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verbundenen Transplantation. Ähnlich wie auf rein entwicklungsmechanischem Gebiet hat die Experimentalzoologie hier ganz besonders wertvolle Ergebnisse zu verzeichnen. Von der Entwicklungsphysiologie unterscheidet sie sich hauptsächlich dadurch, daß ihre Objekte nicht in Entwicklung begriffene, sondern mehr oder weniger ausgebildete Tiere sind. Wie die Experimente auf entwicklungsphysiologischem Gebiet ließen auch die Regenerationsversuche an erwachsenen Tieren ein bei ihnen noch vorhandenes ungemein weitgehendes Umbildungsvermögen der Teile erkennen. Es stellte sich nicht nur heraus, daß außerordentlich kleine Teile des Körpers (bei Planarien und Polypen bis zu 1/100 oder sogar 1/200 seines Volumens) noch in der Lage sind, die verloren gegangenen Partien neu zu bilden und das ganze Tier wiederherzustellen, sondern daß selbst kleinste isolierte Teile und sogar einzelne Zellen sich wieder vereinigen und den ganzen Körper von neuem aufbauen können. Von größerem Interesse sind bisher durchaus nicht nur die Neubildungsvorgänge, sondern ganz besonders auch die Rückbildungs-, Einschmelzungs- und Umbildungsprozesse, die sich dabei im Körperinnern des regenerierenden Stückes abspielen. Das Studium der Regenerationsvorgänge hat sich für die Beurteilung vieler Fragen der allgemeinen Morphologie als außerordentlich fruchtbar erwiesen und ihnen trat hilfreich dasjenige der Transplantation zur Seite, welches mit jenem zusammen nicht nur zahlreiche auch für die Entwicklungsmechanik bedeutungsvolle Tatfachen zutage förderte, sondern auch praktisch wichtige, besonders für die Chirurgie sehr nützliche Ergebnisse zeitigte (man vgl. die zusammenfassenden Darstellungen von Th. Morgan: Regeneration 1900, E. Korschelt: Regeneration und Transplantation 1907, G. Schöne: Transplantation 1912).




Philosophische Spekulationen.

Die Frage nach den Ursachen der Entwicklungsvorgänge bringt es mit sich, daß dabei auch diejenige nach dem Zustandekommen der Lebensvorgänge im allgemeinen aufgeworfen und mancherlei Dinge behandelt werden, welche der direkten Beobachtung nicht zugänglich sind. Sowohl die Fragestellungen, wie auch ihre Beantwortungen sind in dem Bereich der Entwicklungsphysiologie zum Teil mehr allgemeiner und spekulativer Natur. Wie auf anderen Gebieten der Zoologie, zumal auf dem der Abstammungs- und Vererbungslehre, der Frage nach der Entstehung des Lebens, der Urzeugung usf., theoretische Spekulationen mehr oder weniger weitgehender Natur die durch die Beobachtung gefundenen Tatsachen in Verbindung zu bringen und der Forschung neue Bahnen zu eröffnen suchten, so haben sich derartige Bestrebungen begreiflicherweise von vornherein auch in der Entwicklungsphysiologie geltend gemacht. Wenn hier eine mehr mechanistische Erklärung im Wesen der ganzen Richtung zu liegen schien und sich in dem zuerst für sie gewählten Namen aussprach, so wandten sich doch einzelne ihrer namhaften Vertreter ganz anderen, mehr vitalistischen Erklärungsversuchen und damit rein philosophischen Spekulationen zu. Am deutlichsten kommt dies bei Driesch zum Ausdruck, der von experimentellen Studien an tierischen Objekten ausgehend, in seinen Publikationen allmählich immer mehr auf rein theoretisches Gebiet gelangte, um bei der jetzt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/222&oldid=- (Version vom 20.8.2021)