfe durch die nämliche Kommission fertigstellen zu lassen und beide gleichzeitig dem Reichstag vorzulegen. Nicht das kann helfen, daß die Reform des Strafrechts vor der des Strafverfahrens, sondern daß beide zugleich erfolgen. Bei manchen strafrechtlichen Bestimmungen wird die Entscheidung über eine vorgeschlagene Änderung des Strafrechts ebenso von der Regelung des Strafverfahrens abhängen, wie umgekehrt die Änderung mancher Vorschrift des Verfahrens sich nur unter der Voraussetzung machen läßt, daß ein Paragraph des StrGB. eine bestimmte Fassung behält oder bekommt. So ist z. B. für die Frage, ob im StrGB., wie bisher, bei vielen Strafhandlungen besondere Ermäßigungen der Strafe von der ausdrücklichen Feststellung mildernder Umstände abhängig gemacht werden sollen, die Entscheidung über das Fortbestehen der Schwurgerichte in der jetzigen Art von maßgebender Bedeutung. Werden in der StrPO. die Schwurgerichte mit der jetzigen Trennung der Geschworenen von den Richtern beibehalten, so muß auch im StrGB. die Feststellung mildernder Umstände erhalten bleiben, da den Geschworenen nur so der bisherige allgemein gewünschte Einfluß auf die Bewilligung der Strafermäßigungen gegeben ist. Aus dem gleichen Grunde ließe sich auch die von Professor von Liszt „Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Bes. T. Bd. V, S. 68–70“ mit schwerwiegenden Ausführungen bekämpfte Unterscheidung des StrGB. zwischen Mord und vorsätzlicher Tötung nicht aufheben, solange nach der StrPO. die Schwurgerichte ihre gegenwärtige Form behalten.

Keine unnütze Arbeit.

Die vielfach bei dem Scheitern der Strafprozeßreform laut gewordene Äußerung, daß damit „eine große Arbeit unnütz vertan sei“, trifft nicht ganz zu. Die dem Reichstag vorgelegten, von ihm wenigstens in der Kommission durchberatenen Entwürfe einer neuen StrPO., einer Novelle zum GVG. und eines Einführungsgesetzes zu beiden bilden eine überaus wertvolle Grundlage für die demnächstige Wiederaufnahme der Reform. Und so darf sich auch die hier folgende Skizze der künftigen Reform, wie ich sie erhoffen möchte, an diese Entwürfe anlehnen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/327&oldid=- (Version vom 4.8.2020)