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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)


in den Ort, der nach langer geheimnißvoller Vorbereitung eine welthistorische Wichtigkeit bekommen soll, Sebastopol ist für Rußland, was Portsmouth für England, in der That das Herz für alle russischen Plätze auf dem Süden von Europa und Asien. Diese Plätze stützen sich auf das Testament Peter’s des Großen und auf die Kaiserin Katharina (seit 1780). Diese Pläne schufen Petersburg und verwandelten das elende Tartarennest Akhtier in – Sebastopol, das Gibraltar des schwarzen Meeres. Der jetzige Kaiser hat seit mehreren Jahrzehnten große Summen aufgewendet, um Sebastopol zu einem sichern Ankerplatz und einer Pflanzschule für seine neue Flotte zu erheben. Man wußte dies längst im Allgemeinen, ohne daß wir während eines vierzigjährigen Friedens besonders beachteten, was Rußland lange, langsam und sicher begründete und ausbildete. Die natürlichen Vortheile dieses Hafens für diese russischen Pläne sind sehr groß. Die Kunst hat, wie es allgemein heißt, alles Mögliche hinzugethan, so daß man annimmt, Sebastopol gehöre zu den ersten und festesten Festungen und Kriegs-Arsenalen der Welt.

Als Oliphant sich Sebastopol vom Meere aus ansah, kam er auf einen Punkt, wo 1200 Kanonen zugleich ihre Schlünde zeigten. Den verderbenschwangeren Eindruck, den diese Ansicht auf ihn machte, kann er nicht lebhaft genug schildern. Dagegen tadelt er die Kammern, in welchen die Kanonen stehen, als zu eng und ohne Ventilation, so daß die Soldaten darin, schon beim dritten Schusse im Pulverrauche unfehlbar ersticken müßten. Als von großer Wichtigkeit bezeichnet er noch die ungeheueren hölzernern Bollwerke um den Hafen herum. Die Fortificationskunst habe damit etwas Ausgezeichnetes geleistet und wie und wann auch ein Angriff auf diese Wasserfestung stattfinden würde, von der Seeseite sei es uneinnehmbar, schon deshalb, weil die Einfahrt in den Hafen so eng, daß nur ein Schiff auf einmal einlaufen könne, das außerdem dem Feuer von mindestens 300 Feuerschlünden ausgesetzt sei. Aber so gewiß auch die Uneinnehmbarkeit der Festung von der Seeseite sei, so wenig geschützt sei dieselbe von der Landseite. Eine Landung südlich von der Stadt, in einer der sechs Buchten, könne schwerlich gehindert werden und dann allerdings dürfte die Sicherheit der Festung sehr gefährdet sein.




Wassermangel. (Erscheinungen dieses Winters.) Seit Menschengedenken erinnert man sich auch in der Schweiz keines solchen Wassermangels, wie in diesem Winter. In einigen Gegenden ist das Trinkwasser bereits zu einem unansehnlichen Handelsartikel geworden. In Schaffhausen war der größte Wasserstand des Rheins, dessen man gedenkt, im Jahre 1789, der kleinste in diesem Jahre; der Unterschied des Wasserspiegels zwischen dem größten und dem kleinsten beträgt 24 Fuß 8½ Zoll. Der Züricher See ist von seinem obern Ende her fast zur Hälfte mit einer Eisdecke überkleidet. Bei Stäfa liegt eine Strecke weit im See draußen, der sogenannte „Stäfnerstein“, der zu gewöhnlichen Zeiten wenig oder gar nicht gesehen wird, jetzt aber, von einer großen flachen Felsenzinne umgeben, offen daliegt. Auf diesem kleinen Felsenplateau fand am 10. Januar ein förmliches kleines Volksfest statt. Eine Menge der lebenslustigen Stäfner vergnügt sich mit Essen, Trinken, Schießen, Kegeln und anderen Spielen auf dem Platze, den sie selbst nie zuvor betreten und der vielleicht nach langen Jahren erst wieder einmal von ihren Söhnen und Enkeln besucht werden kann. Der Klönthalersee ist so tief gefallen, daß kein Tropfen Wasser mehr in dessen Abfluß, den Löntsch, geht und was das Merkwürdigste, der Oberblegisee im Canton Glarus, 4400 Fuß über dem Meere, dessen Abfluß sonst einen wunderschönen, aus Felsspalten hervorbrechenden Wasserfall bildet, ist beinahe vollständig eingetrocknet. Die jetzt zur Eisdecke gewordene Wasserfläche, des in muldenförmiger Vertiefung in reizender Umgebung gelegenen Sees ist jetzt fast 50 Fuß tiefer als sonst; eine unheimliche Schlucht hat die Stelle des dunkelblauen Bergwassers eingenommen, wie der älteste Mann es sich nicht erinnern kann. Dagegen will man aus dem jetzt schon eingetretenem Hervorsprudeln des sogenannten „Hungerbrünnleins“ bei Gränichen im Aargau auf ein gutes Jahr schließen; und trotz der Kälte zeigen sich bereits Vorboten des Frühlings. In einigen Dörfern der Schweiz sind bereits verirrte Vorposten der Störche angekommen, und auf den Höhen herrscht schon Frühlingstemperatur. Auf dem Ütli bei Zürich war schönster Sonnenschein, während kalter Nebel auf dem Thale lag. Am 22. Januar zeigte das Thermometer auf diesem Berge im Schatten 4,8° Celsius, in der Sonne freihängend 14,8° C (fast 12° Reaumur), und die zahlreichen Besucher fingen einen Schmetterling und brachten ihn lebend in die Stadt herab. Hoffen wir, daß dem diesmal besonders gestrengen Gesellen Winter ein baldiges Frühjahr folge, das so manche Leiden und Entbehrungen zu verwischen hat!. Der erste Lenzbote ist aber doch erst der Fön, dieses stürmische Kind der brennenden Sandwüsten Afrika’s, wenn er, im Kampfe mit dem Nord- oder Südwinde, dauernd die Herrschaft gewinnt und die zähen Schnee- und Eisschichten gewaltiger und rascher schmilzt als je die Sonne kann. Seiner Herrschaft haben wir die obige wunderbare Erscheinung zuzuschreiben, daß auf den Höhen man den Anbruch des Frühlings begrüßen konnte, während die Thäler noch unter Schnee und Eis seufzen. In diesem Jahre hat er schon einige Mal wieder das Feld seinem rauheren Gegner räumen müssen; aber bis die Leser der Gartenlaube dieses zu Gesicht bekommen, hat er wohl endlich den Sieg behauptet und auch Deutschland als milder Südwind den Vorfrühling gebracht.




Goethe der dem Tabak abhold war, sprach einst die Behauptung aus, ein wahrhaft gebildeter Mann werde sicherlich nicht Taback rauchen und fügte die Vermuthung bei, daß Lessing wohl nicht geraucht habe. Ebert, der ehemalige Bibliothekar in Wolfenbüttel, der bei dem Gespräch gegenwärtig gewesen war, versäumte nicht, sich über Goethe’s Vermuthung Auskunft zu verschaffen. Er wendete sich an eine alte in Wolfenbüttel lebende Frau, die mehrere Jahre Lessing’s Aufwärterin gewesen war. Auf die Frage, ob Lessing Taback geraucht habe, antwortete sie ganz treuherzig: „Ja schmauchen und schreiben konnte der Herr Lessing wohl, sonst aber war er zu nichts zu gebrauchen.“ –




Pariser Stückchen. Zu Paris stand neulich ein Herr Boissoneau vor der Zuchtpolizei, angeklagt, eine Uhr mit dem Kuchen eines Pastetenbäckers bezahlt zu haben. Er kam eines Morgens zu einem berühmten Pastetenbäcker: „Ich brauche zu morgen vierhundert Pasteten zu einem Diner, bin Marquis So und So und wohne da und da.“ – „Sehr wohl, sollen sie haben zu der von Ihnen bestimmten Zeit.“ – Abgemacht. Jetzt geht der Marquis hinüber zu einem Uhrmacher und sucht sich eine Uhr für zweihundert Franks aus, und während der Uhrmacher das kostbare Instrument einpackt, wird der Kunde plötzlich ein Butterhändler. „Ich bin Butterhändler en gros, Monsieur: der Pastetenbäcker gegenüber ist mir vierhundert Franks schuldig, die er morgen bezahlen will; Sie haben wohl die Gefälligkeit, Ihre zweihundert Franks statt meiner in Empfang zu nehmen. Kommen Sie mit hinüber, damit ich Sie vorstelle." Beide gehen hinüber. Marquis und Butterhändler en gros sagt: „Sie brauchen mir morgen blos zweihundert zu schicken, geben Sie die andern zweihundert gefälligst diesem Herrn hier.“ – „Sehr wohl! Alles in Ordnung." Marquis und Butterhändler zieht mit seinem Zeitmesser ab, und der Uhrmacher verdarb sich am folgenden Morgen schon beim Anblick der zweihundert Pasteten, die statt der zweihundert Franks sich einfanden, den Magen. Marquis und Butterhändler bekam nun, entdeckt, seine Strafe, aber weder der Pastetenbäcker noch der Uhrmacher Zahlung für ihre Kunstwerke.




Der Luftballon als Kriegsapparat. Kurz vor der großen französischen Revolution ward öffentlich vorgeschlagen, den Luftballon im Kriege als Spion anzustellen. Nach mehreren Versuchen für diesen Zweck gelang es endlich, ihn so anzuwenden, daß er nicht nur als bloßer Spion diente, sondern auch die Schlacht bei Fleurus gewann. Es kam zunächst darauf an, eine leichte Füllung mit Wasserstoffgas (statt des gewöhnliches Leuchtgases) zu bewerkstelligen. Der berühmte Lavoisier in Paris erfand eine Methode, das Wasser durch glühende Eisenstangen so zu zersetzen, daß das Wasserstoffgas sich schnell und in Masse entwickelte, und in vier Stunden 17,000 Cubikfuß dieser leichtesten aller Luftarten gewonnen werden konnten. Sofort ward in Paris eine „militairische Luftballon-Schule“ errichtet, worin fünfzig junge Soldaten den erforderlichen Unterricht für militairische Anwendung großer Ballons erhielten. Ein Ballon von 32 Fuß Durchmesser ward fortwährend gefüllt gehalten und zu Uebungen gebraucht. Ein Offizier stieg mit einigen Schülern 5-600 Fuß hoch, um Unterricht zu geben, d. h. durch Fernröhre Positionen und Stellungen von Menschen und Gegenständen aufzunehmen und deren Entfernungen zu messen. Der Ballon konnte durch ein großes Seil und eine Luftklappe regiert und in der Regel leicht wieder auf den Punkt, von dem er gestiegen, zurückgewunden werden. So lernte man Feindeslager sicher und vollständig übersehen und ausspionieren, ohne die Gefahr, gehangen zu werden. Im Jahr 1794 hatte jede der vier französischen Armeen ein solches Beobachtungs- und Spionirluftschiff bei sich. Eins derselben begleitete die Armee nach Belgien und stieg von der Ebene von Fleurus über 3000 Fuß hoch, von welcher Höhe die Offiziere die ganze Position der österreichischen Armee so genau übersehen konnten, daß General Jourdan öffentlich erklärte, er verdanke seinen Sieg bei Fleurus nur diesem Ballon. Wenn künftige Jahrhunderte sich auch noch schlachten, mag es wohl später zu den Land- und Seeschlachten auch noch Luftschlachten geben. Wenigstens feuerten die Oesterreicher auf den Ballon von Fleurus, bis ihnen die Traube zu hoch hing. Sollte es öfter vorkommen, liegt der Gedanke nahe, daß der Feind dem Spionirschiffe eins seiner Luftschiffe nachschickt, um es herunter zu schießen. Wir sind begierig, ob an der Donau, wo bereits Feuer, Wasser und Erde benutzt werden, Menschen auf die schnellste Weise in das Himmelreich zu expediren, nun auch die Luft noch in Anwendung gebracht wird.




Ein englischer Reisender in Amerika, das von Engländern in der Regel verhöhnt wird, weil die Amerikaner offen, schnell, höflich und keine Heuchler, die Engländer aber zurückhaltend, anmaßend, conservativ in ihren lächerlichen Eigenthümlichkeiten und unbeholfen gegen Fremde sind, läßt sich so vernehmen: „Ich kann feierlich versichern, daß ich niemals von einem Amerikaner eine rohe Antwort bekam. Jede meiner Fragen, ob an den Präsidenten oder an den Locomotivführer gerichtet, wurden immer nicht nur mit der größten Höflichkeit, sondern auch mit dem größten Eifer, die beste Auskunft zu geben, beantwortet. Auf Reisen fiel mir die Aufmerksamkeit und Zugänglichkeit der Mitreisenden um so angenehmer auf, als ich in England hunderte von Meilen mit Herren und Damen gereis’t war, ohne nur ein Wort zu wechseln. Meine Gewohnheit ist, jeden Menschen mit Höflichkeit anzureden. Das verlangt in Amerika Jeder, auch der niedrigste, denn auch er fühlt sich ein freier Mann. Höflichkeit ist der einzige nothwendige Paß auf Reisen durch Amerika. Ohne diesen und gar, wenn Du aristokratische Mucker aus der Heimath merken läßt, behandelt man Dich gar nicht oder weis’t Dich mit Verachtung ab, selbst wenn Du täglich 100 Pfund zu verzehren hast.“




Neue Gutta-Percha. In Indien hat man einen Baum entdeckt, dessen reichlich fließender Saft eine ebenso hartnäckige Masse bildet, wie das „vegetabilische Eisen“ Gutta-Percha. Proben davon wurden neulich in London in der Gesellschaft für Kunst vorgezeigt und durch Versuche als eben so gut befunden, wie Gutta-Percha.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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