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und zu dem sie selbst die mächtige Leidenschaft zu besitzen wähnt, vermutlich nur für wenige Monate, bis die Ernüchterung dem Rausch gefolgt ist. Er hat keinen Respekt für historische Größe, und selbst Napoleon, der uns zwar nicht als Heros zu erscheinen braucht, der aber doch niemals ein Narr war, muß sich in „Josephine“ gefallen lassen, als unsinnig Verliebter, als Theaternarr, zu erscheinen. Am amüsantesten ist er, wenn er auf Wiener Boden bleibt und am wahrsten, wenn er seine Personen aus Künstler- und Theaterkreisen wählt, wobei die Vertrauten wohl leicht die Modelle erkennen, nach denen er gearbeitet hat. So versteht er es meisterlich im „Konzert“ den nervösen, hochbegabten, durch Frauenhuld verwöhnten Künstler zu kopieren, der, unter dem Vorgeben von Künstlerreisen Wanderungen ins Reich der freien Liebe unternimmt, der eine reizende, nur allzu nachsichtige Frau durch eine willige, an wirklichen Vorzügen neben seiner Gattin zurückstehende Nebenbuhlerin zu täuschen unternimmt und sich schließlich geduldig und scheinbar freudig ins Ehejoch zurückführen läßt, um sich gewiß bald genug wieder dagegen aufzubäumen.

Diese Wiener Dramatiker mußten uns hier beschäftigen, da von Heimatskunst von der genauen Fixierung und der plastischen Darstellung der Örtlichkeit die Rede war. Als drittes aber ist das zu erwähnen, was ich „Erdgeruch“ nannte.

Erdgeruch.

Was ich aber eigentlich unter „Erdgeruch“ verstehe, das ist das Symbolisieren der Erde als einer geheimnisvollen Macht, die dem Menschen seine Kraft verleiht. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Modernisierung der Sage vom Riesen Antäus, und doch liegt in so manchem Stück der Gedanke, daß der Mensch mit dem Boden fest verwachsen ist, aus dem er stammt, sich von ihm durchaus nicht trennen will, weil er durch den Verlust seiner Heimat sein eigentliches Wesen einbüßt.

K. Schönherr.

Als Beispiel solchen Anklammerns an den Erdboden diene Karl Schönherr. Karl Schönherr wurzelt fest auf der Erde, auf dem Boden seiner österreichischen Heimat. Das Gefühl für die Heimat wurde am echtesten in dem Drama „Glaube und Heimat“ ausgedrückt: die wegen ihres Glaubens Bedrängten wollen lange von ihrer Heimat nicht lassen, bis die Stärke des religiösen Gefühls die Anhänglichkeit an den angestammten Boden besiegt; wundervolle Charaktere alter und junger Protestanten, rauher Krieger, Schergen der öffentlichen Gewalt, innige Betätigung echtesten Familiengefühls machen dieses Drama zu einem ergreifenden Zeitbilde. Desselben Dichters „Erde. Eine Komödie des Lebens“ schildert die Bodenbeständigkeit eines unverwüstlichen Bauern Grutz, der, fast dem Tode nahe, sich wieder kräftigt, eine schreckliche Tyrannei gegen seinen fast 50jährigen Sohn Andres ausübt, der, so gern er auch heiraten möchte, Knecht bleiben muß und gezwungen ist, die Wirtschafterin Mena, obgleich er in innigsten Beziehungen zu ihr gelebt, zu einem alten Erdhofbauer ziehen zu lassen, der mit seinen drei Buben auf einem einsamen Hofe lebt. Das Bauernleben mit seiner Derbheit und Urwüchsigkeit wird hier geschildert, das leidenschaftliche Kleben des alternden Sohnes an der Scholle, die ihm lieb bleibt, wenn sie ihn auch zur Unterwürfigkeit und Unselbständigkeit verdammt.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/507&oldid=- (Version vom 20.8.2021)