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wüthender zeigen sie ihre Zähne. Mit fürchterlichem Schielen folgt heimtückisch und plötzlich ein Hieb von der Seite. Es zischt und sprudelt, die Krallen werden thätiger und thätiger. Es erfolgt eine zischende, sprudelnde, spuckende allgemeine Keilerei und ein allgemeines Davonlaufen. Sie gehen dann einzeln durch die stille Nacht spazieren, bis eine Sängerin die andere wieder erblickt. Still und tückisch nebeneinander sitzend, beginnen sie erst mit Mäßigung ein Zankduett, vielleicht gar in Moll; jede zieht ihre Register so lang und virtuosenhaft als möglich; aber immer will’s eine besser können als die andere, so daß unter allgemeinem Zischen und eintretenden Pausen das Duett allemal zu einem Duell wird, welches mit dem schrecklichsten Gekreisch und gegenseitigem Davonlaufen endlich plötzlich verstummt. Nun legt sich der aufgeweckte Schläfer ordentlich zurecht, denkt: na endlich! und will sofort den versäumten Schlaf nachholen. Doch halt, jetzt haben ein paar andere Primadonnen einen Kampf auszufechten und diesmal ganz dicht unter Deinem Fenster. So, wenn Du Ohren hast, zu hören, höre! Singe, wem Gesang gegeben in dem deutschen Dichterwald! Sie haben auch ihre Poesie, ihre Lust und ihre Leiden. Also laß sie singen und schwitze Angst dazu! Du kannst immer noch Gott danken, wenn sie Dir nicht betrunken etwas vorsingen. Haben sie sich aber im Genusse der Valerianwurzel berauscht, wie sie dies zuweilen thun, besonders in Frühlingsmondscheinnächten, so ist’s um Deinen Schlaf geschehen. Sie springen und sprudeln, kreischen und krächzen und kollern sich umher wie die schlimmsten Tollhäusler und geben Dir eine furchtbar deutliche Anschauung von der Etymologie und inhaltschweren Bedeutung des klassischen Ausdrucks: „Katzenjammer.“

Die zieh- und dehnbare Vielstimmigkeit der Katzen brachte einmal einen blödsinnigen, müssigen Hofmann auf den Einfall, eine Katzenorgel zu construiren. Er sammelte und stimmte eine große Menge Katzen, fesselte sie in einen großen dazu construirten Kasten, der mit einer Klaviatur so versehen war, daß bei jedem Druck einer Taste eine Nadel auf je einen bestimmt-notirten Katzenschwanz drückte. Die Besitzerin des Schwanzes schrie dabei natürlich ganz in ihrer eigenen Melodie auf und bildete so mit ihren ähnlich beklavierten Collegen eine laute Orgel, in der jede Pfeife ihren eigenen Blasebalg hatte. Der Hofmann lernte spielen und die Welt lachte. Ich weiß nicht, wenn und wo es war, aber ein anderes Genie construirte einmal eine ähnliche Orgel aus lebendigen Schweinen, die dadurch gespielt ward, daß der Virtuose nach Noten an den arrangirten Schwänzen zog. Vor einem abgelebten Despoten, den nichts mehr erheitern konnte, ich glaube vor Ludwig XI. (oder war’s ein Medicäer?), ließ man einmal Schweine tanzen, die man zu diesem Zweck mühsam unterrichtet und in die Tanzschule geschickt hatte.

Einfach, aber schon ganz sprachähnlich ist die Art, wie sich gesellschaftliche Thiere gegenseitig Mittheilungen machen. Sowohl Elephanten als Affen (auch Gemsen u. s. w.) stellen Schildwachen aus, wenn sie sich eine Mahlzeit durch Raub verschaffen. Bei herannahender Gefahr giebt die Schildwache einen Ton von sich, der blos bei solchen Gelegenheiten gehört wird. Daß Affen bald die Worte und Befehle ihres Herrn verstehen und mit militairischer Präcision ausführen, hat ja wohl Jeder zur Genüge gesehen.

Das größte Sprachgenie unter den Vierfüßlern ist der kultivirte Haushund. Er spricht und versteht durchaus eine gelernte Sprache. Die wilden Hunde bellen nicht. Haushunde, die wieder in die Wildniß gerathen, verlieren die Gabe des Bellens wieder in der zweiten, dritten Generation. Der gut erzogene und klug und menschlich behandelte Haus- oder Schooßhund ist ein Geschöpf vom feinsten Gefühl und größten Scharfsinn und mit wahrer Beredsamkeit dafür hinten und vorn, vom Kopf bis zum letzten Endchen des Schwanzes. Seine Gefühle sind tief. Mancher Hund ist auf dem Grabe seines Herrn gestorben, und hat hartnäckig jede Verführung zum Essen und Leben abgewiesen. In einer Naturgeschichte fand ich die Versicherung, daß er es eben so wohl bis zum wirklichen Weinen als zum reellen Lachen bringen könne. Daß er menschliche Worte auf’s Genaueste verstehen lernt, dafür giebt’s unzählige Beweise. Er denkt, und macht Schlüsse. Ein Hund verfolgte einen Raben, der etwas sprechen gelernt hatte, über die Wiese. Der Rabe, der unverschämteste Bursche, wenn’s sein muß, fühlt schon beinahe des Hundes Zähne in seinen beschnittenen Flügeln und sieht ein, daß ihn nichts mehr retten könne, als die unverschämteste Courage. So dreht er sich plötzlich ’rum, und schreit dem Hunde fürchterlich in’s Gesicht: „Dieb! Dieb!“ Der Hund steht wie versteinert. Eine menschliche Stimme! Er dreht sich um, klemmt den Schwanz zwischen die Beine und läuft davon, so schnell ihn die Beine tragen, ganz niedergeschmettert, ganz außer Fassung. Er muß gedacht, Schlüsse gemacht haben, um sich so zu erschrecken, so in die Flucht schlagen zu lassen.

„Wie spricht der Hund?“ Gewöhnlich: „Wau! Wau!“ Aber große Philosophen haben einst behauptet, der Hund könne wirklich menschlich sprechen. Dr. Golt traute ihnen sogar mehrere Dialekte zu. Leibnitz, der große Philosoph, studirte einen sprechenden Hund, dem ein Junge in Sachsen dreißig Worte beigebracht haben sollte. Leibnitz wollte ihm etwas Latein beibringen, aber er blieb bei seinem „kuten Sächsisch, hären Se!“ das soll er aber so „reene“ gesprochen haben, wie der beste Dresdener, ganz ohne Unterscheidung von die harten B und weechen P, so daß Leute im anstoßenden Zimmer ihn wirklich für einen gebornen Meißner, wo man das reinste Deutsch spricht, gehalten haben sollen. Aber mit diesen erkünstelten Kunststücken geben sich Hunde von Ehre nicht mehr ab und halten sich an ihre natürliche Kunstsprache, welche in einsilbigen Wau-Wau-Variationen mehr ausdrücken können, als ein konstitutioneller Parlamentsredner der rechten Mitte. Dabei bleibt ihm immer noch das bittende Winseln, das Mondschein oder schlechte Musik verhöhnende Heulen, die bedeutsame Pantomimik des Schwanzes, das Petitionsrecht mit den Vorderpfoten, der pfiffige Ausdruck des Aufpassens mit schief gehaltenem Kopfe und einem aufrechtstehenden und einem niedergeklappten Ohre, dabei bleiben ihm unzählige Arten des Begreifens, des Ausdrucks von Lust und Leid, von Mitgefühl und Humanität.

Mit diesem Zeugniß kannst du zufrieden fein, Phylax! Aber, wie schön und reich auch deine Beredtsamkeit ist, singen kannst du nicht, Phylax, und wenn du Jenny hießest. Hinsichtlich deines Gesanges stehst du sogar in einem sehr üblen Rufe. Also couche! und überlaß die musikalische Sprache den lieben Leuten, die vom Blatte singen, den Dichtern des Waldes, den befiederten, beschwingten Noten. Glücklichste der Sterblichen, der Schwerkraft und Trägheit entledigte, in Sang und Klang, Luft und Aether erhobene Materie, fliegende, flatternde, farbige, leichte, lose, lockere Vögel, wer könnte euch hier unten, an den trägen Stoff gebannt, begreifen und euer zwitscherndes, trillerndes, flötendes, trompetendes, süßes, singendes Lebensglück leicht und gelehrt genug schildern! Eine alte, reiche, gelehrte Literatur über euer Leben und Lieben, euer Singen und Schwingen von Pallas Athene an bis zum neuesten Werke über Ornithologie enthält die größte Fülle menschlicher Weisheit, um euch zu begreifen; aber die Herren waren alle zu gelehrt und zu schwerfällig, eure naive, leichtsinnige Lebens- und Liederfreude zu capiren. Pallas Athene, die Göttin der Weisheit im alten Griechenland, gab dem blinden Seher Tiresias die Gabe, die Musik und Sprache der Vögel zu verstehen, um ihn für den Verlust seines körperlichen Augenlichtes zu entschädigen. (Eine schöne, trostreiche Wahrheit für Erblindete!) Diese Gabe erbte als eine besondere, göttineingegebene Weisheit fort auf andere griechische Weise, Helenus von Troja, Thales, Melampus u. s. w. Der weise Salomo soll die Bedeutung aller Sprachlaute der Thiere verstanden haben.

Plinius giebt sogar in seiner Naturgeschichte besondere Recepte, um die Bedeutung aller Vögelgesänge verstehen zu lernen. Der fabelhafte König Dag hielt sich Sperlinge, statt der Spione, welche ihm alle Tage die Neuigkeiten des Tages und die Thaten seiner Unterthanen hinterbrachten, so daß der Glückliche gar keine Polizei zu halten und keine Zeitungen zu lesen brauchte.

Gerbert von Sevilla, der große Meister „schwarzer Kunst“, verstand auch den Flug und Gesang der Vögel zu deuten. Benedict der Neunte, im zwölften Jahre schon Papst, kannte die Stimme der Vögel und ließ sich von ihnen erzählen, was in seinem Reiche passirt sei und passiren werde. Im russischen und griechischen Alterthume frug man Vögel statt der Minister und Staatsräthe in Angelegenheiten von Staats- und gelehrten Sachen und kam dabei besser weg, als heut zu Tage. Die Kraniche des Ibicus fungirten als Criminalpolizei. Gänse retteten das Kapitol, und von Gänsen ließen sich die ersten Kreuzzügler den Weg nach dem heiligen Lande zeigen. Ein deutscher Gelehrter (wie heißt er? Ich habe den Namen vergessen) studirte die Sprache der Gänse so genau, daß er ein Lexikon derselben anfing, welches zwei Franzosen, Dupont de Nemours und Pierquin de Gembloux, bis zu einem Lexikon der ganzen Thiersprache ausdehnten. Thomas Gardiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_293.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)