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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

So viel“ aus Dr. Baikie’s über die eine lange Reihe heroischer Reisen und Forschungen abschließende Dampfschiffexpedition. Der Bericht könnte reicher, interessanter und belehrender sein. Wir finden z. B. nichts Gescheidtes über die Thier- und Pflanzenwelt, obgleich dies von hoher Wichtigkeit ist.

Aber das Innere von Afrika ist aufgeschlossen. Haben wir erst den deutschen Barth an dem Schlüssel zum Herzen Afrika’s, können wir uns rühmen, einen Helden zu besitzen, der mehr Festungsschlüssel geerntet und mehr Festungen eingenommen, als alle vereinigten Trojaner vor Sebastopol oder Karlchens vor Kronstadt.




Kreuzigung.

Wenn dich die Welt an’s Kreuz geschlagen,
Wenn sie dich geißelt und verhöhnt,
Mußt ihren Spott du lautlos tragen,
Ob auch dein Herz im Busen stöhnt.

Nach innen fließe deine Thräne,
Nach außen hemme ihre Bahn,
Daß keiner der Verfolger wähne,
Er habe wehe dir gethan.

Ein Schmuck sei dir die Marterkrone,
Und sticht dich blutig auch ihr Dorn,
Mit Lächeln jede Schmähung lohne:
Verachtung sei dein schwerster Zorn.

Alb. Traeger.




Der Sicherheitsausschuß in Californien.

Eine der merkwürdigsten Revolutionen, die jemals geschehen sind, hat so eben siegreich ihren Lauf vollendet. Sie war ein höchst gefährliches Experiment, ein furchtbares Beispiel in einem civilisirten Lande, in welchem allein das Gesetz herrschen soll, aber nach den vorliegenden Beweisen eine Nothwendigkeit, eine Anwendung des ersten Naturgesetzes, der Selbsterhaltung. Es war ein Fall, den Schiller im „Tell“ schildert:

„Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“

Das Volk von Californien nämlich, und namentlich der Hauptstadt San Francisco, entzog die Gewalt den Behörden, die sie mißbrauchten, trat zusammen um sich selbst zu schützen und nahm die Vollziehung der Gesetze in die eigne Hand. So war die Revolution in San Francisco nicht Pöbelherrschaft und Anarchie, sondern der energische Versuch der Besten im Volke gegen die Gesetzlosigkeiten der bestehenden Gewalten, eine Anwendung des Lynchgesetzes im Großen gegen die Verbrecher und die mit denselben verbündeten Behörden, ein Auftreten von „Regulatoren“ in Masse, wie man es so oft in verschiedenen neu sich bildenden Staaten in Amerika, auch in Californien schon einmal gesehen hat, als bald nach Entdeckung des Goldes daselbst der Auswurf aller Länder dahin strömte.

In den letzten fünf oder sechs Jahren hatten sich in dem Goldlande, besonders in San Francisco, wiederum eine Menge Gesindel, Diebe, Mörder, Spieler oder desperater Menschen gesammelt. Während die Ehrlichen dem Gewinne eifrig nachgingen und sich in schimpflicher Gleichgültigkeit weder um die staatlichen noch um die städtischen Angelegenheiten kümmerten, waren die Schurken um so rühriger, bis es ihnen gelang, sich selbst und ihre Helfershelfer in die einflußreichsten Aemter, ja selbst in Richterstellen zu bringen. Daß von Recht und Gerechtigkeit da nicht die Rede sein konnte, wird wohl Jeder glauben. Mordthaten geschahen öffentlich mit der größten Frechheit und die Mörder fanden – Schutz bei den Richtern, ihren Genossen. Es lag eine drückende Schwüle über San Francisco, denn Niemand war, bei der in Wirklichkeit bestehenden Spitzbuben- und Mörderherrschaft seines Lebens und Eigenthums sicher. Am muthigsten und entschiedensten gegen solche Zustände sprach sich James King aus, der in San Francisco eine Zeitung herausgab, ein Ehrenmann im weitesten Sinne des Wortes und deshalb bei allen Ehrenhaften hochangesehen. Auch gegen einen gewissen Casey, der in New-York wegen Verbrechen bestraft, in San Francisco aber durch seine Genossen in ein Amt gebracht worden war, äußerte er sich entschieden, und Casey schoß ihn bei hellem Tage mit der größten Kaltblütigkeit auf der Straße nieder.

Diese Blutthat zerriß endlich die Geduld des Volkes. Casey hatte sich dem Gericht, seinen Freunden, übergeben, die ihn zu seiner – Sicherheit in das Gefängniß brachten. Das Volk aber wußte, daß ihm kein Haar gekrümmt werden würde, es stand deshalb auf wie ein Mann. So könne und dürfe es nicht langer gehen, hieß es allgemein. Es traten mehrere angesehene Männer, – darunter viel deutsche – zusammen, um die Leitung des Aufstandes gegen die Behörden zu übernehmen, eine Art provisorische Regierung, genannt der Sicherheitsausschuß. Alle ihnen Gleichgesinnten griffen zu den Waffen und stellten sich dem Ausschuß zur Verfügung. Als Alles bereit, als King so feierlich wie noch Niemand in San Francisco begraben war, zogen ein paar Tausend Bewaffnete vor das Gefängniß, um Casey und einen andern Mörder mit Gewalt hervorzuholen und vor den Sicherheitsausschuß zu führen, der in einem großen Gebäude permanent versammelt blieb.

Zuerst erschienen zweitausend Mann, sämmtlich mit Büchsen bewaffnet. Ihnen folgten fünfhundert Andere, deren Jeder einen Revolver in der Hand hielt. Tausende von Neugierigen füllten den Platz vor dem Gefängnißgebäude und die anstoßenden Straßen; aber sie verhielten sich ruhig, denn sie wußten, es solle eine große That der Volksjustiz erfolgen. Man hörte nichts als den Tactschritt der Bewaffneten „und nie hat San Francisco einen feierlichern Aufzug gesehen.“ Gegen das Thor des Gefängnisses wurde eine Kanone gerichtet, um dasselbe einzuschießen, wenn man sich weigerte es zu öffnen. Man weigerte sich indeß nicht; die Abgeordneten des Ausschusses konnten ungehindert hindurchschreiten und nach wenigen Augenblicken kamen sie mit Casey zurück, der todtenbleich war, denn er ahnte sein Schicksal. Man setzte ihn in einen Wagen, den Bewaffnete zu Pferd begleiteten, und brachte ihn vor den Sicherheitsausschuß. Nach einer Stunde holte man aus dem Gefängnisse eben so vorsichtig einen andern Mörder, Cora, ab.

Dreihundert Bürger, die sich alle drei Stunden ablösten, hatten die Wache an dem Gebäude, in welchem der Sicherheitsausschuß seine Sitzungen hielt, und zwei Kanonen waren so aufgestellt, daß sie die nächsten Straßen bestreichen konnten. Ein Sherif, der im Namen der Gerichtsbehörde die Wiederauslieferung der beiden Gefangenen verlangen sollte, konnte nicht einmal zu dem Ausschuß gelangen. Die Stadt erwartete den Spruch in äußerster Spannung, aber das Exempel sollte in besonders feierlicher Weise statuirt werden: am Tage des Begräbnisses des Gemordeten, nachdem der Sicherheitsausschuß beide Mörder verhört, wurden sie, eine Stunde nach der feierlichen Beisetzung des Erschossenen, vor den Fenstern des Sitzungslokales aufgehangen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_559.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)