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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

einziges Fenster, wie es schien, in einem Erker erleuchtet war. Um Mitternacht oder vielleicht noch später! ES konnte aber auch schon Tagesanbruch nahe sein, wer wußte das? Uebrigens sah das Fenster keineswegs gastlich aus, sondern kam dem Reiter, der offenbar der Romantik verfallen war, eher wie ein roth entzündetes Auge vor, das ihm böse entgegen blickte. Ein Hifthorn jetzt, wie die irrenden Ritter vor Alters geführt, um sich dem Thorwart, der offenbar in jenem Kloset über der Pforte wachte, anzukündigen! Aber dem Husaren stand nur seine, noch sehr jugendliche Stimme zu Gebot, mit welcher er sich denn, so laut er konnte, bemerklich zu machen suchte. Es gelang ihm über Erwarten, denn alsbald öffnete sich das Erkerfenster, und ein Kopf mit abenteuerlicher Haube sah heraus.

„Wer ist da?“ fragte eine rauhe Stimme, welche nicht unterscheiden ließ, ob sie einem Manne oder einer Frau gehörte.

„Wo finde ich den Weg nach der Rinkenburg?“ gab Dießbach die Gegenfrage.

„Nach der Rinkenburg?“ wiederholte die rauhe Stimme mit unverkennbarer Verwunderung, und erst nach einigem Besinnen setzte sie hinzu. „Wie kommen Sie denn hierher?“

„Ja, guter Mann, da fragen Sie mich zuviel. Ich bin kreuz und quer zu meinem Vergnügen in den Bergen umhergeritten, bis mein guter Stern mich zu Ihnen führte. Wollen Sie mir etwas Heu für mein Pferd geben, es ist sehr angegriffen.“

„Hier ist keine Herberge!“ antwortete die Stimme kurz.

„Das sehe ich, liebster Mann, aber man weiset keinem anständigen Menschen die Thür, wenn er nur um eine halbe Stunde Quartier bittet.“

„Die Rinkenburg ist über vier Stunden von hier und den Weg finden Sie nicht, klang die wenig tröstliche Auskunft, immer in dem gleichen unfreundlichen Tone. „Reiten Sie in Gottes Namen nur wieder hin, wo Sie hergekommen und und nehmen Sie sich dann einen Boten.“

„Hinreiten, wo ich hergekommen bin? Das werde ich bleiben lassen!“ rief Dießbach lachend. „Habe ich denn heute mit lauter Stierköpfen zu thun? Der Schäfer von Sanct Pankraz ist wohl Ihr cousain germain, liebster Mann?“

„Ich bin kein Mann!“ sagte die Stimme mürrisch.

„Wahrhaftig? O, dann verzeihen Sie, mein Fräulein, eine Bitte. Wenn die Rinkenburg vier Stunden von hier und der Weg für mich nicht zu finden ist, so haben Sie Mitleid mit mir, zarte Seele, und gewähren mir und meinem armen Rößlein eine Streu.“

Statt aller Antwort zog sich der Kopf mit der abenteuerlichen Haube zurück, schloß das Fenster und gleich darauf erlosch auch das Licht. Jetzt wallte das jugendliche Blut des auf so schnöde Weise Abgefertigten im raschen Uebergange zum Zorn auf und er rief laut zu dem Fenster empor.

„Ich schieße Ihnen eine Kugel in die Stube, so wahr ich ein Dießbach bin, wenn Sie mir nicht augenblicklich öffnen!“

Die Drohung schien zu wirken. Das Fenster wurde wieder geöffnet und das unbestimmte Wesen fragte mit merklich verändertem Tone. „Ein Dießbach?“

„Ja, Madame, wenn Sie wirklich weiblichen Geschlechts sind, ich bin ein Dießbach!“

„Und – von der Rinkenburg?“ fragte sie betroffen weiter.

„Dort bin ich zu Hause, erwiederte er. „Nehmen Sie jetzt Raison an?“

„Junker – Kuno?“

„Guido!“ berichtigte er. Sie kennen unsere Genealogie, wie es scheint. Also kapituliren Sie, holde Jungfrau, ziehen Sie die weiße Fahne aus, überreichen mir die Schlüssel, nicht zu Ihrem Herzen, sondern zur Zitadelle und lassen mich einrücken.“ Seine gute Laune war wieder erwacht, hatte aber keine Zuhörerin mehr, denn die Frau war vom Fenster zurückgetreten und eilte jetzt, ihm wirklich die Thüre zu öffnen. Sie trug eine Blendlaterne in der Hand, deren Schein sie voll auf sein Gesicht fallen ließ; er konnte einen halb unterdrückten Laut der Ueberraschung hören, während er vom Pferde stieg.

„Wahrhaftig! Junker Guido!“ sagte die Frau mit einem ganz eignen Tone, der sich in einen heftigen Husten auflöste. Sie winkte mit der Hand, näher zu treten.

„Aber – ist denn kein Mensch da, mir das Pferd abzunehmen?“ fragte er.

„Geben Sie her – Junker Guido! Ich will schon Alles besorgen –“ hustete die Frau und streckte die Hand nach dem Zügel aus.

„O nein, von schönen Händen bedient zu werden, ist Miß Kitty nicht gewöhnt, ich bin Soldat, gute Frau. Zeigen Sie mir nur den Stall und schaffen Futter.“ – Sie ging mit der Laterne voraus, er führte das Pferd durch den hallenden Thorweg, auf einen kleinen, von allen Seiten eingeschlossenen Hof, wo ihm die Alte eine Thüre öffnete.

„Hier, Junker Guido!“

„Sagen Sie mir, Verehrteste, Sie sprechen meinen Namen so geläufig aus, als ob ich ein alter Bekannter von Ihnen wäre – auch meinen Bruder kennen Sie, wie kommen Sie dazu?“ Er nahm dabei die Laterne auf, welche die Frau niedergestellt hatte, und ließ ihren Schein auf das Gesicht fallen, das bis jetzt im Schatten geblieben war, Fast hätte er aber die ganze Laterne fallen lassen, denn eine solche Häßlichkeit glaubte er in seinem ganzen Leben noch nicht erblickt zu haben.

„Lassen Sie nur, Sie kennen mich doch nicht,“ sagte die Frau. Er führte Kitty in den Stall, wo eine ziemlich dumpfige Luft herrschte, Krippe und Raufe zwar vorhanden, aber zum Anbinden kein Mittel zu sehen war. Der junge Herr, wir müssen es gestehen, wußte sich nicht recht zu helfen, und konnte daher nur verdrießlich nach einer Halfter fragen, worauf die alte Frau resolut zugriff, die Kinnkette so geschickt aushakte und das Hauptgestell abstreifte, als sei sie selbst einst Husar gewesen – vielleicht verkappt, wie mehrere deutsche Mädchen in den Befreiungskriegen. Dann nahm sie einen alten Strick, den sie in der Ecke gefunden, warf das eine Ende dem edlen Rosse, – empörende Behandlung! – um den Hals und band es mit dem andern durch einen tüchtigen Knoten an der Krippe fest.

„So, Junker Guido! Die Steigbügel noch heraufziehen, daß es nicht hinein schlägt und sich einen Fuß brechen kann – so ! Nun werde ich schon für Alles sorgen, Futter und Absatteln, wenn es etwas abgekühlt ist. Kommen Sie nur, ich will Sie erst zur Ruhe bringen.“

„Aber, Beste, Sie müssen die Campagne mitgemacht haben!“ sagte Guido, während er der Voranschreitenden folgte. „Gestehen Sie, bei welchem Regiment?“

Die Alte lachte, und wie sie überhaupt, seit sie den Gast bei Namen kannte, ihr ganzes Wesen gegen ihn verändert, ja, so weit ihre Stimme dessen fähig war, einen zärtlichen Ton gegen ihn angenommen hatte, ließ sie sich jetzt sogar auf einen Scherz ein. „Ja wohl habe ich Campagne gemacht, ich bin Fourier gewesen, habe immer gute Quartiere besorgt. – Hier, Junker Guido, haben Sie ein hübsches kleines Stübchen – dort steht auch ein Bett, in dem lange Niemand geschlafen hat, überziehen kann ich es nicht, ein Soldat fragt wohl nichts darnach. Aber erst hole ich Ihnen etwas zu essen und ein Licht, ich setze Ihnen einstweilen die Laterne her.“ Sie entfernte sich schnell, und Guido nahm die Laterne, um sich im Zimmer, das ihm am Ende eines schmalen Corridors angewiesen worden war, umzusehen. Es bot wenig Bemerkenswerthes, hatte nur ein Fenster, von Außen durch einen Laden verschlossen, an Möbeln war es karg ausgestattet, in der Ecke stand ein alter Tisch mit einer Art von Aufsatz, dessen Fournirung vielfach abgesprungen war, ein miserabler Spiegel hing schief an der langen Wand, an welcher auch das Bett und vor ihm ein kleiner Tisch stand; die Wände waren mit geschmacklosen Papiertapeten, auf denen viel grüne Bäume gemalt, bekleidet. Für die paar Nachtstunden gab es aber doch ein passables Unterkommen. Eben kehrte auch die Frau zurück, sie brachte Brot, Butter, Käse und ein dünnes Talglicht auf einem verblindeten Schiebeleuchter von Messing.

„Etwas Besseres kann ich Ihnen nicht vorsetzen, Junker Guido,“ sagte sie mit jenem Anfluge von Zärtlichkeit, vor welchem ihn unwillkürlich ein Frösteln überfiel, denn wohlbewandert, wie er in der Literatur war, mußte er an Abenteuer der Rolandsknappen in Musäus Volksmährchen denken. „Aber in der Campagne nimmt man vorlieb und eine Campagne haben Sie ja gestern gemacht. Hihi!“

„Wie heißt diese verzauberte Burg?“ fragte Guido.

Die Alte gab nicht gleich Antwort.

„Ich meine, wenn es Ihnen verständlicher ist, wie dies Haus oder was es vorstellt, heißt?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_525.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)