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gegenseitigen Neckereien, Schimpfereien und Turbationen Luft; doch nahm der kleine komische Krieg zuweilen auch eine ernste Wendung. An Ursachen zum Streit fehlte es natürlich niemals, und wenn er einmal hellaufloderte, so durfte sich ein „Herrnört’scher“ nicht wohl in einem Bierhause „auf Uetterodt“ oder „auf dem temmer’schen Boden“ sehen lassen, ohne Gefahr zu laufen, daß er halb todt geschlagen würde. Schlimmer war es nach umgekehrt, wenn ein „Uetteröh’scher“ oder „Temmer’scher“ sich auf „der Herrnort“ sehen ließ. Denn die eigentlichen Streit- und Händelsüchtigen, die Hetzer und Schürer des alten dummen Grolls, die immer wieder anfingen, waren die eisenacher Unterthanen, gerade wie ihr Herzog auch eigentlich der Veranlasser der Entfremdung zwischen seinem und dem gothaischen Hofe war.

Es klingt sonderbar, und doch ist es wahr, daß die Uetterodt’schen sich durch Bildung und Sitte vor den „Herrnört’schen“ hervorthaten, daß Kirche und Schule auf der gothaischen Seite den humanen Gesetzen des Christenthums mehr entsprachen, als die gleichen Institute auf der eisenach’schen Seite, so daß auch hier das Sprichwort zur Anwendung kommen durfte: „Wie der Herr, so der Knecht.“

Diese Verhältnisse dauerten auch unter der Regierung des weimarischen Herzogs Ernst August, welcher Eisenach erbte, fort; denn dieser geizige, abergläubische, wunderlichste und barockste aller Häupter, die je Land und Leute regiert haben, konnte sich ebenfalls nicht mit der aufgeklärten, feinen und taktvollen Herzogin von Gotha vertragen. Nach seinem Tode kam sein unmündiger Prinz Ernst August Constantin unter gothaische Vormundschaft und wurde am feinen gothaischen Hofe erzogen, Eisenach aber von der gothaischen Regierung verwaltet. Da standen denn die beiden Hälften von Ruhla unter einem Regiment, und der Streit ruhte. Später unter Karl August von Weimar und Ernst von Gotha ist er wieder ausgebrochen, wenn auch nicht mit der alten Bißigkeit, und heut zu Tage mögen höchstens ein paar Kinder sich noch über den Bach herüber und hinüber Böcke schimpfen.

Treten wir in die Ruhl des vorigen Jahrhunderts, etwa im zweiten Jahrzehnt desselben, als die Messerfabrikation noch in voller Blüthe stand! Die Wege, welche in das langgestreckte Thal führten, waren meist halsbrechend, die steilen Abhänge der schöngeformten hohen und mächtigen Berge, Rimber (Ringberg), Bärmer (Bärenberg), Engestieg, Dornsenberg, Mühlrain, Wasserberg, Häsel, Kirchberg, Nesselrain und Breitenberg, stürzen von allen Seiten nach dem Bache herab und sind dichter und weiter herab mit Laubholz bestanden, als heutiges Tags. Nur an einer Stelle dehnt sich das tiefe Thal zu geringer Breite aus und gibt mehren Straßen Raum; hier liegen die beiden Kirchen an Bergabhängen einander schief gegenüber. Uebrigens zieht sich der Ort fast eine Stunde lang an den Ufern des Erbstroms hin, kleine freundliche Häuser, oft mit der Schmiedeesse zusammengebaut, oft steht diese als besondres Häuschen daneben. Die meisten hart am Berge. Hier hat sich altthüringische Sprache und Sitte erhalten, wie nirgend weiter. Einst ein mächtiges Königreich, dessen Dynastie einen hochtragischen Untergang erfuhr, wurde dieses reizende und reiche Thüringerland im Laufe der Zeit politisch mehr zerrissen und zerstückt als irgend ein anderes. Die laxen Sitten der kleinen Höfe, die darin gewuchert, die Stürme der Kriege, die darüber hingebraust, und der Fittich der alles verwehenden Zeit hatten die originelle und charakteristische Art und Weise der Altvordern verwischt; in diesem Thale hatte sie sich festgeklammert, in diese Berge war sie wie eingekeilt. Hier sang und schnarrte noch das Idiom, das Martin Luther von seinen Eltern lernte; hier saßen die Reste des alten polytheistischen Volksglaubens, den Karl der Große mit dem Schwert bekämpft hatte, in großer Menge, freilich in christlich gefärbten Aberglauben maskirt; hier fächelte noch der einst so kräftige Hauch individuellen deutschen Volksthums; hier sprangen noch die Eigenthümlichkeiten der altdeutschen Volkstracht mit ihren hellen bunten Farben in’s Auge; in diesen markigen, untersetzten, arbeitgestählten, wettergebräunten Männergestalten war noch etwas Typisches von jenen Helden, von welchen die Römer geschlagen und Europa erobert worden war; in diesen schlanken, gewandten, edlen Frauengebilden mit braunen und blonden Zöpfen und blauen Augen hatte sich die Schönheit erhalten, welche Cäsar und Tacitus bewundert hatten. Die Rühler spielten noch Spiele, die, im übrigen Deutschland verschwunden und vergessen, sich nur noch in England erhalten hatten, sie tanzten noch Tänze, die mehr als alles Andere die harmlose Naivetät des ursprünglichen Volkscharakters zur Anschauung brachten. Alles, was in diesem Ruhlathale lebte und webte, die Menschen, die Kühe, die Hühner, die Tauben und die Finken, war gesund und wohlgebaut, und die Erstern nicht „angekränkelt von des Gedankens Blässe.“ An den schönen Kindern dieser Berge war noch Alles natürlich und wahr.

Wie alle kindlichen Völker waren sie in ihren Vergnügungen und in ihrem Aberglauben am Originellsten. Besonders stark trat ihre Vorliebe für einige Arten gefiederter Erdenbewohner und Zierblumen hervor; die Erstern waren die Hofhühner, die Tauben und die Singvogel; die Letztem Nelken und Aurikel. Unter Jenen erfreute sich der Kampfhahn ihrer ganz besondern Gunst; die Tauben mußten auffallend gezeichnet sein, wenn sie ihnen eine an’s Lächerliche angrenzende Liebe zuwenden sollten, und sie hatten eine reiche Terminologie und Nomenklatur für dieselben, und unter den Singvögeln genoß der Fink bei ihnen eines ganz außerordentlichen Vorzugs.

Die beliebtesten Tauben waren: „Schwarzköpf’, Weißköpf’ (rothe, braune, blaue und gelbe), Rothköpf’, Kahlköpf’, Eulige, Weißeulige, Schwarzeulige, Silbereulige, Lacheulige, Grunzeulige, Lerchenstöpfliche, Gelblichstöpfliche, Weißlichstöpfliche, Gräulichstöpfliche, Grundstöpfliche, Gelbgrundstöpfliche, Silberfarbige, Hammergraue, Rothmalige, Grunzfarbige, Schnürige, Schwalbenschecken, Schwalbenschwänz’, Schwarzmauser, Weißmalige, Schwarzstriemige, Silberbrüster, Roth-, Braun-, Blau-, Gelb- und Weißbrüster.“ – Es ist unmöglich durch bloße Beschreibung die Zeichnungen der Tauben auch nur entfernt anschaulich zu machen; genug sie waren eben so mannigfach wie die Farbenmischungen und es war ein beliebtes, obwohl sehr unsicheres Studium der Taubenzüchter, Farben und Zeichnungen durch eigenthümliche Beimischungen zur Nahrung der Tauben hervorzubringen, und fast Jeder hatte in dieser Beziehung sein Geheimniß. Die „Grunzeuligen“ waren dem rühler Geschmack nach die schönsten Tauben, die „Schwarzeuligen“ die seltensten und theuersten. Es wurde ein nicht unerheblicher Handel mit diesen Luxustauben getrieben, und nicht wenige Messerschmiede arbeiteten mehr für ihren Taubenschlag, als für ihren Haushalt. Die ächten Taubenmänner warteten niemals den Feierabend ab, um mit dem langen Blasrohr den Tauben nachzulaufen; sie ließen gar oft die Arbeit im Stich. Da sah man sie in ihrer Arbeitskleidung, die aus wenig mehr als einem groben schmutzigen Hemd, das den Schlitz hinten hatte, einer kurzen ledernen Hose und einem paar Schlumpschuhen bestand, von Essenruß geschwärzt durch die Straße rennen, die Augen unverwandt auf die Firste der Häuser gerichtet, wo die bunten Gegenstände ihrer Excursionen Platz genommen hatten, oder an den Berghängen und auf den Thalwiesen laufen, das Blasrohr immer schußsertig haltend. Solch ein Schießgewehr war ein höchst wichtiges und eben nicht billiges Möbel in jedem Hause. Die theuersten und besten waren inwendig mit Maulwurfsfellchen gefüttert, und es wurde mit ungebrannten Thonkugeln daraus geschossen. Diese Kugeln wurden in einer eisernen Form gefertigt, und da sie in großer Menge verbraucht wurden, so war ihre Verfertigung eine zeitraubende Arbeit.

Die Finken wurden nach ihrem Gesang klassificirt und benannt, der theils ein natürlicher, theils ein eingelernter war. Es gab Messerschmiede, Schalenschneider und Feilenhauer, welche den ganzen Tag über während ihrer Arbeit am Schraubstock dem im Bauer am Fenster über der Werkbank hängenden Finken vorpfiffen, bis er ein Stückchen nach dem andern nachpfiff. Die vorzüglichsten Finkenschläge waren: „der ein- und zweitheilige Doppelschlag, der Walddoppelschlag, der schmalkalder Doppelschlag, der härfner Doppelschlag, der härzer Doppelschlag; der einfache Wirr, der grobe Wirr, das Kutschengewirr, das Härzergewirr, das Hochzeitgewirr (Hotziggewirr); das Gutjahr, das Tollgutjahr; die Wittscheer, die Pottscheer; das Kienöl, das Quakkienöl, das Würzgebühr, das Richtsgebühr; der einfache Weingesang, der gute Weingesang, der schlechte Weingesang; das Wüthjeh, das Zeterwüthjeh, das Drehwüthjeh; der Scharf’, der gleiche (glich) Scharf’, der urnshäuser Scharf’; das Rädesthier, der Bräutigam, der Kauzjoi (Kuizjoi), der Larzer, der Reuzug, der Tannenwälder, der Fiedelmann (Fiddelmuhn), das Bockshorn.“

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_355.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)