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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Zweckmäßigkeit als Gesetz anerkannte. Die Wichse verlieh ihm eine Eleganz, die sich auch der Aermere verschaffen kann.

Auf langen Umwegen kam die Weltgeschichte von der rohen Thierhautsohle zum zierlichen Stiefel, der in mannigfachen Formen dargestellt wird. Die klassischen Alten kennen nur die Sohle und Lappenschuhe, ein Schuhmacherladen unserer Zeit zeigt, wie erfindungsreicher und schöpferischer unsere Völker sind. Da stehen Wasser-, Stülp-, Tanz-, Gehstiefeln, Morgenstiefelchen, Corduan- und lackirte Stiefeln, Stiefeletten, nicht minder eine Reihe verschiedener Schuhe und Pantoffeln. Da uns aber der Stiefel ein Neuling ist, so heißen unsere Fußbekleidungsfabrikanten Schuhmacher, wogegen der Franzose sie Stiefelmacher nennt. Frauen, viel empfänglicher für mittelalterliche Phantastik und zierlichen Rococco, haben den Schuh beibehalten, wogegen der Mann sein Streben nach Fortschritt dadurch bekundet, daß er Stiefeln trägt.

Hiermit glauben wir unsere Überschrift gerechtfertigt zu haben, da sich an scheinbar Gleichgültigem die Umwandlungen der Weltgeschichte nachweisen lassen; denn Sitte und Gewohnheit haben ihre tieferen Gründe. An einer Schuh- und Stiefelsammlung könnte man die Weltgeschichte und die Sinnesart der Völker demonstriren. Daher sollten Alterthumssammler jenen Resten von Fußbekleidung, die nutzlos auf Düngerhaufen zu verkommen pflegen, ihre Aufmerksamkeit zuwenden, weil solche Dinge später lebenden Gelehrten reichen Stoff zu Unterhaltungen, Streitschriften, und akademischen Preisfragen geben können.

Fried. Körner.




Blätter und Blüthen.


Der Lebensbaum. Wenn man in der gesegneten Kolonie Victoria auf Neuholland weiter nach dem Innern vordringt, stößt man oft mitten im üppigsten Walde auf große, anscheinend ganz unversehrte und kräftige Bäume, die trauernd ihre abgestorbenen Zweige gen Himmel strecken. Untersucht man sie genauer, so entdeckt man auch die Ursache: sie sind durch das Abschälen der Rinde am Fuße absichtlich getödtet worden. Diese Erscheinung hat ihren Grund in einer sehr poetischen Sitte der Eingeborenen jener Gegend.

Wie bei allen Völkern, wo eine überhitzte, materialistische Civilisation und die nie ruhende Sorge um den Erwerb noch nicht alle Aeußerungen des Gemüthslebens erstickt hat, erfolgt auch bei jenen Wilden die Mündigkeitserklärung der jungen Leute und ihre Aufnahme in den Kreis der Männer, – dieser ernste Wendepunkt des Lebens, – unter gewissen bedeutungsvollen Feierlichkeiten. Ist der Tag erschienen, mit dem ein junger Mensch das Knabenalter beschließt und zur Genossenschaft der Männer und Krieger reif ist, so führen ihn die Häuptlinge seines Stammes nach einem entlegenen Theil des Waldes und entfernen sich wieder. Hier verweilt er zwei Tage und eine Nacht in einsamen Betrachtungen und bricht sich mittelst eines Holzes, das er mitbrachte, die zwei oberen Vorderzähne aus. Nach sechsunddreißig Stunden kehrt er in’s Lager zurück, legt die ausgebrochenen Zähne feierlich in die Hände seiner Mutter, ißt und trinkt und begibt sich hierauf wieder in den Wald, um weitere zwei Nächte und einen Tag fastend in Einsamkeit zu verbringen. Während dieser Abwesenheit hat seine Mutter einen jungen Gummibaum von ungefähr dem Alter ihren Sohnes ausgesucht, den sie gleichsam mit ihm vermählt, indem sie die Zähne desselben sorgfältig in die oberste Gabel der Zweige einschlägt. Diesen Baum kennen nur wenige besonders geachtete Leute des Stammes, dem jungen Mann selbst, der nach seiner zweiten Rückkehr unter Schmaus und Tanz und Waffenspiel zum Mann und Krieger erklärt wird, bleibt sein Lebensbaum streng verborgen. Nach seinem Tode aber wird durch die Eingeweihten auch der ihm verbundene Baum getödtet und bildet mit seinen trauernden, abgestorbenen Zweigen ein ebenso einfaches als beredtes Denkmal des Dahingeschiedenen.

Für die Hetzjagd unseres geschäftlichen Treibens, wo über die Sorge um die Mittel der Existenz der Zweck derselben ganz aus den Augen verloren wird, kein Mensch mehr zu sich kommt und Jeder sich selbst das allerfremdeste Wesen ist, für diesen gänzliche Hingegeben sein an das Aeußerliche liegt eine gar beherzigenswerthe Mahnung, in der so weit verbreiteten uralten Sitte, sich durch einsame Betrachtung und Sammlung auf alle wichtigeren Lebensmomente vorzubereiten und namentlich den Eintritt in das Alter der Selbstständigkeit auf solche Weise ernst und würdig zu begehen. Bei den alten Deutschen hielten die Jünglinge bekanntlich zu gleichem Zwecke die nächtliche Waffenwacht, und einige Negerstämme im Westen von Afrika dehnen sehr vernunftgemäß diese weise Einrichtung auch auf die Mädchen aus, die sich beim Eintritt in das Jungfrauenalter unter dem Schutze einiger Matronen in den Wald zurückziehen, wo sie bei Verlust des Lebens von keinem Manne in ihrer mehrwöchentlichen Einsamkeit gestört werden dürfen.





Der Vampyr. Die Naturgeschichte versteht unter Vampyr (vespertilio vampyrus) eine große Fledermaus, die in mehreren tropischen Ländern, besonders in Brasilien vorkommt und welche Menschen und Thieren durch Blutsaugen Gefahr droht, wenn sie dieselben im Schlafe überrascht. Allein nicht diese Art von Geschöpfen, die übrigens in Europa ganz unbekannt ist, soll uns hier beschäftigen. Der Vampyr, von dem wir reden wollen, ist ein Geschöpf der Phantasie, und zwar eines der furchtbarsten, die sie geboren hat: eines, dessen Entstehung nicht zu begreifen wäre, wenn nicht im Menschen der sonderbare Hang zum Wunderbaren und Uebernatürlichen oft alle Vernunft zu Schanden machte, daß sie sich vor dem tollsten Unsinn beugen muß. – Weit und breit scheint die Meinung geherrscht zu haben, und an manchen Orten noch zu herrschen, daß der Todte unter gewissen Umständen nicht todt sei, daß er noch eine Art Leben führe, daß aber dieses Leben auf andere Lebende furchtbare Einwirkungen äußere. In verschiedenen Gegenden hat sich diese Vorstellung verschieden geäußert, ohne in der Hauptsache ihren Ursprung zu verläugnen. Im Oriente herrschte von alter Zeit her die Meinung, daß ein Leichnam aus dem Grabe hervorgehen könne, um die, welche er im Leben geliebt habe, zu quälen, zu verletzen, ihnen eine tödtliche Bißwunde beizubringen. Wenn die so Verletzten todt seien, behauptete der Wahn, so würden sie ebenfalls solche Vampyre, Brancolacha, Bardoulacha, Goul, Broncolacka, wie sie dort in den verschiedenen Gegenden heißen. Tournefort führt in seinen Reisen mehrere Beispiele an, wovon er Zeuge gewesen sein will. In Griechenland herrschte derselbe Glaube seit der Trennung der griechischen von der lateinischen Kirche. Die mit dem Banne belegten und in demselben Verstorbenen sollten Vampyre werden. Von Griechenland verbreitete sich diese Fabel nach Ungarn, Polen, überhaupt nach Westen. Besonders wurde 1732 ganz Europa durch die Nachrichten aufgeregt, welche aus Ungarn darüber in Umlauf kamen. An der Grenze Serbiens, zu Cassovia, war ein Heiduck, Namens Arnold Paul, angeblich von einem Vampyr gebissen. Er starb, und nach wenigen Wochen herrschte in der ganzen Umgegend die Klage, daß er herumwandle, um Freunde und Verwandte zu quälen. Vier waren bereits verstorben. Man grub den Leichnam aus, fand ihn ganz frisch, stieß ihm einen Pfahl durch’s Herz, wobei er heftig schrie, schnitt ihm den Kopf ab, verbrannte den Körper und streute die Asche auf das Grab. Dasselbe geschah mit den Leichnamen der durch seinen Biß angeblich bereits ebenfalls Verstorbenen. Aus dem angewendeten Mittel erhellt, daß man in dieser Gegend schon mit der Idee vertraut war. Auch in Deutschland scheint schon lange vor dieser Zeit eine ähnliche Ansicht verbreitet gewesen zu sein. Namentlich in Sachsen finden sich unleugbare Spuren von diesem Volksglauben: man nahm an, daß der Todte schmatze, daß er an dem Leichentuche, Leichenhemde sauge, und daß dieses Schmatzen und Saugen den Tod seiner nächsten und liebsten Verwandten zur Folge habe. Deshalb traf man häufig Vorkehrungen, dieses Schmatzen und Saugen zu verhüten. Namentlich legte man ein Stück Rasen unter das Kinn, um so jede Berührung der Zunge, der Lippen mit der Brust u. s. w. unmöglich zu machen, oder man band das Unterkinn fest mit einem Tuche zu. Daß die Idee von jenem östlichen Vampyrismus hierbei aber ganz dieselbe gewesen sei, geht besonders klar aus einer Anordnung hervor, welche man bereits im 16. und 17. Jahrhundert zu Freiberg traf, wo die Pest große Verheerungen anrichtete, und wo man, wenn Mehrere hinter einander aus einer Familie schnell starben, dies nicht von der Pest, sondern vom Saugen des Todten ableitete. Wir haben gehört, wie jenem todten Heiducken ein Pfahl durch’s Herz gestoßen und der Kopf abgehauen wurde; gerade so verfuhr man, der Chronik jener Stadt zu Folge, in Freiberg: man stieß dem Todten mit dem Spaten den Kopf ab, schlug ihm einen Pfahl durch’s Herz und verbrannte dasselbe zu Pulver.

In Griechenland herrscht die Furcht vor Vampyren noch jetzt allgemein, und hier lernte Lord Byron diesen Aberglauben genauer kennen. Seine zum Wilden, zum Schauerlichen gestimmte Phantasie faßte ihn begierig auf, und er gründete darauf seine bekannte Erzählung: der Vampyr.




Allen Freunden gemüthlichen Humors!

wird auch für dieses Quartal der allbekannte und überall gern gesehene

Illustrirte Dorfbarbier.
Ein Blatt für gemüthliche Leute von Ferdinand Stolle.

bestens empfohlen. – Während der alte knorrige General von Pulverrauch und der ehrliche Dorfbarbier die Weltgeschichte coram nehmen, verhandeln Nudelmüller und Breetenborn die brennenden Fragen des Tages und erheitert der ewig lustige Bildermann durch seine komischen Illustrationen die große, große Kundschaft. – Jede Woche kommt der Dorfbarbier einen großen Bogen stark mit komischen Illustrationen und Zeitbildern, und läßt sich das ganze Vierteljahr mir 10 Ngr. zahlen. – Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.

Leipzig, im Oktober 1856.

Ernst Keil.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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