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dadurch zu denkendem, pflichtbewußtem Arbeiten zu erziehen. In den Dienst der Fachkunde tritt auch der Zeichenunterricht, der den Schüler zum Verständnis von Werkzeichnungen und zur eigenen Anfertigung einfacher technischer Zeichnungen aus seinem Beruf zu führen hat. Auch der Rechenunterricht dient der beruflichen Ausbildung. Die Übung der bloßen Fertigkeit tritt ganz zurück. Die Schüler sollen lernen, die für das bürgerliche und berufliche Leben notwendigen Aufgaben aufzusuchen und zu lösen. Dazu gehört, daß die Schüler mit Münzen, Maßen und Gewichten genau vertraut werden, daß auch die Flächen- und Körperberechnung geübt wird, soweit sie für das Gewerbe in Betracht kommt, und daß allen Übungen Aufgaben und Verhältnisse zugrund gelegt werden, die der Praxis des gewerblichen Lebens entsprechen. Ergänzend treten Unterweisungen in der gewerblichen und der Haushaltungsbuchführung hinzu. Der beruflichen Ausbildung dient auch der Unterricht in der Geschäftskunde. Die Schüler werden angeleitet, die im geschäftlichen Leben an sie herantretenden schriftlichen Arbeiten sachgemäß zu erledigen, die üblichen Formulare mit Verständnis auszufüllen, der Verkehr mit Post und Eisenbahn, die Einrichtungen und Hilfsmittel des Geldverkehrs werden erläutert. Das Maß, in dem alle diese Gebiete in den Lehrplänen der einzelnen Schulen berücksichtigt sind, ist sehr verschieden, da natürlich an kleinen Schulen, in deren Klassen mehrere Berufe vereinigt sind, die eigentliche Fachkunde in geringerem Umfange berücksichtigt werden kann als in Einberufsklassen.

Aber die Schüler sind nicht bloß angehende Gewerbetreibende, sie sind auch werdende Staatsbürger. Sie werden nach wenigen Jahren berufen sein, als Wähler, als Beisitzer in Schiedsgerichten und Gewerbegerichten, als Mitglieder von Kassenvorständen und an anderen Stellen in den öffentlichen Dingen entscheidend mitzuwirken, und sie werden an der politischen Entwickelung unseres Landes das Maß von Verantwortung mitzutragen haben, das jedem Staatsbürger zufällt. Für diesen ihren staatsbürgerlichen Beruf hat die Fortbildungsschule die Jugend ebenso vorzubereiten wie für den gewerblichen. Als weiteres Lehrfach kommt daher hinzu die Bürgerkunde. Sie hat die Aufgabe, den Zusammenhang des einzelnen und seiner Berufsarbeit mit dem gemeinschaftlichen Leben in Familie, Schule und Werkstatt, in Gemeinde, Staat und Reich zum Bewußtsein zu bringen, das Werden und Wesen wichtiger Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu erklären, die Ehrfurcht vor der Verfassung und Rechtsordnung, die Liebe zu Heimat, Vaterland und Herrscher zu pflegen und Ziele für freudige Mitarbeit im Staate vor Augen zu stellen.

Die hier angeführten Stoffgebiete sind bei den gewerblichen Fortbildungsschulen der verschiedenen Bundesstaaten verschieden zusammengefaßt. Die preußischen Bestimmungen von 1911 unterscheiden die drei Lehrfächer Berufs- und Bürgerkunde, Rechnen und Buchführung und Zeichnen. Bei den süddeutschen Schulen ist die Gliederung vielfach eine weitergehende. Bei den größeren badischen Fortbildungsschulen (Gewerbeschulen) kommt als besonderes Fach die praktische Arbeit in eigenen Schulwerkstätten hinzu mit dem Ziele, einzelne Techniken zu üben, die der Lehrling in der Meisterlehre in der Regel nicht erlernt. In besonders bemerkenswerter Ausgestaltung findet sich der praktische Unterricht in den von dem Stadtschulrat Georg Kerschensteiner organisierten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/698&oldid=- (Version vom 20.8.2021)