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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

welches ihm bedauerndes Mitleid zu erkennen gäbe. Oft, ja gewöhnlich machte Tieck am geeigneten Orte eine Pause, während welcher Thee und Backwerk herumgegeben und von den meisten Anwesenden sich angestrengt wurde, geistreich zu erscheinen. Dieses Haschen nach prägnanten Gedanken, nach genialen Schlagworten schien namentlich bei einigen Damen zum guten Ton dieser Gesellschaft zu gehören, war aber um so widerlicher, als es einen so geistvollen Mann, wie doch Tieck unzweifelhaft war, nöthigte, dieses traurige Gewäsch mit anzuhören. – Nach beendigter Vorlesung mußte Tieck regelmäßig fade Lobhudeleien hinnehmen, die mit obligaten Küssen auf seine Wangen oder Hände begleitet waren und ebenfalls zumeist von Damen ausgingen, welche die ersten Jugendthorheiten überwunden hatten. Fern sei es jedoch von mir, dieses vielleicht zu harte Urtheil über alle derartigen Abende im Tieck’schen Hause auszusprechen; es gab deren viele, die durch ernstes, würdiges Gespräch, wie durch die feinen Witzfunken, mit welchen der gefeierte Dichter die Unterhaltungen zu beleben wußte, die schönste und ungetrübteste Erinnerung in mir zurückgelassen haben.

Soll ich noch von Tieck’s Aeußerem sprechen? Auch ihn hatte die Gicht (ich glaube bereits seit 1806, wie er mir einmal sagte) den Körper gekrümmt und das Gehen erschwert; dagegen war sein Kopf einer der prächtigsten von allen – den Thorwaldsen’s vielleicht ausgenommen – die ich je gesehen habe. Auf dieser hohen Stirne thronten die reichen, geistvollen Gedanken; dies dunkle Auge, das mit ruhigem, würdevollem Ernste um sich schaute, verrieth das innere Feuer wahrer Begeisterung, wenn der Dichter beim Vorlesen an eine seiner Lieblingsstellen gelangte; Nase und Mund – Alles war schön und harmonisch an diesem Muster eines Kopfes! –

Auch Tieck hatte sich, wie sein Meister Göthe, in eine Welt des Edlen und Schönen zurückgezogen, aus welcher er sich nicht gern herausziehen ließ; hiervon nur ein Beispiel.

Eines Abends rief mich Julius Mosen aus dem Theater ab und theilte mir mit, daß ich ihm sogleich folgen müsse, um eine interessante Bekanntschaft zu machen. Unterwegs entnahmen wir aus einer Weinhandlung einige Flaschen edlen Rheinweins und so stieg ich denn, in gleicher Weise wie Mosen mit süßem Stoff beladen, aber ungewiß der Dinge, die da kommen sollten, die Treppen hinauf, die nach des Freundes bescheidenem Zimmer führten. Dort harrte unserer ein lieber Gast, Hoffmann von Fallersleben, der, eben von einer Reise durch Belgien und die Niederlande zurückgekehrt, einige Tage in Dresden verweilen wollte. Bis in die Nacht hinein saßen wir beim blinkenden Rebensaft im trauten Gespräch, das namentlich durch Hoffmann’s sprudelnden Witz und durch Mittheilung der Schätze, die er auf seiner Reise gesammelt (altdeutsche Volkslieder und Sagen), in lebendigen Fluthen auf und nieder wogte. Hoffmann ist ein deutscher, biederer Charakter, der das Herz immer auf der Zunge hat, anspruchslos und bescheiden, obschon er Tüchtiges, namentlich im Fache der altdeutschen Literatur, zu Tage gefördert, dabei ein Volksdichter in des Wortes edelster Bedeutung; er wollte gern Tieck persönlich kennen lernen und ich versprach sogleich, ihn an einem der nächsten Tage dort einzuführen. Da Tieck sich früher viel mit altdeutscher Literatur beschäftigt – er hatte ja selbst die „Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter,“ die „Genoveva,“ den „Kaiser Octavianus,“ „Ulrich’s von Lichtenstein Frauendienste,“ das „Altdeutsche Theater“ etc. herausgegeben – so glaubte ich, daß beide Männer, von gleichem Streben beseelt, die reichen Schätze unserer vaterländischen Literatur wieder zum Gemeingut des Volkes zu machen, bei persönlicher Bekanntschaft manchen Anknüpfungspunkt finden würden, der gegenseitig fördernd und anregend wirken könne. Nun war aber Hoffmann leider ein Tourist nach der alten Schule; er legte seine Reisen meist zu Fuß zurück, führte keinen pariser Hut bei sich und gab, wenigstens damals, nicht allzuviel auf seine Toilette; sein Haupthaar war während seiner jüngsten Tour etwas länger gewachsen, als es der Modeschnitt gut hieß und wallte frei über den Nacken bis an die Schultern. Ein Dichter – so wähnte ich – würde bei einem andern Dichter weniger auf diese Außenwerke sehen und nur die innern Werke würdigen. Getrost eilte ich daher mit Hoffmann in das Eckhaus am Altmarkt, in Tieck’s oftbeschriebene Wohnung. Nach den ersten formellen Begrüßungen lenkte sich das Gespräch natürlich schnell auf altdeutsche Dichtkunst und Hoffmann, offen und rücksichtslos wie immer, machte den Altmeister Tieck ohne große Entschuldigungen auf einige Schönheiten der alten Volkssage aufmerksam, die Tieck bei seiner Bearbeitung übersehen habe. Bald darauf ward das Gespräch abgebrochen und wir entfernten uns nach einem Aufenthalte von kaum zehn Minuten. Als ich einige Tage später wieder zu Tieck kam und die Unterhaltung auf Hoffmann von Fallersleben brachte, äußerte er unumwunden: „ich war froh, als er fort war; die ganze Erscheinung gemahnt mich an die Zeit der alten Studenten von 1816–18 und ist mir zuwider.“ Ich schwieg, nahm mir aber vor, mit derartigen Einführungen fortan etwas vorsichtiger zu sein.

Wir kamen bald darauf auseinander. Eines Abends, nachdem Tieck ein Lustspiel von Goldoni entzückend vorgelesen, wendete sich das Gespräch auf italische Literatur und ich staunte ein wenig über die Naivetät, mit welcher sich einige der anwesenden Damen über Boccaccio’s Decamerone äußerten. Um die Unterhaltung von diesem zarten Gegenstande abzulenken, frug ich Tieck nach seinem Urtheil über Alfieri, dessen Werke gerade um jene Zeit in Italien wieder große Theilnahme gefunden hatten. Tieck gab die kurze Antwort: „Alfieri ist Republikaner und mir ein Gräuel!“ – Dies wollte mir nicht genügen und so bat ich um Erläuterung, die vielleicht nicht ganz passenden Worte hinzufügend: „Nach meinem Dafürhalten kommt bei Beurtheilung eines Dichters dessen politische Gesinnung nicht ist Betracht, und ich würde in gleicher Weise entschieden entgegentreten, wenn Jemand die Behauptung aufstellte: Herr Hofrath Tieck ist kein Dichter, denn er ist Aristokrat!“ – Die übrige Gesellschaft schaute mit staunenden Blicken auf den kecken Opponenten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_447.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)