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sogar des Wortes. Soll derlei spielerisches Musizieren nicht zum Schaden werden, so muß es sich in einer höheren Einheit auflösen und vom Strom empfundener Melodie getragen werden. Dies geschieht aber hier nicht. Der Tonsatz schillert in allen Farben, spielt mit tausend Witzen, Aufmerksamkeit und Verstand werden fortwährend gefesselt, aber das Herz empfängt wenig Nahrung, und schließlich geht man mit einem wahren Hunger nach Gefühlstönen davon.

Dies Verhältnis bleibt auch in Straußens andern Opernwerken das Typische: ein Herantreten von außen an die Sache, ein vielfach sehr anziehendes Schildern und Ausmalen, die Entfaltung der stupendesten aufs feinste durchgebildeten Orchestertechnik und dabei der Mangel einer wirklich großen Erfindung, die ja doch immer nur im Melodischen wurzeln kann. Es ist möglich, daß Strauß sich der Art seiner Begabung ganz bewußt ist, und daß er sich gerade deshalb in den letzten Jahren fast ausschließlich der Oper zugewandt hat: da das innere Erlebnis in ihm nicht mehr stark genug ist, um reine Orchesterwerke zu schaffen, so hält er sich an Operndichtungen, an denen seine Phantasie sich emporranken kann, wie der Efeu am Gemäuer.

1905 folgte der „Feuersnot“ Oskar Wildes „Salome“, und zwar hatte Strauß das Stück, das doch als gesprochenes Drama gedacht und in seiner Wirkung genau berechnet war, und das in dieser Form auch einen feinen, kränklichen Reiz ausübte, unter Auslassung ganz weniger Stellen mit Haut und Haaren in Musik gesetzt. Das geht nun nicht gut an, denn was dem Lied recht ist, braucht dem Drama noch längst nicht billig zu sein, das Format entscheidet hier. Und in der Tat hat die szenische Wirkung der „Salome“ durch Straußens Musik nach meiner Meinung keine Erhöhung erfahren, sondern es ist ihr Abbruch geschehen.

Die Wahl gerade dieses Stoffes kann befremden, denn eine Dichtung, welche die perversen Lüste einer hysterischen Dirne schildert, wird unter den Kunstwerken eines großen Kulturvolkes niemals die Stellung einnehmen, wie eine, die uns etwa Hans Sachsens edle Gestalt vor Augen stellt oder Parsifals Erweckung aus Tumbheit zu wissenden Mitleid schildert. Strauß mußte sich sagen, daß seine „Salome“ zwar vielleicht einen großen augenblicklichen Erfolg haben, daß die Dauer ihrer Schätzung aber durch den Inhalt stark verkürzt werden würde. Dieser Erfolg ist denn auch nicht ausgeblieben. Das reichfarbige Gewand, das Strauß der Salome umgehängt hat, übt auf viele einen geradezu blendenden und berauschenden Einfluß aus, und das Stück ist denn auch in den überschwenglichsten Ausdrücken gepriesen worden. Mich hat das Werk zwar interessiert, wie alles, was Strauß schreibt, sonst aber ganz kühl gelassen; denn es widerstrebt mir aufs äußerste, daß die einzige Kunst, die uns das Gefühl in reinster Form darbietet, die einzige, die Gefühl überhaupt gestalten kann, dazu mißbraucht wird, im wesentlichen illustrativ zu wirken. Hierzu kommt, daß der Komponist da, wo er empfindungsmäßig wirken will oder Melodien singt, sich auf ein Niveau begibt, wo man ihn lieber nicht gesehen hätte.

Ernster, einheitlicher, geschlossener als die „Salome“ ist die „Elektra“ (1909), bei der Strauß dasselbe Verfahren, wie bei der Salome eingeschlagen hat, indem er Hugo von Hofmannsthals Paraphrase der Sophokleischen Tragödie ohne weiteres mit Musik überzog. Das Ganze macht durch den Willen zur Vertiefung einen weit sympathischeren

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/485&oldid=- (Version vom 20.8.2021)