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Während 1896 die Zahl der physischen Zensiten mit ihren Angehörigen noch nicht drei Zehntel (29,3%) der Gesamtbevölkerung betrug, ist sie 1912 aus die Hälfte (51,4%) gestiegen. Bringt man auch die aus besonderen Gründen (wegen Kinderzahl usw.) Befreiten hinzu, so haben 1912 drei Fünftel der Gesamtbevölkerung ein Einkommen von mehr als 900 M.

Diese außerordentliche Steigerung der versteuerten Einkommen ist gewiß zu einem Teil auch auf die schärfere Einschätzung (namentlich seit 1907) zurückzuführen, aber dadurch wird das Bild doch nicht wesentlich geändert.

Der wachsende Volkswohlstand findet seinen Ausdruck in dem gesteigerten Konsum. Der Jahreskonsum pro Kopf der Bevölkerung Deutschlands hat sich in dem Zeitraum von 1879 bis 1910 vermehrt: bei Brotgetreide um 23,9, Kartoffeln 80, Fleisch (in Sachsen) 46,9, Zucker 185,5, Kaffee, Kakao, Tee um 44, Südfrüchte um 300, Salz um 66%. Noch mehr als bei diesen Nahrungsmitteln ist der Jahresverbrauch von Industriestoffen in die Höhe gegangen. Die Zunahme betrug bei Steinkohlen 120,5, Braunkohlen 227,7, Roheisen 203,8, Zink, Blei, Kupfer 225,9, Rohbaumwolle 100, Petroleum 71,8% („Westf. Bauer“ 1913.)

Der Arbeiterstand hat an dieser Steigerung des Wohlstandes kräftig teilgenommen. Leider fehlt uns eine irgendwie zuverlässige Lohnstatistik. Nur im Bergbau besteht eine solche. Da betrug der Jahresdurchschnittslohn unterirdisch beschäftigter Bergarbeiter (Hauer) nach Abzug aller Gefälle, Versicherungsbeiträge usw. im Steinkohlenbergbau des

Oberbergamts 1886 1907 1910 1911 1912
Dortmund 846 M. 1871 M. 1589 M. 1666 M. 1858 M.
Oberschlesien 536 M. 1130 M. 1068 M. 1094 M. 1196 M.
Saarbezirk 836 M. 1330 M. 1248 M. 1298 M. 1399 M.

Gewiß sind auch die Kosten der Lebenshaltung erheblich gestiegen, aber jedenfalls bleibt ein starker Überschuß. (Vgl. Zusammenstellung der Verkaufspreise der wichtigsten Lebensmittel bei der Kruppschen Konsumanstalt und der Arbeitslöhne der Kruppschen Gußstahlfabrik in Essen von 1872–1910 in der Denkschrift des Deutschen Landwirtschaftsrates über die Lebensmittelteuerung 1911.)

Trotz aller Lasten der Arbeiterversicherung, trotz der „bureaukratischen“ Schranken des Arbeiterschutzes[1] ist die freudige Initiative und Unternehmungslust unserer Arbeitgeber nicht erlahmt, sondern hat Wunder der Entwicklung vollbracht. Das gilt für die Industrie wie für die Landwirtschaft. Aber auch alle pessimistischen Ausblicke bezüglich der lähmenden Einwirkung der Sozialgesetzgebung auf den Sparsinn, die eigne Vorsorge und die Schaffenskraft der Arbeiter haben sich als falsch erwiesen.

Sparkassenstatistik.

Umgekehrt, die Sparkassenstatistik erweist, wie jetzt, nachdem der Arbeiter sich vor den schlimmsten Schicksalsschlägen geschützt weiß und nicht mehr auf die entehrende Armenpflege angewiesen ist, er einen Spargroschen um so mehr zu schätzen weiß, der ihm nun auch wirklich als Zuschuß in den Tagen der Not und des Alters zugute kommt, während er früher trotz aller Sparsamkeit nie sicher war, daß er nicht doch der Armenpflege anheimfiele und dann oft genug seine Ersparnisse nur der Armenkasse zugute kamen. In zehn Jahren, von 1900 bis 1910, ist die Zahl der Sparkassenbücher von 14,8 Millionen auf 21,5 Millionen und die Summe der Einlagen von 8838 auf 16 780 Millionen gestiegen.


  1. Vgl. Hitze, Zur Würdigung der deutschen Arbeiter-Sozialpolitik. Kritik der Bernhardschen Schrift: „Unerwünschte Folgen der Sozialpolitik.“ M. Gladbach, Volksvereinsverlag 1913.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/419&oldid=- (Version vom 20.8.2021)