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mit der Tientsin-Puchou-Eisenbahn Zugang zum Hoangho erhalten hat. Über sie laufen namentlich auch die Kohlenförderungen der demnächst mit der Eisenbahngesellschaft ganz zu verschmelzenden Schantung-Bergbaugesellschaft, die 1912 insgesamt bereits nahezu 3 Millionen Tonnen erreicht hatten. Hierdurch gelang es, den Schiffsverkehr – auch den fremdländischen – erheblich zu vermehren, den Handel des Hinterlandes immer mehr nach Tsingtau zu ziehen, aber auch einen Eigenhandel zu schaffen, so daß die Kolonie schon nach einigen Jahren einen guten und gleichmäßigen Aufschwung nahm, während für die deutsche Volkswirtschaft eine von Jahr zu Jahr zunehmende Anzahl wichtiger und gewerblicher Handelsbeziehungen entstand. Dem Unterrichtswesen wurde größte Fürsorge zugewandt und durch die Organisation desselben systematisch auf eine Annäherung europäischer und chinesischer Zivilisation hingearbeitet. Die Entwickelung, welche die deutsch-chinesische Hochschule nahm, die 350 Schüler zählt, ohne daß dem Verlangen um Zulassung wegen Raummangels genügt werden könnte, zeigt, daß es immer mehr gelingt, deutsche Bildung und deutsche Sprache in Ostasien zu verbreiten. Daneben ist aber auch für europäische Kinder durch Errichtung eines ständig an Schülerzahl zunehmenden Reform-Realgymnasiums bis Untersekunda und der Berechtigung zum Einjährig Freiwilligen-Dienst gesorgt.

Auch auf anderen Gebieten wurde eifrig gearbeitet. Erwähnt seien die Einführung des Strohbortenflechtbetriebes, die Förderung der Seidenraupenzucht, des Wege- und Straßenbaues, die nach einheitlichem Plane erfolgte Anlage und Ausdehnung der Stadt, die in der Landordnung zum Ausdruck gelangende planmäßige Bodenpolitik und die von Anfang an der Aufforstung von Ödländereien zugewandte Fürsorge der Regierung. Diese gesunde Grundlage, auf der die Entwickelung der Kolonie aufgebaut ist, dürfte wesentlich mitgewirkt haben, daß die schweren weltwirtschaftlichen und ostasiatischen Krisen der Jahre 1907/8 und 1910 nicht nur leichter und schneller überwunden wurden, als in den anderen großen Handelsplätzen des Ostens, sondern sogar dazu beitrugen, daß sich fremdländische Firmen in zunehmendem Maße im Schutzgebiete niederließen, und daß die Zuwanderung von Chinesen so wuchs, daß sie nach den neuesten Feststellungen auf etwa 12 000 Seelen in einem Jahre geschätzt wird. Dementsprechend ist der Gesamthandel in den letzten 10 Jahren von rund 20 auf 180 Millionen, die eigenen Einnahmen von 200 000 auf über 6 Mill. M. gestiegen, denen man allerdings entgegenstellen muß, daß der jährliche Reichszuschuß, einschließlich der Ausgaben für das ostasiatische Marinedetachement, der sich bis 1912 im ganzen auf 156½ Mill. M. beläuft, immer noch 9½ Millionen beträgt.

Rückblick und Ausblick.

Das bezahlte Lehrgeld nicht zu hoch.

Sicherlich kann man nicht mit ungeteilter Freude auf die letzten fünfundzwanzig Jahre kolonialer Entwickelung zurückblicken, die in den beiden ersten Jahrzehnten dieses Abschnitts viele Stockungen und Rückschläge aufzuweisen hat. Aber diese

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/463&oldid=- (Version vom 12.12.2020)