Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 1.pdf/440

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Unbefriedigende Gesamtentwickelung.

Wenn auch in den Schutzgebieten im einzelnen treu und tüchtig gearbeitet wurde, so war die Gesamtentwickelung in dieser Periode doch schleppend und unbefriedigend. Dies Gefühl machte sich draußen in Klagen über die Verwaltung, die man hier des Assessorismus, dort des Militarismus beschuldigte, Luft. Vor allem wurde beanstandet, daß die Beamten zu häufig wechselten und nicht genügend Interesse und Verständnis den wirtschaftlichen Fragen entgegenbrächten. Schlimmer als dies war aber wohl, daß das richtige Zusammenarbeiten zwischen der Zentrale in Berlin und den Schutzgebieten fehlte. Vom Chef der Kolonialverwaltung abwärts kannte fast niemand unsere überseeischen Besitzungen aus eigener Anschauung, geschweige denn, daß jemand in denselben selbst tätig gewesen war. Trotzdem war die Neigung, von Berlin aus zu regieren, groß. So kam es denn, daß oft in Berlin und im Schutzgebiet entgegengesetzte Anschauungen vertreten wurden. Da man nicht das Bestreben hatte, frisches Blut und praktische Kolonialerfahrung nach Berlin zu ziehen, so bildeten sich gewissermaßen zwei Kategorien von Beamten: heimische, welche die Kolonien nicht kannten, und draußen tätige, denen wiederum die Schwierigkeiten unbekannt waren, mit denen die heimische Behörde in und außer dem Parlament zu kämpfen hatte. Diese Verhältnisse erschwerten naturgemäß bei den wenigen, welche sich überhaupt noch für die Kolonien interessierten, die Einholung zuverlässiger Informationen über die wirtschaftlichen, namentlich die landwirtschaftlichen, Verhältnisse. Dies mußte die Entwickelung um so ungünstiger beeinflussen, als die Neigung zur Beteiligung an Unternehmungen, die auf eine Vermehrung der Produktion hinzielten, an sich schon sehr gering war.

Pessimismus. Verdienste der deutschen Kolonialgesellschaft.

In dieser Zeit der Interesselosigkeit und des Pessimismus hat sich unzweifelhaft die deutsche Kolonialgesellschaft und ihr Präsident Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg-Schwerin, der dem bewährten ersten Präsidenten Fürsten Hohenlohe-Langenburg gefolgt war, das große Verdienst erworben, das schlummernde Interesse immer wieder neu zu beleben und den kolonialen Weckruf erschallen zu lassen. Gar mancher aus den Kolonien heimkehrende Farmer und Pflanzer, aber auch mancher Offizier und Beamter, der durch den Gang unserer Kolonialpolitik schwer niedergedrückt war, wurde durch das Verständnis und Interesse, das er dort fand, wieder aufgerichtet und mit neuer Arbeitslust beseelt. Besonders stark ausgeprägt war in den Kreisen der Kolonialgesellschaft neben der Abneigung gegen die großen Konzessionen der Wunsch, die wirtschaftliche Erschließung mit allen Kräften zu fördern.

Gründung des Kolonialwirtschaftlichen Komitees.

So fand ein Industrieller, der Fabrikbesitzer Karl Supf, einen wohlvorbereiteten Boden, als er im Jahre 1896 die Anregung zur Gründung eines Kolonialwirtschaftlichen Komitees in Berlin gab, die alsbald mit dem ausgesprochenen Zweck vollzogen wurde, die wirtschaftliche Erschließung unserer Kolonien auf wissenschaftlicher Grundlage zu betreiben und so die heimische Volkswirtschaft durch die Kolonialwirtschaft

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/440&oldid=- (Version vom 12.12.2020)