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in Florenz, wie früher Sokrates in Athen der alten Götterwelt, den Krieg ankündigte. Beide hatten Recht im Geiste der Zukunft und Unrecht dem Gegebenen gegenüber, und beide erlitten den Tod. Beide hatten darin ein ähnliches Schicksal mit Johannes dem Täufer, welcher, Buße predigend, dem Christenthum voraus und in den Tod ging.

Wir sehen hier

aus der florentinischen Schule

Leonardo’s da Vinci

Herodias mit dem Haupte Johannes.

Ein bleiches, grausam entschlossenes Weib trägt in der Schüssel den Kopf des Enthaupteten. Ihre Augen haben einen versteinernden Blick; ihre Pupillen sind in die linken Augenwinkel zurückgedrängt, so daß sie seitwärts herunterblickt, während sie ihr Gesicht rechtshin neigt. So steht sie vor uns in reichfaltigem, grünen Sammetgewande mit blutrothen Aufschlägen, unter welchen hervor feine Manschetten die Handgelenke umschließen. Man sieht es ihr an, daß sie etwas Entsetzliches vollbracht, daß sie den Propheten der Zukunft und ihrer eigenen Seele ermordet hat. Ihr Mund ist fein geschnitten, ein bitterer, harter Schmerz zuckt in der Linie zwischen den Lippen und sinkt in den Mundwinkeln herunter. Dieser Mund

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Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)