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daß selbst die mit dem schärfsten Gehör Begabten den Unterhaltungen kaum zu folgen vermögen, ist sicherlich vom Übel; die Hauptreform dagegen: der natürliche, dem Leben abgelauschte Konversationston, die ungezwungene Manier, die auch den Vers nicht in abgehackten Metren, sondern gleichsam in Prosa aufgelöst verständlich vorträgt, ist im wesentlichen nur eine Erneuerung des alten Kampfes, den Goethe – auch als Schauspieldirektor Vertreter des Klassizismus mit Iffland und seinen Anhängern, den Reformatoren vor der Reformation – führte, und in dem er zu seiner Zeit zum Schaden der Schauspielkunst als Sieger beharrte.

Diese Umkehr in der Schauspielkunst war begleitet von einem Umschwung in der theatralischen Produktion.

Monologe.

Zu den wesentlichen Veränderungen dieses neuen Dramas gehört die Vernichtung des Beiseitesprechens des Monologs sowie der pathetischen Reden, die man mit Unrecht als Tiraden bezeichnet. Die beiden ersten Requisite können, wie man gezeigt hat, entbehrlich werden, und doch wird kein literarisch Gebildeter auf die Monologe Tells und Hamlets, der Iphigenie und Fausts verzichten wollen; nur Radikalen können sie als zweckwidrig erscheinen. Wenn der Naturalismus in seinem Bestreben, das Leben abzuspiegeln, Pathetisches verdammt, so kann er, sobald er eben nur das gewöhnliche Leben berücksichtigt, recht haben. – Ob aber lebhafte Menschen damit auskommen, ohne ihren Spott, ihre Erregung oder ihre Entrüstung durch hingeworfene Bemerkungen zu äußern, die für keinen Dritten bestimmt sind, und ob sie nicht das Bedürfnis fühlen, das im Stillen Erdachte gewissermaßen in Anreden an sich zu formen, ist sehr bestreitbar.

Vergangene Generation: Lindau, Heyse, Wilbrandt, Lubliner.

Zu den Dramatikern der vergangenen Generation waren in der Berichtsepoche besonders vier tätig: Paul Lindau, Paul Heyse, beide noch heute lebend und wirkend, Adolf Wilbrandt, gestorben 1910, Hugo Lubliner, gestorben 1912. Alle vier haben auch in dem letzten Vierteljahrhundert manches geschaffen; freilich nichts, was sich in anderen Geleisen, als den früher betretenen, bewegte, und kaum etwas, das ihren Ruhm zu erhöhen vermochte.

Der Letztgenannte, literarisch bekannter unter seinem angenommenen Namen Hugo Bürger, war lange ein Liebling des Publikums des Königlichen Schauspielhauses in Berlin und schon durch diesen Umstand allein bei den Modernen etwas anrüchig. Aber seine Dramen, unter anderen „Frauenadvokat“, „Die Frau ohne Geist“, „Die Modelle des Sheridan“, „Auf der Brautfahrt“, „Gold und Eisen“, „Der Jour fix“, gehen über den Tageserfolg hinaus. Sie sind amüsant, mitunter geistvoll und verdienen die Bezeichnung „modern“ zunächst in dem Sinne, daß sie sehr selten in die Vergangenheit schweifen, sondern das Gegenwartsleben, das Treiben der Geselligkeit, meist das der höheren Kreise darstellen. Darum sind sie gewissermaßen zeitgeschichtliche Dokumente, denn die von Lubliner gezeichneten Typen haben wirklich existiert. In dieser Gesellschaftsschilderung liegt seine Bedeutung mehr als in der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/495&oldid=- (Version vom 20.8.2021)