Seite:Die Gartenlaube (1856) 390.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Gemahls schilderte die Gesinnung ihrer Eltern und Geschwister als die aller freundlichste, und sie reiste am 12. November ab.

Der Empfang, der ihr in Berlin zu Theil wurde, war ganz geeignet, alle etwaigen Illusionen bei ihr gründlich zu zerstören. Der König war am Tage ihrer Ankunft nach Potsdam gegangen, die Königin war unentschlossen, ob sie ihre Tochter im Audienzsaale empfangen sollte oder nicht. Sie entschloß sich endlich, umarmte die Erbprinzessin und stellte ihr ihren Gemahl vor. Ohne dem jungen Paare Zeit zu lassen, mit einander zu sprechen, führte sie ihre Tochter in ihr Kabinet, warf sich in einen Lehnsessel, maß jene mit einem strengen Blick und fragte: „Was hast Du hier zu thun?“ Als die bestürzte Erbprinzessin einige Worte von ihrer Sehnsucht, die geliebte Mutter wieder zu sehen, stammelte, unterbrach sie diese: „Sage vielmehr, daß Du ihr den Dolch in’s Herz stößest, und daß Du kommst, um aller Welt zu zeigen, welche Tollheit Du begingst, einen Bettler zu heirathen. Warum bleibst Du nicht in Bayreuth, wo Du Deine Armuth verbergen kannst, statt daß man hier mit Fingern auf sie weist? Ich habe es Dir gesagt, der König wird nichts für Dich thun und läßt sich Alles, was er Dir versprochen schon längst gereuen. Jetzt wirst Du mir zur höchsten Langeweile mit Deinem Elende in den Ohren liegen und uns allen zur Last sein.“ Die weitere Behandlung, welche die Prinzessin erfuhr, entsprach völlig diesem Empfange. Als der König nach Berlin zurückkam, begrüßte er die Tochter sehr kalt, erkundigte sich nach seiner Enkelin und sagte: „Ja, ihr jammert mich, ihr habt das liebe Brot nicht und ohne mich müßtet ihr betteln gehen. Ich bin auch ein armer Schelm, viel kann ich euch nicht geben, aber ich will doch sehen, wie ich’s machen kann. Ich will euch so hin und wieder ein zehn Thaler oder Gulden geben, es hilft euch doch immer fort. Und Sie,“ wandte er sich an die Königin, „geben ihr auch hier und da ein Kleid, denn das arme Kind hat kein Hemd auf dem Leibe.“ Solche unzarte und beleidigende Aeußerungen mußte das junge Paar beständig anhören; nur der Kronprinz behandelte seine Schwester und deren Gemahl liebevoll. Er schenkte ihr sogar tausend Thaler, eine für ihre damaligen Umstände allerdings angenehme Gabe, und vermittelte eine Zusammenkunft zwischen ihr und Seckendorf, die freilich keinen Erfolg hatte. In Folge des fortwährenden Aergers über die niederträchtige Behandlung, welche er und seine Gemahlin erfuhren, sowie des starken Trinkens, zu welchem er genöthigt wurde, erkrankte der Erbprinz ziemlich gefährlich. Die Prinzessin verlebte elende Tage am Hofe ihrer Eltern und sie bereuete oft, auf die leichten Versprechungen ihres Vaters hin die neue Heimath verlassen zu haben. Kaum war ihr Gemahl einigermaßen hergestellt, so mußte er zu seinem Regimente abreisen, das in Pasewalk lag. Auf dem Wege dahin besuchte er seinen Schwager, den Kronprinzen Friedrich in Ruppin. „Dieser war,“ sagt die Prinzessin, „damals sehr liederlich, besuchte alle schlechten Häuser und nahm vorlieb mit dem was er vorfand, ohne sich von den übeln Krankheiten, die er mehrmals davon getragen hatte, witzigen zu lassen. Er wollte den Erbprinzen durchaus zu diesen Ausschweifungen verführen, dieser aber hatte einen Abscheu vor dergleichen Schändlichkeiten.“

Es erhellt aus dieser Stelle, daß Friedrich der Große als junger Mann in Bezug auf Sittlichkeit ziemlich niedrig stand. Derlei sichre Ueberlieferungen, wie dies unstreitig eine ist, sind ganz geeignet, die Vorstellungen von seinem Leben und Charakter, die mehr und mehr in’s Heroisch-Ideale wachsen, auf das richtige menschliche Maß zurückzuführen. Der Schmerz der Trennung von ihrem Gemahle wurde der Prinzessin etwas gelindert durch thatsächliche Beweise von Wohlwollen, die ihr und ihm der in seinen Gemüthsstimmungen so wechselvolle König gab. Freilich währten derlei Sonnenblicke nie lange. Ihre einzige Hoffnung war auf die Rückkehr nach Bayreuth gerichtet und sie ließ sich weder durch Versprechungen noch Schmeichelreden ihres Vaters irre machen; sie hatte hinlängliche Proben seiner wankenden Gesinnung.

Mitte Mai 1735 starb der Markgraf, der in den letzten Jahren durch seine Absicht, eine ihrer Hofdamen zu heirathen, der Schwiegertochter schweren Kummer gemacht hatte. Jetzt traten mit neuen Verhältnissen auch neue Sorgen für die junge Markgräfin ein. Der junge Markgraf, durch die Eifersucht seines Vaters in gänzlicher Unkenntniß der Regierungsgeschäfte aufgewachsen, sah sich anfangs genöthigt, die Verwaltung den Händen seines Staatsrathes zu überlassen. Dieser glaubte sich seine Machtstellung nicht besser sichern zu können, als wenn er dem Markgrafen Mißtrauen vor der vermeintlichen Herrschsucht seiner Gemahlin einflöße. Bei der Liebe und dem Vertrauen, welches zwischen dem jungen Paare herrschte, konnte jedoch ein derartiges Mißverständniß nicht lange währen.

Aeußerlich bedeutende Erlebnisse scheint die Markgräfin ferner nicht viel gehabt zu haben; ihr Leben war der Kunst und Wissenschaft, der Liebe zu Gatten und Kind und der Freude im schönsten Sinne des Wortes gewidmet.

In den Jahren 1743 und 1754 kam Friedrich d. Gr. als Gast nach Bayreuth. Prächtige Feste wurden ihm zu Ehren gegeben, wie dem Prinzen Heinrich von Preußen, der 1751 seine Schwester besuchte. Auch Voltaire lebte eine Zeit lang als Gast der Markgräfin auf der Eremitage.

Im Jahre 1742 unternahm das markgräfliche Paar incognito eine Reise nach Frankfurt a. M., um der Krönung Karl’s VII. beizuwohnen. Um diese Zeit bedrohte die schlimmste Gefahr das Lebensglück der Fürstin; ihr Gemahl begann ein Liebesverhältniß mit einer ihrer Hofdamen, welche die Markgräfin als ihre wahre Freundin zu betrachten seit Jahren gewohnt war. Als würdige Schwester des königlichen Philosophen und als selbstthätige Philosophin, die die schwere Schule des Lebens durchlaufen und ihren Geist durch das Studium mit den Genies aller Jahrhunderte und durch den Umgang mit den bedeutendsten Männern ihrer Zeit gekräftigt hatte, ertrug sie diesen doppelten Treubruch zwar mit tief gekränktem Herzen, doch aber mit Fassung.

Leider brechen die Memoiren der Fürstin hier ab – kein geringer Verlust für die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, und dessen merkwürdigsten Manne, über dessen Charakterentwickelung und Geistesleben die Verfasserin als eine ihm so nahe stehende Schwester sicher die vollgültigsten Aufschlüsse gegeben hat, wie sie diese in dem erhaltenen Theile ihres Werkes verspricht. Wie schon erwähnt, ist Hoffnung vorhanden, daß das höchst interessante Buch einst vollständig erscheinen dürfte. Man hat dem Buche und seiner Schreiberin vielfache Vorwürfe gemacht. Man hat die Memoiren eine Satyre genannt. Sie sind es in gewisser Beziehung und mußten es der Natur der Dinge nach sein. Welcher Mensch von Geist konnte in jener wunderbaren Zeit des Kampfes zwischen deutscher Roheit und französischer Verfeinerung, crasser Bornirtheit und raffinirter Geisteskultur leben und schreiben, ohne satyrische Anwandlungen zu spüren?

Es ist wahr, die Markgräfin schont Niemanden, nicht einmal sich selbst. Mit diesem Vorwurf hängt der der Uebertreibung und Unwahrheit zusammen. Es genügt, auf einen Umstand hinzuweisen, um ihn zu entkräften. Die Verfasserin hing mit Leib und Seele an ihrem königlichen Bruder, doch aber hindert sie ihre Verehrung für ihn nicht, ein unbefangenes Bild seines lasterhaften Jugendlebens zu entwerfen. Sie selbst sagt an einer Stelle: „Ich mache mir aus der Wahrhaftigkeit ein Verdienst, daher werde ich die Fehler, die ich mir zu Schulden kommen ließ, nicht verschweigen.“ Ein weiterer Vorwurf, der der Impietät gegen ihre Eltern, ist nicht unbegründet. Allein mehrere Umstände sprechen zur Entschuldigung der Markgräfin. Die Mißhandlungen und die wahnsinnige Erziehung, welche ihr zu Theil wurden, hätten leicht für immer die Liebe zu ihren Eltern ersticken können, aber trotzdem bewies sie stets ein kindliches Gefühl für ihre Eltern. Es kommen in dieser Beziehung wahrhaft rührende Stellen in den Memoiren vor. Ließ sie sich von ihrem Unmuth zu einer Verletzung der Pietät hinreißen, so bereut sie dies fortwährend. Bereits oben ist ein dahin bezüglicher Auszug aus ihren Bekenntnissen mitgetheilt worden. Allein noch mehr spricht zu ihren Gunsten, daß sie diese Memoiren nicht für die Veröffentlichung schrieb. Sie sagt über diesen Punkt ausdrücklich: „Ich schreibe, um mich zu vergnügen und rechne nicht darauf, daß diese Memoiren jemals gedruckt werden sollen. Vielleicht opfere ich sie einst dem Vulcan; vielleicht gebe ich sie meiner Tochter – kurz, ich bin in diesem Stücke eine Pyrrhonistin (d. h. skeptisch gesinnt). Ich wiederhole es, ich schreibe nur zu meinem Zeitvertreib und mache mir eine Freude daraus, nichts von Allem, was mir begegnet ist, nicht einmal meine geheimsten Gedanken, zu verschweigen.“

Einen glänzenden Beweis von der Innigkeit und Liebe, mit der die Prinzessin an ihrem großen Bruder hing, liefert der Briefwechsel

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_390.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)