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Wissenschaft große Dienste getan haben. Ich nenne vor allem die altfranzösische Grammatik von Schwan-Behrens, die fast alle zwei Jahre in vervollkommneter Gestalt erscheint und im Laufe der Zeit für Laut- und Formenlehre das grammatische Vademekum unserer Studierenden geworden ist. Auf syntaktischem Gebiete ragen bekanntlich weit über das gewöhnliche Niveau hinaus die „Vermischten Beiträge“ Toblers, die auf feinsinnige und geistvolle Weise oft auf den ersten Blick undurchsichtige Wortfügungen und Wortverbindungen zu deuten versuchen und ihre Entstehung erklären. Gerne möchte ich auf lexikographischem Gebiete Toblers altfranzösisches Lexikon, für das er jahrzehntelang emsig gesammelt hat, hinzufügen, bekanntlich ist aber dieses monumentale Werk nicht veröffentlicht worden. Der Zukunft bleibt vorbehalten, das von Tobler Gesammelte zu verwerten und dem romanistischen Publikum zugänglich zu machen. Einstweilen müssen wir uns – abgesehen von den in Frankreich erschienenen Arbeiten, auf die wir hier nicht eingehen, – mit den in den einzelnen Ausgaben erschienenen Glossarien begnügen, freilich nicht ohne oft mühsame und zeitraubende Arbeit. In unserm Zeitraum hat auf allgemein-romanischem Gebiete neben Diez’ altbewährtem Werk, Körtings Etymologisches Lexikon (seit 1891) trotz seiner vielen Mängel doch unleugbare Dienste getan. Es wäre undankbar, wenn man dies nicht freimütig anerkennen wollte. Fast jede Nummer unserer Zeitschriften bringt aber neue etymologische Versuche, sei es von Foerster, Horning, Behrens, Baist – um nur die hervorragenderen in Deutschland zu nennen – denn von Österreich und der Schweiz müssen wir immer absehen, also von Schuchhardt und Meyer-Lübke schweigen – welche das noch so sehr erforschungsbedürftige Gebiet der Etymologie aufzuhellen bestrebt sind. – Die Kenntnis der provenzalischen Sprache hat das den bescheidenen Titel eines bloßen Supplementwörterbuchs zu Raynouards Lexique Roman führende eminente Wörterbuch des Provenzalischen von Levy wesentlich gefördert.

Im Laufe der Jahre sind Einzeluntersuchungen onomasiologischer und semasiologischer Art immer zahlreicher geworden, auch die Onomotologie, die bereits Gröber in seinen Untersuchungen über Ausbreitung französischer Orte, die sich als germanische Gründungen zu erkennen geben, angebahnt hatte, ist emsig weiter getrieben worden. Der Zusammenhang zwischen Wort und Sache, der gerade in den letzten Jahren seine Bedeutung erkannt worden ist, verspricht für die Beziehungen zwischen Sprache und Kultur der romanischen Völker sehr fruchtbringend zu werden. Namentlich für die Dialektforschung, die auch von Deutschen in Italien, Frankreich und Graubünden getrieben worden ist, und noch jetzt ein Lieblingsgebiet deutscher gelehrter Arbeit geblieben ist, dürfte dieser neue Wissenszweig von großer Bedeutung werden. Nicht weniger die Sprachgeographie, die von Gilliérons Sprachatlas Frankreichs mächtig angeregt, in der Schweiz namentlich hervorragende Arbeiten gezeitigt hat, aber auch bei uns verspricht, die Kenntnis der Dialekte außerordentlich zu vertiefen, überhaupt die Entstehung der romanischen Sprachen, besonders auf lexikalischem Gebiete in vollstem Sinne verständlich zu machen und oft eine Umwälzung in den bisherigen Ansichten hervorruft, die man sich nicht erträumen konnte.

Immer besser versteht man es auch, syntaktische oder überhaupt sprachliche

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/75&oldid=- (Version vom 20.8.2021)