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bedingt also gleichzeitig eine Erhöhung der Molekelzahl des Elektrolyten in der Lösung gegenüber der Zahl seiner Molekeln im ungelösten Zustande.

Die Arrheniussche Hypothese wirkte, wenngleich ihr Grundgedanke, allerdings nur andeutungsweise, von Clausius (1857) bereits ausgesprochen war, durch ihre revolutionäre Kühnheit auf die Chemiker zunächst überraschend, ja abstoßend. Aber ihre Leistungen, die geniale Art, wie ihr Urheber, obgleich er die Hypothese ursprünglich auf Beobachtungen elektrischer Leitfähigkeiten gegründet hatte, durch sie die verschiedensten bis dahin streng gesonderten Erscheinungsgebiete ungezwungen miteinander verknüpfte, so die Erscheinungen der Leitfähigkeit, des osmotischen Druckes, der spezifischen chemischen Reaktionsfähigkeit der Säuren und Basen, weiter dann die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe bis dahin unerklärliche Phänomene, wie die Unabhängigkeit der Neutralisationswärmen von der chemischen Natur der Reaktionsstoffe einleuchtend zu deuten, die glatte Aufklärung der Anomalien beim Kohlrauschschen Summationsgesetz der Leitfähigkeit usf., brachten der Hypothese in den ihrer Aufstellung folgenden Jahren allmählich uneingeschränkte Anerkennung.

Es liegt auf der Hand, daß ein gleichzeitiges Auftreten zweier so einschneidender neuer Theoreme der Forschung die weitgehendsten Aufgaben stellte. In der Tat läßt sich ein großer Teil der physikalisch-chemischen Arbeit des letzten Vierteljahrhunderts auf experimentelle Prüfung, Ausbau und Weiterentwicklung der in der Lehre vom osmotischen Druck und der Theorie der elektrolytischen Dissoziation ruhenden Gedanken zurückführen. Die weiteren Ausführungen werden dies dartun.

Molekulargewichte gelöster Stoffe.

Die auf Grund der Lehre vom osmotischen Druck erfolgte Übertragung der Avogadroschen Regel auf den gelösten Zustand eröffnete zunächst der Chemie die lang ersehnte Möglichkeit, die Molekulargewichte auch der zahlreichen Stoffe festzustellen, die sich nicht vergasen, wohl aber lösen lassen. Es genügten hierzu die Bestimmung des osmotischen Druckes einer Lösung oder bequemer der dem osmotischen Druck proportionalen Änderungen des Dampfdruckes, Gefrierpunktes oder Siedepunktes. Hauptsächlich durch die jahrelangen Bemühungen Beckmanns wurde der Wissenschaft das zunächst nötige Rüstzeug in Form einer zuverlässigen, unschwer zu handhabenden Apparatur zur Ausführung dieser Messungen zugeführt und nachdem weiter, durch Untersuchungen von Beckmann, Eykman u. a. der Einfluß der Natur der verschiedenen Lösungsmittel klargelegt war, konnten alle Zweige der Chemie von diesem neuen Mittel der Molekulargewichtsbestimmung zu ihren Zwecken in weitestem Umfange praktischen Gebrauch machen. Ebenso ermöglichten solche Bestimmungen, unter Umständen in Kombination mit Messungen anderer Eigenschaften, der physikalischen Chemie theoretisch bedeutsame, weitgehende Schlüsse über den Molekularzustand der Körper in Lösungen.

Erfolge der Dissoziationstheorie.

Entsprechend reich sind die Früchte der Arrheniusschen Theorie der elektrolytischen Dissoziation während des letzten Vierteljahrhunderts. Ihre Anschauungen und Ergebnisse

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/193&oldid=- (Version vom 20.8.2021)