Seite:Die Gartenlaube (1854) 438.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die Haltbarkeit des Spinnenfadens, daß er bei aller seiner Feinheit dennoch mehr als tausenddrähtig ist.

Unter dem Mikroskop erscheint der einzelne Coconfaden, deren mehrere Hunderte zu einem Nähseidenfaden erforderlich sind, ganz schlicht, einfach und durchsichtig, überall ziemlich gleich stark und ohne irgend welche Quer- und Längslinien, wie wir sie bei Flachs und Baumwolle fanden. Mein gezeichnetes mikroskopisches Sehfeld zeigt Dir dies (S) deutlich. Du bemerkst aber rechts an dem zweiten Faden eine knieartige Einbiegung. Diese und ähnliche plötzliche Verbreiterungen des Coconfadens rühren davon her, daß die spinnende Raupe den eben ausgelassenen noch weichen Faden an diesen Punkten an dem bereits gesponnenen anheftete, wobei diese Stellen sich etwas abplatteten.

Du siehst, daß nichts leichter ist, als den Seidenfaden mit dem Mikroskop zu erkennen und beigemischte Verfälschungen davon zu unterscheiden. Sie sind eben so gerade, wie die Flachsfasern, an denen wir aber die Querlinien und die durchscheinenden Grenzlinien des innern Zellenraumes fanden[1]; sie sind aber viel gerader als die platteren, oft schraubenförmig gedrehten Baumwollenfasern. Würde uns hier das Mikroskop in Zweifel lassen, so dürften wir nur bei der Chemie anfragen. Salpetersäure löst in wenigen Augenblicken die Seide vollkommen in einen braunen Brei auf, während sie auf Flachs und Baumwolle fast keine sichtbare Wirkung äußert. Auf diese Weise lassen sich verfälschte Seidenstoffe sofort erkennen.

Wir wenden uns von dem Stoffe des Luxus zu dem Stoff des soliden Bedürfnisses. Sieh, wie sonderbar die Wollfaser unter dem Mikroskop aussieht. Eine Menge unregelmäßige, wellenförmige Querlinien bedecken dieselbe und deuten Dir von selbst an, daß sie mit dem Wachsthum der Wollenfaser, oder richtiger des Wollenhaars, in Zusammenhang stehen; denn diese Linien bezeichnen das stufenweise Heraustreten des wachsenden Wollhaares aus der Haut des Schaafes. Da kann natürlich vor dem Richterstuhle des Mikroskops kein Betrug bestehen; er wird unnachsichtig aufgedeckt.

Ich habe zu dem, was hier das Mikroskop Deinem Auge zeigt, nichts weiter hinzuzufügen. Es kam mir ja blos darauf an, Dir die Bedeutung des Mikroskops in der Unterscheidung unserer vier wichtigsten Gespinnststoffe zu zeigen, und da reicht eben für die Wolle ein einziger Blick aus.

Vielleicht vermissest Du den Hanf, den jetzt überhaupt, Dank sei es der Ostsee-Blokade, von aller Welt vermißten. Ich habe ihn aber unerwähnt gelassen, weil er als Gewebestoff von geringer Bedeutung ist. Du wirst ohnehin leicht errathen, daß er, als Bastfaser, dem Flachs fast ganz gleich sein müsse, was er auch ist. Das Mikroskop hat Mühe, beide sicher zu unterscheiden. Gelingt es, mehrere Enden von Hanffaserzellen unter dem Mikroskope zu sehen, so findet man daran meist eine gablige oder dreizackige Theilung, welche die Flachsfaser nie hat.

Ein andermal sehen wir uns vielleicht noch weiter mit dem Mikroskop in den Angelegenheiten und kleinen Verlegenheiten der Haushaltung um.




Für Mädchen und Frauen.
Nr. 2. Der Frauenschutz in Dresden.

Schon vor dem Ausbruch der französischen Revolution schrieb Hermes ein Buch, „Für Aeltern und Ehelustige“ betitelt, welches den wichtigen Punkt der Mädchenerziehung bespricht. Heyne sagt in Bezug darauf in einem Briefe an seine Tochter, Therese Forster[WS 1], nachmalige Therese Huber, ihm scheine die Beantwortung der Frage ganz leicht: „Vermindere man den Luxus, den Aufwand, die Unwirthlichkeit in allen Ständen,“ und dem Uebel sei abgeholfen. – Ueber ein halbes Jahrhundert ist seitdem an uns vorübergegangen, Krieg und Frieden haben abwechselnd die Welt beunruhigt und bewegt, das Alte ist neu, das Neue alt geworden, die Wogen des Lebens sind über manchem Haupte zusammengeschlagen, rastlos haben die Menschen ihren Zielen nachgejagt, Erwerb und Genuß hat hier, hat dort als Aushängeschild gedient; aber der eine wichtige Punkt, die sittlichere Gestaltung unserer socialen Verhältnisse, scheint kein Hauptmoment in diesem allgemeinen Treiben und Drängen gewesen zu sein. Wohin wir blicken, können wir in Bezug hierauf nur sagen: es ist Alles schon einmal dagewesen; wohin wir blicken, sehen wir Unheil weissagend den Wurm nagen, der das Gebäude unseres Familienlebens zu unterminiren droht, und dieser Wurm heißt Genußsucht.

Wenn Heyne im Jahr 1789 seine Tochter darauf hinweisen konnte, daß nur eine Verminderung der Bedürfnisse im Stande sei, dem wachsenden Uebel zu steuern; was würde der gelehrte Herr sagen, wenn er jetzt einen Blick werfen könnte in unsere häuslichen Einrichtungen und in das Tagewerk unserer Frauenwelt!!

Forster[WS 2] schreibt um eben die Zeit an seinen Schwiegervater: „Es wird von Jahrzehend zu Jahrzehend schwerer und unmöglicher, eine Frau zu ernähren, wes Standes man sei, und wie dem abzuhelfen, sehe ich nicht ein.“

Seitdem, – wie viel schwerer ist es nicht seitdem geworden? – Bald fast unmöglich!

Blickt man hinein in unser Familienleben, mit dem hellen Auge, das auch in einem Lächeln die Thräne erspäht, so gewahrt man die Sorge auf der Schwelle, und dahinter die Angst derselben zu entfliehen, so findet man die Freude auf Straßen und Märkten gesucht, und von dem schönen, innigen Mit- und Ineinanderleben, dem gegenseitigen Verstehen und Ergänzen, den stillen Familienabenden so wenig! – Wo aber ist das Glück, wenn das eigene Haus es nicht bietet! Wo sollen wir es suchen, wo finden? – „Der eigene Herd ist Goldes werth,“ so hieß es einst, als die Menschen noch mit dem Herzen für einander lebten, und der moderne Egoismus, der Kultus des Ich noch nicht alle Bande gelockert, noch nicht jede Beziehung in eine bloße Chimäre umgewandelt hatte, die nicht den äußern Verhältnissen förderlich.

Man sagt, daß Dresden achthundert Vergnügungsorte habe, die täglich mit Ehelosen und Verehelichten angefüllt. In andern Städten mag es nicht weniger glänzend damit stehen, in Süddeutschland


  1. Siehe Nr. 33 der Gartenlaube.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Therese Foster
  2. Vorlage: Foster
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_438.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)