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Erhebung über Verhältnisse im Handwerk.

Von Bedeutung für die weiteren Regierungsmaßnahmen war das Ergebnis der 1895 vom Kaiserlichen Statistischen Amt veranstalteten „Erhebung über Verhältnisse im Handwerk“, die sich als eine Stichprobe auf etwa den 22. Teil der Einwohnerzahl des Deutschen Reiches erstreckte und 70 handwerksmäßige Gewerbearten umfaßte. Die vom Verein für Sozialpolitik vorgenommenen Untersuchungen über die Lage des deutschen Handwerks ergänzten das gewonnene Material. Es ergab sich, daß die Novelle von 1881 und ihre Ergänzungen in den 80er Jahren die an sie geknüpften Hoffnungen über die Wiederbelebung der Innungen nicht erfüllt hatten. Die Zahl der Innungsmitglieder war verhältnismäßig gering geblieben; im Jahre 1890 war vielleicht der vierte Teil aller Handwerksmeister in Innungen organisiert, in Leipzig z. B. standen von 845 Schuhmachern 611 außerhalb der Innung. Das Innungsleben selbst zeigte große Gleichgültigkeit der Mitglieder, und für die eigentlichen Zwecke der Innung geschah nur wenig. Von einer Breslauer Fleischerinnung wird berichtet, daß sie 50 Mark für Unterrichtszwecke, dagegen 3600 Mark als Gehälter für den Vorstand ausgeworfen hatte; von 314 Innungen in Schleswig-Holstein hatten 14 überhaupt keine Auslagen für Innungszwecke aufzuweisen. „Sämtliche Innungsmeister, der Obermeister an der Spitze,“ heißt es in einem Bericht, „sind darüber einig, daß der einzige Zweck der Innung heute noch der sei, einmal im Jahr zusammenzukommen und das aus den Beiträgen angesammelte Geld vergnügt zu vertrinken.“ Es mag ja vielfach die Mittellosigkeit der Innungen ihre Tätigkeit gelähmt haben; aber auch dort, wo genügend Mittel vorhanden waren, ist von einer regen Wirksamkeit wenig zu spüren.

Die statistische Erhebung ergab schätzungsweise eine Gesamtzahl von etwa 1 311 000 Handwerkern im ganzen Reiche, wovon etwa 728 700 allein arbeiteten und 582 300 Personal beschäftigten. In den Städten hat sich die Zahl der Meister relativ stark vermindert, dagegen die Zahl ihrer Gehilfen vermehrt. Auf dem Lande ist die Zahl der Handwerker erheblich gewachsen. Während die Meister mit Personal fast alle in den größeren Gemeinden wohnen, werden die Bedürfnisse des platten Landes und der kleineren Ortschaften an handwerksmäßigen Leistungen durchweg von Meistern, die allein oder ausnahmsweise mit geringem Personal arbeiten, und von den größeren Ortschaften aus befriedigt.

Berufs- und Gewerbestatistik.

Genauere Zahlenbilder bietet die Berufs- und Gewerbestatistik für das ganze Reich vom Jahre 1895. Vergleichen wir ihre Ergebnisse mit der vorherigen von 1882, so ergibt sich folgendes Bild: Bei 25 von 49 Handwerken, die ausgesprochen als Handwerk zu gelten haben, wurde eine Abnahme der Betriebe gegenüber 1882 festgestellt, und zwar um 267 919. Sie betraf in erster Linie die Alleinbetriebe, und zwar in den hausindustriellen Industriezweigen. Sehen wir von diesen ab, so bleibt noch eine Abnahme von 75 792 Betrieben, die sich auf 19 Handwerke verteilen. Dabei ist zu beachten, daß in den meisten dieser 19 Handwerke die Zahl der beschäftigten Personen zugenommen hat, also eine Vergrößerung und Kräftigung der einzelnen Betriebe eingetreten

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/341&oldid=- (Version vom 20.8.2021)