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Ihr im Volke Geltung zu verschaffen, war die politische Vorbedingung für Durchbringung des Flottengesetzes. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, wie schwierig es gewesen ist, auch vom militärisch-technischen Standpunkt aus die Grundlage für dieses Gesetz zu schaffen und die Gewähr dafür zu übernehmen, daß die Schiffe, die man bauen wollte, und ihre Besatzungen richtig für den Krieg vorbereitet werden würden und richtig geführt, wenn einmal die Stunde der Entscheidung kommen sollte. Am diese Schwierigkeiten zu erkennen, ist es unerläßlich, kurz zurückzuschauen auf die Entwicklung der Kriegsflotten in der Periode, die dem Regierungsantritt Wilhelms II. vorhergegangen ist.

Entwickelung der Kriegsflotte vor 1888.

Der Krimkrieg hatte die vernichtende Wirkung der Granatkanonen gegen die ungeschützten Schiffe alter Art gezeigt, zugleich aber in schwimmenden, gepanzerten Batterien, die gegen russische Küstenbefestigungen mit Erfolg fochten, ein Mittel geschaffen, um diesem Übelstande zu begegnen. Man begann, auch große seegehende Schiffe durch Panzerung zu schützen und es schien, als ob der Panzerfregatte mit der Artillerie als Einheitswaffe die Zukunft gehöre. Da brachte der amerikanische Sezessionskrieg weitere Neuerungen. Mine und Torpedoboot in ihrer primitivsten Form entstanden, neben das seegehende Panzerschiff trat der kleine Monitor, der in den Fluß- und Küstenkämpfen dieses Krieges gute Verwendung fand, zugleich aber in dem Rammsporn eine weitere neue Waffe brachte, der auch das mächtigste Panzerschiff damaliger Zeit nicht zu widerstehen vermochte. Dies wurde der staunenden Welt 1866 vor Augen gestellt, als in der Schlacht bei Lissa der Rammstoß des „Erzherzog Ferdinand Max“ das italienische Admiralschiff in wenigen Minuten auf den Grund des Meeres sinken ließ.

Eine gänzliche Änderung der bisherigen Anschauungen über den Schiffstyp und die Taktik des Seekampfes war die Folge. Die Dreiteilung der Waffen – Geschütz, Ramme und Torpedo – schien für jede von ihnen einen Spezialtyp zu fordern, der Einheitlichkeit der bisherigen Artillerietaktik mit ihrem Kampf in geschlossener Formation trat das Bedürfnis entgegen, die Ordnung zu lösen, sobald der Kampf beginne, damit die neuen Nahwaffen, Sporn und Torpedo, die Freiheit der Bewegung bekämen, die ihre Anwendung verlangte. Ihnen gegenüber erschien es aber als ein kostspieliges Experiment, weiter große, teuere Panzerschiffe zu bauen, die dem Rammschiff und dem Torpedoboot doch zum Opfer fallen müßten. Die Zeit der Spezialschiffe schien angebrochen, das Panzerschiff wollte man zum alten Eisen werfen, und das neue Bild des Seekrieges schien vollständig zu sein, als Frankreich, damals beinahe der einzige Gegner des seebeherrschenden Englands, den Bau von Panzerschiffen einstellte und behauptete, mit schnellen Panzerkreuzern den Seehandel des Feindes auf allen Meeren vernichten zu können, ohne daß die schwerfällige gepanzerte Schlachtflotte es zu hindern vermöge. Neben diesen Angriff sollte nur ein wirksamer Küstenschutz treten, der den Hafensperren aller Art, den Küstenwerken, Torpedobooten und kleinen gepanzerten Fahrzeugen übertragen werden könne.

Eine eigentliche Taktik des Flottenkampfes konnte in solcher Zeit nicht entstehen, und sie hat es damals auch nicht gegeben. Wie sollte aber das Schiff beschaffen sein, das dazu

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/400&oldid=- (Version vom 15.9.2022)