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grundsätzlich ablehnte und auch auf die bloße Selbstkostendeckung aus Schiffahrtsabgaben immer mehr verzichtete. Für die letztere Maßregel waren zwei praktische Gründe bestimmend, die sich aus der unerwartet kräftigen Entwickelung des Eisenbahnwesens ergaben. Man sah das Schiffergewerbe durch den anscheinend übermächtigen Wettbewerb der Schienenstraße bedroht und wollte ihm durch den Erlaß oder die Ermäßigung der Schiffahrtsabgaben die Möglichkeit des Fortbestehens sichern; die Erhaltung des Schifferstandes war eine soziale Aufgabe. Außerdem wurde aber auch großer Wert darauf gelegt, die damals in der Hauptsache dem Privatkapital überlassenen Eisenbahnen durch Entlastung der Wasserstraßen unter dem Drucke einer wirksamen Konkurrenz zu halten.

Forderung von Schiffahrtsabgaben zur Selbstkostendeckung.

Beide Gründe verloren in dem Maße ihre Bedeutung, als man Ende der siebziger Jahre einerseits mit der Verstaatlichung der Privatbahnen, andererseits mit dem Ausbau der Wasserstraßen für größere Fahrzeuge vorging. Es erhob sich nunmehr von neuem die Forderung nach Schiffahrtsabgaben im Sinne einer gebührenmäßigen Selbstkostendeckung, eine Forderung, die insbesondere bei den Kreditgesetzen vom 12. März 1879 für den Ausbau der märkischen Wasserstraßen, vom 16. März 1886 für den Nordostseekanal, vom 9. Juli 1886 für den Dortmund-Ems- und Oder-Spreekanal, vom 5. April 1886 für die Regulierung der Unterweser und vom 6. Juni 1888 für die Verbesserung der Oder und Spree zum Ausdruck gekommen ist. Diese Forderung stützte sich zunächst auf einen rein wirtschaftlichen Gedankengang. Wenn es richtig ist, daß die Schiffahrt, d. h. die Güterbeförderung auf Wasserwegen, den immanenten, aus physischen oder technischen und wirtschaftlichen Momenten entspringenden Vorzug der geringeren Selbstkosten hat, wie das im ersten Abschnitt dieser Darstellung erörtert worden ist, dann muß die Schiffahrt auch zur Deckung der Kosten imstande sein, die auf die Herstellung oder Verbesserung ihrer Verkehrsstraßen verwendet sind. Zu den Selbstkosten einer Transportleistung gehören begrifflich nicht nur die eigentlichen Beförderungskosten, sondern auch die anteiligen Kosten des Beförderungsweges. – Dieser Gedankengang, der im Eisenbahnwesen stets für selbstverständlich gehalten worden ist, indem niemals daran gezweifelt wurde, daß die Frachten auch die Verzinsung und Tilgung der Herstellungskosten des Bahnkörpers nebst dem Aufwand für seine Unterhaltung zu decken hätten, führte in seiner Übertragung auf die Wasserstraßen zur Forderung von Schiffahrtsabgaben, die neben den an private Transportunternehmen fallenden Frachten an den Eigentümer des Schiffahrtsweges zu zahlen sind. Vom Standpunkt einer solchen, rein wirtschaftlichen Betrachtung fehlte es auch an einer sachlichen Begründung für die Unterscheidung zwischen künstlichen und natürlichen Wasserstraßen oder zwischen den verschiedenen Methoden der Verbesserung natürlicher Wasserstraßen für die Zwecke der Schiffahrt, sofern nur die Selbstkostendeckung durch Schiffahrtsabgaben überall auf diejenigen Aufwendungen beschränkt wird, welche wirklich im Schiffahrtsinteresse gemacht worden sind. Ebensowenig hat dann die Unterscheidung zwischen Häfen und Wasserstraßen eine Berechtigung, zumal

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 951. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/514&oldid=- (Version vom 20.8.2021)