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So erscheint in allen Gemälden der Venetianer, welchen Gegenstand sie auch behandeln, ihr eigenes, innerstes Leben. Häufig stellt es sich unter den Gestalten der Heiligen dar, welche dadurch von selbst zu Trägern der individuellsten Zustände der damaligen Zeit werden. Die Venetianischen Meister sind so zugleich auch die größten Portraitmaler. Am liebsten stellten sie das „dolce far niente“ auf ihren Villen und in ihren Gärten fern von der Stadt in der Madonna mit dem Kinde dar.

Eine solche Scene sehen wir hier:

die lesende Madonna.

Es ist eine reizende Idylle, in welcher ein junges Mütterchen mit ihrem holden Kinde vor einem grünen Vorhange sitzt. Johannes der Täufer hat, wie ein junger Dichter, mit hingebender Verbeugung ihr einen beschriebenen Papierstreifen überreicht. Sie liest darauf das schöne Sonnet, welches er auf die zarten Lippen ihres Erstgeborenen gedichtet hat. Fast schelmisch und verschämt steht zwischen beiden Katharine mit niedergeschlagenen Augen. Man wird nicht müde, die vier feingebildeten Gesichter anzusehen. Hat man einmal das Räthsel gelöst und im heiligen Maskencostüm die damaligen Venetianer entdeckt, so wird von selbst jedes Bild zur Novelle, an welcher zu spinnen die Phantasie nicht müde wird.

Eine gleiche Scene führt uns Palma vor in der

Empfohlene Zitierweise:
Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)