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dehnte den Plan noch weiter aus und gab vielfach Text und Noten der Natur- und Thiermusik. Wir lachen wohl über diese zu weit getriebene Weisheit. Die Sache hat aber nur insofern ihr Lächerliches, als man spezifisch ganz besondere, von der Menschensprache ganz verschiedene Arten der Verlautbarung innerer Lebensregungen in diese Menschensprache übersetzen wollte. Es wird dann eben eine ziemlich sinnlose Zusammenstoppelung von Vocalen und Konsonanten. Ist es doch schön lächerlich und ganz vergeblich, die ebenfalls sehr verthierte englische Sprache und Aussprache durch deutsche Vokale und Konsonanten wiedergeben zu wollen. Wer nach solcher Anleitung Englisch sprechen lernt, ist dem Vollblut-Engländer eben so unverständlich, wie der Chinese oder Böhme.

Thatsache ist, daß die Vögel unter allen Thieren die vollkommensten Sprach- und Musikorgane und Talent für die reichsten Variationen von Tönen und Melodien haben. Ihre Stimme hat zwei Köpfe, d. h. noch einen zweiten Luftröhrenkopf (larynx). Das weiß mancher Junge, ohne es zu wissen: er bläst aus der Gänse- oder Entengurgel noch ziemlich deren Töne, ohne daß er deren Kopf und obern Luftröhrenkopf dazu braucht. Die Nachtigall, anerkannte Königin aller gefiederten Sängerinnen, hat auch den vollkommensten und verhältnißmäßig größten Luftröhrenkopf. Außerdem haben Vögel allein einen Posaunenzug: sie können ihre Luftröhre verlängern und verkürzen, wie der Posaunist seine künstliche Luftröhre. Aber wie die Mozart’s geboren werden, ist auch bei ihnen der angeborne, innerliche, musikalische Sinn die Hauptsache. Sie singen mit Gefühl, mit musikalischem Genie. Welch’ ein Reichthum, welche Fülle von Variation und Individualität in dem lauten Walde des sonnigen, warmen Junimorgens! Woher kommt manchmal plötzlich die tödtlich schweigende Pause? Der Zaunkönig oder irgend ein kleiner, blauer munterer Bursche zirpte plötzlich eine Note des Schreckens in den allgemeinen Jubel. Jeder, selbst der stupide Truthahn, versteht sogleich deren Bedeutung. Ein Stößer schwebt oben, und Alles versteckt sich schweigend unter Gras und Zweige, und ruft die Küchlein und Kindlein unter Schutz und Fittige. So ist’s mit ihrer Freude und Glückseligkeit. Sobald im dämmernden Morgen ein kleiner Frühauf seinen Kopf unter den Flügeln hervornimmt und das Morgenroth anjauchzt, horcht und hört Einer nach dem Andern, wetzt seinen Schnabel und fängt an, in voller, frischer Lust mitzusingen, und nach einer Viertelstunde zirpt und zirkelt, wirbelt und warbelt, schmettert und schmachtet, quirkt und kixert der ganze Wald, als hätte jedes Blättchen seine Stimme und seinen Jubel. Und das geht dann in helläugigster, elastischster, hüpfender und flatternder Lust und Anstrengung fort bis in den heißen Mittag hinein. Dabei gukt es und neckt und liebt es in voller Unschuld und Frische, und auch der dünnste Zweig liefert ein paar Secunden den ätherischsten Wiegstuhl, und unter jedem Blatte, in jeder Baumritze steckt eine besetzte Tafel. Ohne Nahrungssorgen, ohne irdische Schwere, ohne Polizei und Rheumatismus, ohne Paßkarte und Sittenzeugniß sind sie stets nur laute Lust und Glückseligkeit, steht ihnen stets die ganze Welt offen. Die weiche, warme Luft ist ihr Reich, die sie von Frühling zu Frühling trägt oder im härtesten Winter ihnen doch nicht auf die dichtumfiederte Haut kommt. Die flüssige, freie Luft ist ihre Wohnung, ihre stets in Musik verwandelte Lebensquelle. Ungebunden und ohne Schwere und Beschwerde schwingen und schweben, singen und lieben sie in der größten Halle der Natur ihr ganzes Leben hindurch. Noch im Eie übt der kleine Gelbschnabel schon sein Stimmchen und sterbend singt er sich noch selbst sein Todtenlied, in welchem der glückliche, leichte Genius seines Innern sich glückselig wieder auflöst in das schöne, weiche, stets fließende und tönende Element alles lauten Lebens.

Natürlich gilt dies Loblied nicht von allem Federvieh in gleichem Maaße. Im Gegentheil ist die Gabe des Gesanges nirgend ungleicher vertheilt, als unter den Vögeln. Der krächzende Rabe ist ein Vogel, und die Nachtigall auch. Seevögel haben meist nur traurig-schrille, wehklagende Töne, da das Meer ihnen selten etwas Angenehmes vorspielt. Die eigentlichen Sänger und Wirbler leben in Wald und Feld unter angenehmen Eindrücken und mannigfachen melodischen Andeutungen des Windrauschens, Blättergeflüsters und menschlichen Naturgesanges.

Trut- und Putervögel sind die Clowns und Bajazzo’s unter den Vögeln der Abendwelt. Mit geschlossenen Augen tanzend und trippelnd und die närrischsten Bocksprünge auf einem Tannenzweige riskirend, kreischt und krächzt, rumpelt und rachzt, schnattert und gobbelt der Truthahn wie nicht gescheidt, und die Jungen und Schönen unten guken bedeutungsvoll zu, und stoßen bewundernde Beifallszeichen aus. Dadurch noch eitler und verrückter gemacht, bockspringt, kollert und kreischt er nur um so leidenschaftlicher, daß rings Wald und Berge echoend und verhöhnend antworten. Franklin wollte den Truthahn zur Würde des amerikanischen Wappens erheben. Da erzählten ihm Jäger von dem skandalösen Benehmen und Krakeelen dieses Patrons, so daß die Sache sofort aufgegeben ward. Eulen sind die Kopfhänger zu den Komikern. Sie kreischen einförmig und unheimlich in der Nacht (die weiße Eule stets in B-moll), und sind dadurch die Qual manches schwachen Sterblichen und Sterbenden geworden. Zuweilen quieken, schnarchen und zischen sie mit einer Musik, die von Katzen, Mäusen und Affen erlernt zu sein und deren Gesangstalente in eine große Komposition verschmelzen zu wollen scheint.

Unter den schwimmfüßigen Vögeln ist der Schwan alter traditioneller König in Gestalt und Gesang. Das Alterthum verband mit dem Gesange des sterbenden Schwans die höchste, rührendste Süßigkeit der Melodie. Er war Lieblingsvogel des Musengottes Apollo, und Aristoteles und Horaz glaubten, daß Dichterseelen nach dem Tode in Schwänen wieder lebendig würden, weshalb badende Schönheiten zuweilen auch durch Schwäne in große Gefahr geriethen. Leda mit dem Schwane ist sprüchwörtlich durch alle Zeiten gegangen, und von Malern verherrlicht worden. Homer vergleicht die aus ihren Schiffen zur Schlacht eilenden Griechen mit einer Heerde langhalsiger Schwäne, die hin und her flattern, kampflustig mit ihren Flügeln schlagen und laut singen. Auch im eisigen Norden sangen sie hoch über den Häuptern der Krieger, und riefen sie zum Kampfe und die Seelen der Gefallenen in die Walhalla der Unsterblichkeit. In neuerer Zeit haben die Schwäne entweder ihre Stimme oder wir die Ohren für ihren Gesang verloren. Noch segeln sie stolz und majestätisch auf spiegelblanken Fürstenteichen, aber sie sind in der Regel stumm und sehen die Leute an den Ufern nie in bester Laune an. Der Vogel des Apollo ist sehr in seinem alten Ruhme gesunken und Apollo selbst ein Hundename geworden.

Und wie steht’s um das musikalische Talent Hennings, des Hahns und seines Harems? Unter allen musikalischen Haupthähnen nimmt Henning mit seinem stolzen Kamme und seinen steifen Beinen den ersten Rang ein: er braucht nicht „vom Blatte“ zu singen, sondern kräht sein Lied mit geschlossenen Augen, weil er’s auswendig kann. Aber ohne Spaß ist er wenigstens unter den stimm- und tonlosen Sängern der erste Tenorist. Seine Clarinrufe in der schweigenden Nacht ersetzen dem Bauer nicht nur die Uhr und den Nachtwächter, sondern dem schlaflosen Leidenden und dem verirrten Wanderer der Nacht auch oft die süßesten Tröstungen. Wenn sein mächtiger Ruf durch die schweigende Nacht schrillt, haben die Geister der Finsterniß ihre Macht verloren. Der trostlose Wanderer hört ihn weit hinein in seine Verirrung und weiß nun die Richtung, wo menschliche Wesen und Wohnungen zu finden sind. „Die erste Stimme wird gehört hoch im Himmel,“ heißt es im Koran. „Ein weißer Hahn ruft jeden Morgen die Chöre des Himmels zum Gebet; sein klarer Klang schwingt sich durch das Universum. Die Menschen in Sünde und Schlaf hören ihn nicht, aber alle Hähne der Erde vernehmen ihn und stimmen ein in das Lob des großen Allah.“ Die Christen hatten früher einen ähnlichen Glauben und gaben ihm Stellungen auf Kirchthürmen, woraus später der gemeine Wetterhahn ward. – Nach dem ersten Morgenrufe schläft der Hahn wieder etwas mehr als eine halbe Stunde, dann mahnt er zum zweiten Male an den nahenden Morgen. In manchen Jahreszeiten thut er’s auch ein drittes Mal. Bekanntlich antworten sofort alle Hähne der Nachbarschaft und selbst der nächsten Dörfer, so daß der erste Schrei oft Tausende erinnert, ebenfalls ihre Pflicht zu thun. Charakteristisch und wahrhaft heldenthümlich ist sein Siegesruf. Man hat Beispiele, daß er im Kampfe zum Tode verwundet, mit bluttriefendem Herzen erschöpft, aber als Sieger noch einmal mit aller Macht trompetenartig tapfer herauskräht, und dann niederfällt, um in dem verkündeten Glanze seiner Glorie zu sterben. Ueberhaupt liebt er es, nach jedem Kampfe und jeder Verlegenheit triumphirend auf eine Wand oder einen Zaun zu fliegen, mit den Flügeln zu schlagen und sein bekanntes Lied so tutti heraus zu trompeten, daß alles Geflügel der Nachbarschaft hört und zeigt, daß es sich seines Sieges freue. Hähne haben schon Schlachten der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_294.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)