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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)


Gesundheits-Regeln.

Das Mittags-Schläfchen. (Wohlmeinender Rath an einen gewissen Professor.)

Nach dem Essen sollst Du stehen oder tausend Schritt weit gehen, sagt eine alte Gesundheitsregel. Aber wie vieles Alte, so ist auch diese Regel aus Großmutters Handkörbchen nicht viel werth und umzuändern in „nach dem Essen sollst Du ruhn oder auch ein Schläfchen thun.“ Um die Wahrheit und Vortheile dieser neuen Regel sofort in das hellste Licht zu setzen, brauchte ich nur an das Gebahren der Thiere nach dem Fressen zu erinnern, die, was die Verdauung anbetrifft, wirklich nicht unvernünftiger als die Menschen sind und recht wohl wissen, was dabei nutzt. In welcher behaglichen Lage verdaut aber nicht Hund und Katze, Ochs und Schwein, und nach dem Trinken schläft da nicht gleich der Säugling ein? Auch giebt uns die Natur selbst einen Fingerzeig, indem sie nach dem Essen eine bisweilen kaum zu bezwingende Neigung zum Ruhen und Schlafen in uns erwachen läßt. Total geschlagen werden nun aber die Bewegungs-Fanatiker und Obstructions-Spaziergänger, welche für die alte Regel schwärmen, wenn ich von den Versuchen erzähle, welche Gelehrte, die wahrscheinlich auch gerne ein Mittagsschläfchen machten, deshalb unternahmen. Sie fütterten nämlich gesunde Jagdhunde von derselben Constitution gleich gut und erlaubten nun einigen das gewöhnliche Schläfchen, andere mußten sich dagegen mäßig bewegen und noch andere wurden tüchtig abgehetzt. Was war das Resultat, als man nach einiger Zeit die Magen dieser Hunde untersuchte? Die da geschlafen, hatten schon prächtig verdaut als bei denen, die zur Bewegung gezwungen worden waren, die Verdauung noch im Beginne war. Will man noch überzeugendere Beweise für den Nutzen des Mittagsschläfchens? Vielleicht sind einige von denen noch nicht ganz überzeugt, welche durch den Mittagsschlaf dumm (dämlich) im Kopfe zu werden behaupten. aber das kommt da wohl nicht vom Schlafen her. Die Spanier und Italiener befinden sich bei ihrer Siesta äußerst wohl.

Obwohl ich jetzt schon diesen meinen Aufsatz schließen könnte, so will ich dem Leser trotzdem, daß ein späterer Aufsatz die Verdauung ausführlicher behandeln wird, doch noch einen Blick in einen Magen thun lassen, welcher der Verdauung obliegt.– So lange er nüchtern ist, hängt der dudelsackförmige und querliegende Magen (s. Gartenlaube Nr. 42. v. J.) im Bauche gerade herunter (wenn auch nicht bis auf die Schuhsohlen, wie man zu sagen pflegt); je mehr er sich aber mit Speisen füllt, desto mehr hebt und dreht sich derselbe nach vorn herum, so daß dadurch der Eintritt in die Magenhöhle erschwert und der untere Rand des Magens nach der vordern Bauchwand hin gekehrt wird. Daher kommt es denn auch, daß nach dem Essen die Magengegend aufschwillt und hier die Kleider zu enge werden. Die innere Haut des Magens füllt sich dabei in ihren Gefäßen mit einer größern Menge Blut, wird röther und sondert viel sauern Verdauungssaft, sowie Schleim ab. Dieser Magensaft dringt in die genossenen Nahrungsstoffe hinein und löst bestimmte Stoffe derselben (die Eiweißstoffe) auf, während der Schleim die Magenwand schlüpfrig macht und vor feindlichen Eingriffen zu schützen sucht. Während dieses Lösungsprocesses aber verhält sich der Mäzen ganz ruhig und erst wenn das Genossene in Speisebrei verwandelt worden ist, was nach der Verdaulichkeit der Nahrungsmittel in einigen (1–6) Stunden geschieht, fängt er an mit Hülfe seiner muskulösen Wand wurmförmige Bewegungen zu machen, um dadurch den Speisebrei aus seiner Höhle in den Darmkanal zu treiben. Ein Theil der flüssigen und der aufgelösten festen Nahrungsstoffe wird schon innerhalb des Magens von den Gefäßen aufgesogen und in das Blut geschafft. Die wurmförmigen (oder peristaltischen) Bewegungen können durch Bewegungen willkürlicher Muskeln unterstützt werden, weshalb auch Bewegung die Verdauung unterstützen kann, nur nicht gleich nach dem Essen, weil da der Magen Ruhe braucht.

Der Schlaf ist im gesunden Zustande ein vollkommnes Unthätigsein des Gehirns, also desjenigen Organs, durch welches wir Bewußtsein, Verstand, Gefühl und Willen besitzen und mit dessen Hülfe wir unsere Sinne gebrauchen, empfinden und Bewegungen nach unserm Willen ausführen können. Dieses Organ muß natürlich während des Wachens fortwährend in Thätigkeit sein und wird bei sogenannten Kopfarbeiten und starken gemüthlichen Eindrücken am meisten angestrengt. Es kann nun aber ein Organ seine Pflichten nur dann ordentlich erfüllen, wenn es für diejenigen Bestandtheile, die sich bei seinem Thätigsein abnutzten, durch das Blut neue zugeführt bekommt und sich durch diese gewissermaßen verjüngt. Diese Verjüngung ist jedoch blos bei der gehörigen Ruhe des Organs möglich und der Schlaf ist nun eben die Ruhe für das Gehirn, in welcher sich dieses verjüngt, von seinen Anstrengungen erholt, sowie für neues Thätigsein geschickt macht. Der Schlaf kommt also nur dem Gehirne zu und bietet demselben die nothwendige Erholung von seiner Thätigkeit dar. Diese Erholung durch den Schlaf ist aber um so nothwendiger, je mehr die Thätigkeit des Gehirns in Anspruch genommen wurde. Während des Schlafes geben die Funktionen aller der Organe, welche zur Ernährung des Körpers dienen, ruhig fort, denn diese brauchen nicht zu schlafen, weil ihr Thätigsein stets in Absätzen und nicht in ganz ununterbrochenem Gange, wie das des Gehirns beim Wachen, vor sich geht. – Das Träumen ist ein Thätigsein des Gehirns oder doch einzelner Partien desselben im Schlafe und muß also der Erholung dieses Organs stets etwas hinderlich sein.

Das Mittagsschläfchen bietet sonach einen doppelten Vortheil, einmal den einer bessern Verdauung, sodann den einer Erholung des Gehirns. Es wird deshalb ganz besonders solchen anzurathen sein, welche vor dem Essen geistig sehr thätig waren, gemüthlich angegriffen wurden, starke Sinneseindrücke erduldeten und anstrengende Muskelbewegungen vornahmen, sowie überhaupt solchen, die einen schwachen Körperbau haben und an Blutarmuth und sogen. Nervenschwäche (Nervosität) leiden. – Als heilsam kann nun aber das Mittagsschläfchen nur dann empfohlen werden, wenn es mit den gehörigen Einschränkungen geschlafen wird. Zuvörderst muß es ein Schläfchen bleiben und nicht in einen langen Schlaf ausarten; ein halbes bis ganzes Stündchen reicht vollständig dazu hin. Denn beim langen Schlafe wird die Verdauung gerade verzögert, weshalb es auch unzweckmäßig ist, kurz vor dem Nachtschlafen eine reichliche Mahlzeit zu halten. Sodann thut man auch gut, das Mittagsschläfchen mit etwas erhobenem Oberkörper (in einem sogen. Großvaterstuhle), nicht der Länge nach ausgestreckt, zu halten und, was vorzugsweise zu beachten ist, spirituöse Getränke, die beim Essen genossen wurden, vor dem Schläfchen erst etwas aus dem Körper verfliegen zu lassen. Es taugt gar nichts, sich mit einem Räuschchen schlafen zu legen. Ob man ein Täßchen Kaffee vor oder nach dem Mittagsschläfchen zu sich nehmen soll, erfährt der Leser ein anderes Mal.

(B.)  




Aus der Menschenheimath.

Briefe des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Neunzehnter Brief.
Die Insekten-Verwandlung.

Wenn man die Gleichgültigkeit wahrnimmt, mit welcher im gemeinen Leben die wunderbarsten Erscheinungen der Natur übersehen werden, weil sie allgewöhnliche sind, so fühlt man sich unwillkürlich an Lessing erinnert, indem er den Nathan sagen läßt: „Der Wunder größtes ist, daß uns die wahren, echten Wunder so alltäglich werden können, werden sollen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_065.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)