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die Fingerspitzen beider Hände nach höfischer Kirchenetiquette zierlich zum Gebete aneinander geneigt. Sie tritt kühn hervor, doch weichen ihre Augen ein wenig seitwärts, eines guten Empfanges bei ihrer Aufwartung nicht ganz gewiß.

Ihr Gemahl, Alphons I., Herzog von Ferrara, hat sich scheu hinter sie zurückgezogen. Er ist ein blonder, großköpfiger, gebildeter, aber schwacher Mann. Seine Linke hat er auf den Arm Lucrezia’s gelegt, als wolle er sie halten, oder als hätte sie ihm vorher zugeflüstert: halte dich nur an mich, ich will es schon abmachen!

Zwischen Lucrezia und der heiligen Gruppe blickt ihr kleiner Sohn, der seinem Vater unter dem Namen Hercules II. in der Regierung folgte, zum Jesusknaben wie fürbittend herüber. Auch er hat die Fingerspitzen nach der Kirchenetiquette zum Gebete aneinander geneigt; denn mit ineinander gefalteten Händen betet das gemeine Volk, welches keiner Indulgenz zum Sündigen bedarf.

Das Jesuskind hat vor der nahenden unheiligen Familie mit beiden Händen sein scheues Vögelchen auf die abgekehrte Schulter gerettet; mit dem höchsten Unwillen, welchen ein Kindergesicht ausdrücken kann, blickt es die Heuchler an.

Selbst Maria, die Immerfürbittende, hat ihre Augen hinweg und in das Buch gewendet, welches sie mit der Rechten hält und auf dem Schooße liegen

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Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)