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geben, durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde der Schluß des Ladens schon auf abends 8 Uhr bis morgens 7 Uhr angesetzt werden kann. Tatsächlich ist heute in allen großen Städten der Achtuhrladenschluß Regel. Auf Grund der Befugnis der Behörden (§§ 139 g, 139 h), besondere Vorschriften zum Schutz der Gesundheit und Sittlichkeit zu erlassen, ist (28. 11. 00) vom Bundesrat vorgeschrieben, daß den Angestellten ausreichend Sitzgelegenheit geboten werden muß. Endlich sind die Bestimmungen betreffend den Erlaß einer Arbeitsordnung (bei mehr als 20 Gehilfen), betreffend Beschränkung der Lehrlingszüchterei (GO. § 128) und Fortbildungsschulzwang auch auf die Verkaufsstellen ausgedehnt.

Schutz der gerechten Durchführung des Arbeitsvertrages.

Durch die Arbeiterschutz-Novelle von 1891 sind eine Reihe von Bestimmungen in die Gewerbeordnung aufgenommen mit dem Zwecke, im Interesse der Arbeiter möglichst klare Arbeitsbedingungen zu sichern, der Willkür des Arbeitgebers in Festsetzung der Kündigungsfristen, der Strafen usw., der Beschränkung der persönlichen Freiheit (außerhalb des Betriebes) gewisse Schranken zu setzen und dem Arbeitgeber die Pflicht aufzulegen, die Wünsche der Arbeiter wenigstens zu hören.

Arbeitsordnung.

Für alle Betriebe mit mindestens 20 Arbeitern ist der Erlaß einer Arbeitsordnung vorgeschrieben, in welcher die wichtigsten Bedingungen des Arbeitsvertrages: Arbeitszeit und Pausen, Lohnzahlung, Kündigungsfristen, Art und Höhe der Strafen, Festsetzung, Einziehung, Verwendung usw. aufgenommen werden müssen (§ 134a ff.).

Vor Erlaß resp. Abänderung der Arbeitsordnung ist den großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Wo ein ständiger, von den großjährigen Arbeitern und Arbeiterinnen in geheimer Wahl gewählter Arbeiterausschuß besteht, genügt die Anhörung dieses Ausschusses. Die Arbeitsordnung muß ausgehängt und in Abschrift der unteren Verwaltungsbehörde mit den schriftlich oder zu Protokoll geäußerten Bedenken übergeben werden. Die Kündigungsfristen müssen für beide Teile gleich sein (§ 122). Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, sind verboten. Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen, nur in besonderen Fällen (Tätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten oder gegen die Ordnung im Betriebe) sind solche bis zum vollen Betrage zulässig. Die Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter verwendet werden. Name der Bestraften, Grund, Höhe und Tag der Bestrafung müssen in ein Verzeichnis eingetragen werden, das dem Gewerbeinspektor auf Verlangen vorzulegen ist. Vorschriften über das Verhalten großjähriger Arbeiter außerhalb des Betriebes dürfen in die Arbeitsordnung nicht aufgenommen werden; solche über das Verhalten minderjähriger nur mit Zustimmung des Arbeitsausschusses. Letztere Bedingung gilt auch für Aufnahme von Vorschriften für die Benutzung von Wohlfahrtseinrichtungen.

Arbeiter-Ausschüsse.

Eine wirksame „Anhörung“ der Arbeiter läßt sich nur in der Weise durchführen, daß ein von den Arbeitern in direkter und geheimer Wahl gewählter Ausschuß deren Anschauungen und Wünsche in geordneter Verhandlung mit dem Arbeitgeber vorbringt und nun beiderseitig eine Verständigung in gerechtem und billigem Ausgleiche der entgegenstehenden Interessen und Anschauungen mit Ernst und Wohlwollen erstrebt wird. Bei beiderseitig gutem Willen lassen sich so eine Summe von Streitigkeiten und Mißverständnissen begleichen. Tatsächlich ist das auch der einzige Weg, um den Arbeitgebern dauernd die Fühlung mit ihren Arbeitern zu sichern und sie vor peinlichen Überraschungen zu schützen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/405&oldid=- (Version vom 20.8.2021)