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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

fand einen Haufen von Uebelständen, die Kritik zeigte mir andere – und so grob ich werde, wenn man mir unrecht thut, so gelehrig bin ich, wenn man mich am rechten Ende faßt. Alle Längen und trocknen Reflexionen werfe ich fort. Frisches Laub will ich bringen, nicht dürre Aeste.“

Wie „Cordula,“ so hat er auch „nach der Natur“ umgearbeitet. „Ich bin so wenig verliebt in meine Schöpfungen,“ sagt er in einem Briefe an mich, „daß ich sie jedesmal wieder so gut als neu mache, wenn ich sie zurück bekomme.“ Da ich hier keine kritische Abhandlung über Hauenschild’s Werke zu schreiben in Absicht habe, so will ich mich auf den Werth oder Unwerth dieser und seiner andern Romane „Aus der Junkerwelt“ gar nicht einlassen, sondern nur bemerken, daß er dem ersten besonders seinen schriftstellerischen Ruf und hauptsächlich wohl deswegen verdankt, weil derselbe, wenn auch nicht in der Geschichte selbst, wie dies später die „Ritter vom Geiste“ thaten, so doch in den in ihr geführten Gesprächen den vollen Inhalt der Zeit zur Verhandlung brachte. Es war der wirklich moderne Roman, der hier gegeben wurde, der Roman der Gegenwart, der sich tief in ihre Fragen und Ideen einließ, und nicht in so kleinen und erbärmlichen Capricen verloren ging, als dies gemeinhin bei den Romanen der Hahn-Hahn der Fall ist.

„Aus der Junkerwelt“ ist ihm wohl in mehr als einer Beziehung besonders aus dem Herzen geschrieben. In einem seiner Briefe an mich klagt er: „Das Schicksal hat eine Todsünde begangen, als es mich in trostlos unerquicklichste Umgebung placirte. Das Volk verstehe ich kam und kann seine Sprache nicht reden; von den Junkern machte ich keinem eine Visite, denn ich verstehe nichts von Hunden und bin außerdem in Bezug auf Unterhaltung verwöhnt. Ich hatte immer mit Menschen zu thun, die mehr wußten als ich; hier mußt’ ich dociren, und zwar vor tauben Ohren. Seit vier Monaten war ich nicht einmal in Ratibor, der nächsten Stadt. Ich bin froh, wenn ich diese Race nicht sehe. Sie werden sie aus meinen „Alltagsgeschichten“ kennen lernen, sobald ich nur erst den „Jongleur“ fertig habe. Wenn nur mein Junge immer, wenn ich arbeiten will, so gut schliefe, wie im Moment, dann ginge die Sache rasch. Alle Skizzen sind angelegt.“

Er hatte noch Vieles vor; ein Plan drängte bei ihm den andern; sein Geist war immer voll. Mitten in dem Trubel dieser geistigen Regsamkeit ergriff ihn ein heftiges Nervenleiden, das sich auf’s Ohr werfend, seinen Kopf auf’s Furchtbarste angriff. Ich habe den Brief gelesen, den sein Arzt an Campe schrieb und worin seine Krankheit ganz schlicht, aber so eindringlich erzählt wurde, daß einem die Haare dabei zu Berge stehen konnten. Der Arme muß, darnach zu schließen, ganz entsetzlich gelitten haben. Auch hat er sich in der That nie mehr ganz erholt und ist in den ersten Monaten dieses Jahres dem Uebel erlegen.

Sein Tod hat im Allgemeinen weniger Sensation gemacht, als man voraussetzen durfte. Der Kriegslärm übertönte die Klagen und das Hinschwinden eines so thätigen und strebsamen Lebens, da bei längerer Dauer ohne Zweifel noch gar manches vor sich gebracht haben würde. Wie der Literarhistoriker über das von ihm Geschaffene urtheilen werden, muß man dahingestellt sein lassen, aber wie sie auch urtheilen mögen, daß er ein liebenswürdiges, rüstiges und strebsames Talent gewesen, werden sie ihm unter allen Umständen zugestehen müssen. Sein schnelles Emporkommen und Bekanntwerden in der Literatur hat ihn ein wenig, ich nicht sagen, eitel, aber zuversichtlich in dem, was er schaffen wollte, gemacht und ihm eine gewisse Redseligkeit über all’ sein literarisches Thun und Lassen angeeignet. Er sprach und schrieb gern viel über das, was ihn beschäftigte, und daher ist es gekommen, daß diese Beschäftigung oft ein größeres Ansehen bekam, als sie im Grunde zu haben verdiente. Ueber die Vorstudien und Arbeiten zu seinem „Jongleur“ hatte er so viel Wesens gemacht, daß man dies über ein Jahr mit anhörend meinte: es müsse Wunder was davon entstanden sein. Und doch war dies nicht der Fall. Wenigstens meldete mir Rudolph Gottschall aus Breslau, der an Hauenschild viel verlor: „Leider ist von Max Waldau wenig hinterlassen worden, vom „Jongleur“ nur einige Kapitel – was mit seinen eigenen Aussagen und Bemerkungen in auffallendem Widerspruche steht.“

In dieser Plauderlust über sein Schaffen verräth sich ein wenig der literarische Parvenu, und seine vornehme Nonchalance, welche wir bei dem Fürsten Pückler und vielen andern durch günstige Umstände in eine glückliche Lage gebrachten Autoren wahrnehmen können. Bei Hauenschild ist indeß beides weder unangenehm noch verletzend geworden, sondern stets nur eine harmlose Eigenheit seines Wesens geblieben.

Andere und Würdigere mögen tiefer und eingehender über ihn schreiben, hier sollte nur in aller Kürze ein ungefähres Bild seines Wirkens und Charakter gegeben werden, und das ist, wie ich glaube, so geschehen, daß sich auch der Uneingeweihte wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon zu machen im Stande sein wird.




Blätter und Blüthen.

Louis Napoleon zwei Mal in London. Voltaire läßt in seiner Erzählung: „Der Optimist" seinen Helden Candide in Venedig an einem Festessen Theil nehmen, dessen Gäste von ihren Dienern alle mit „Sire“ und „Majestät“ angeredet werden. Nur der sechste Gast wird als bloßer „Herr“ etwas beiläufig behandelt. Candide, dessen Diener wird darüber ärgerlich und ruft laut: „Meine Herren, warum spielen Sie alle Könige und erkennen die Majestät meines Herrn nicht an?“

Einer der Gäste antwortete gravitätisch: „Wir spielen nicht Könige, wir sind’s. Ich bin Achmet III. Ich war mehrere Jahre Groß-Sultan. Ich entthronte meinen Bruder, mein Neffe mich.“

„Mein Name ist Iwan,“ fügte ein Anderer hinzu. „Ich war Kaiser aller Reussen, wurde aber schon in meiner Wiege abgesetzt.“

„Ich bin Karl Eduard, König von England,“ stelle sich der Dritte vor.

Und der Vierte: „Ich bin König von Polen.“

„Ich bin auch König von Polen,“ der Fünfte.

„Was mich betrifft,“ sagte der Sechste, „bin ich zwar nich ein so großer Mann als Sie, aber doch auch ein König. Ich bin Theodorus und war erwählter König von Corsika. Man nannte mich Majestät, jetzt freilich kaum „Sir.“

Vor hundert Jahren wunderte sich Candide über diese Mange abgethaner Majestäten, aber während des letzten Jahrzehnts, das so manche Majestätssonne verlöschte und verdunkelte und andere aufgehen ließ, wurden solche abgesetzte oder Candidaten-Könige so gewöhnlich, daß sich heut zu Tage ein Candide kaum über eine solche Tischgesellschaft wundern würde. In der That ist es noch gar nicht lange her, als eine ebenso auffallende Gesellschaft von Majestäten und Scepter-Candidaten sich der feinen Welt Londons in Wirklichkeit präsentirte und zwar in einer Weise, durch welche Voltaire’s erdichtetes Mahl bedeutend in Schatten gestellt ward.

Und wer war Theodorus dieser Gesellschaft? Wir werden sehen.

Es war im Juni 1847 als sich das kleine St. Jamestheater zu London von Unten bis Oben mit glänzenden Sternen der Aristokratie und verschiedener Höfe füllte. Sammet und Seide, Ordenssterne und Diamanten vom Parterre bis in die Gallerien hinauf, die Loge der Königin auf das Brillanteste mit Gaze und Damasten behangen. Es war einer jener seltenen Abende, wo die Königin hoher Gäste wegen „in state“ officiell als Königin mit allem historischen Pompe im Theater erschien. Sie saß in aller Glorie der Majestät und Jugend neben Prinz Albert. Auf ihrer andern Seite prangte der Herzog von Nemours, damals der Thronfolger Louis Philippes. – Darunter erkannte man das damals in London in komischer Weise bekannte Gesicht des entthronten Herzogs von Braunschweig, das persönliche Gegenstück zu der Theorie göttlichen Regentenrechts, mit seinen Diamantenknöpfen am Rocke und seiner Schminke auf den Backen, damals Eigenthümer und Hauptredakteur der deutschen „Londoner Zeitung.“ Ihm gegenüber erkannte man den Graf von Montemolin, damals Prätendenten des spanischen Thrones. Halb verhüllt durch die rothen Vorhänge der Eck-Logen des ersten Ranges, wie durch die Schatten seines Schicksals, saß der entthronte Bruder Don Petro’s von Portugal, Don Miguel. So fehlte Niemand mehr zu der Verwirklichung jener Voltaire’schen Gesellschaft von Ex- oder zukünftigen Herrschaften als Theodorus.

Jeder in dem glänzenden Theater-Publikum machte seine Glossen über den seltsamen Zufall dieser versammelten Größen und auch wohl seine Witze darüber, zumal über den Herzog von Braunschweig. Und jetzt trat noch dazu unten im Parquet dicht am Orchester durch eine Seitenthür vor dem geschlossenen Theatervorhange Louis Napoleon herein. Der Effect war ungeheuer. Jeder hatte sich mit den gefallenen und aufstrebenden Majestäten beschäftigt: und da ist der junge Held von Straßburg und Boulogne[WS 1] nun leibhaftig. Ein ungeheures Gelächter schwoll vom Orchester und Parquet durch alle Räume des Theaters bin in das Gesicht der Königin von England.

Der Name Louis Napoleon, dessen romantische, unglücklich abgelaufene Invasionsversuche von beiden Grenzen Frankreichs, einmal von Straßburg, das andere Mal von Boulogne, noch im frischen Andenken waren, galt damals als ein Privilegium zum Lachen. Der junge Held merkte sofort, woher diese allgemeine Heiterkeit komme, und warf einen kalten, festen, finstern Blick in die königliche Loge hinauf, wo der französische Kronprinz in lächelndem Spotte neben der Königin von England brillirte. Napoleon ging langsam und bedächtig im Parquet weiter hinauf und setzte sich unter die königliche Loge so, daß er das Ensemble in derselben brach.

Jetzt, wo die Welt Napoleon nicht nur vom 2. December in Paris,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bolougne
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_307.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)