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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

rührt daher, daß die kältere Luft, welche schwerer ist, sich herabsenkt, während die wärmere nach Art des Luftballons, der eigentlich nichts ist, als eine warme Luftblase, emporsteigt. Demzufolge muß die Luft in der Nähe der unteren Fenstertafeln kühler sein als die vor den oberen schwebende. Das läßt sich leicht sichtbar machen. Hänge ich eben jetzt mein Thermometer vor die unterste Fensterscheibe, so zeigt es 10°, vor der oberen dagegen 16° Wärme. Durch die kühleren unteren Scheiben wird deshalb die Luft leichter auf den Thaupunkt gebracht, wo sie wie ein mit Salz bestreuter Blutegel ihren Raub herausgeben muß. Aus diesen Thatsachen erklärt sich unmittelbar, warum jede einzelne Fensterscheibe am unteren Ende zu beschlagen anfängt und hier sich mit größeren Tropfen bedeckt. Bei diesem letzteren Vorgange trägt übrigens auch die durch Gerinnung frei werdende latente Wärme etwas bei. So oft nämlich ein dampfförmiger Körper zu Tropfen gerinnt oder so oft eine Flüssigkeit zum festen Körper erstarrt, wird die Wärme, welche dem Dampfe oder der Flüssigkeit zu ihrem lockeren Zustande verhalf und von ihnen gebunden war, in’s Freie gegeben und läßt sich nun durch ihre Einwirkung auf das Thermometer nachweisen.

Drittes Räthsel. „Warum ist eine bethaute Glastafel nicht durchsichtig, sondern nur durchscheinend?“ Da der Winter an Laien in der Optik keine zu hohen Ansprüche macht, läßt er folgende Lösung, die freilich mehr eine bloße Erläuterung durch ähnliche Vorgänge als eine Theorie ist, gelten. Die Luftwellen werden sehr geschwächt, wenn sie sich durch die Poren netzartiger Körper durchdrängen müssen; deshalb bewirkt eine mit Tuch überspannte Oeffnung eine so bedeutende Dämpfung der Töne, welche im Zimmer erschallen, für die außen Horchenden. Aehnlich verhält es sich mit dem Lichte, besonders wenn es mehrere verschiedene Körper nach einander durchdringen muß. Das klare Wasser ist undurchsichtig, wenn es beim Herabstürzen am Wasserfalle sich in Schaum verwandelt; Glas oder Kolophon liefert, wenn es gepulvert wird, undurchsichtigen Staub. Am schäumenden Wasserfalle muß sich das Licht bald durch Wassertröpfchen, bald durch Luftbläschen, im letztgenannten Falle bald durch Glas- und Harztheilchen und Luft hindurchkämpfen, und wird dadurch sehr entkräftet. – „Gut,“ meint der Räthselmann; „aber, wenn ich einmal durch Analogien abgefunden werden soll, warum gibt ihr nicht die näher liegende von den Wolken? Ist nicht eine aus klaren Wassertropfen bestehende Wolkenschicht so undurchsichtig, daß selbst die Sonne nicht durchblicken kann?“

Viertes Räthsel. „Warum spiegelt sich an einer bethauten Glastafel die Lampe nicht deutlich ab und gibt nur einen unbestimmten matten Wiederschein?“ – Ein vom Winde bewegter Teichspiegel gibt kein deutliches Spiegelbild der Uferlandschaft, weil die wellig gekräuselte Oberfläche die anprallenden Lichtwellen unregelmäßig zurückwirft und verwirrt. Die bethaute Fensterscheibe ist durch die Wassertröpfchen höckerig geworden, und die an den kleinen Höckern abprallenden Lichtwellen verwirren sich mit den aus den Vertiefungen zurückgeworfenen, so daß keine regelmäßige Strömung der Lichtwellen zum Auge gelangt und darum im letzteren kein Bild entsteht.

Fünftes Räthsel. „Warum sitzen am Fenster nicht kugelrunde Tropfen, wie am bethauten Blatte, sondern nur abgeflachte, unregelmäßig umrandete Wassertröpfchen?“ – Auch die Lösung dieser Frage finden wir nach einigem Sinnen. Wasser, welches auf den breternen Fußboden verschüttet wird, läuft sogleich breit; auf der gebohnten Diele dagegen oder auf der gefirnißten Tischplatte bleibt es in Form einzelner Tropfen haften. Aehnliche Unterschiede in der Benetzung treffen wir durch Besprengung einer reinen und einer fettigen oder staubigen Schiefertafel mit Wasser. Die einzelnen feinsten Wassertheilchen haben offenbar den Trieb, sich um einen Kameraden, der sich zuerst gelagert, eng zusammenzuschaaren, sowie die Schafe um den lagernden Leithammel oder die jungen Gänschen und schwärmenden Bienen sich in einen Klumpen gruppiren. Diesen Gruppirungstrieb (Cohäsion genannt), durch welchen sie Kugeln (Tropfen) bilden, befriedigen die Wassertheilchen stets, wenn kein Hemmniß sie daran hindert. Ein solches Hinderniß tritt aber ein, wenn der Körper, auf dessen Oberfläche sie sich niederlassen, sie stark anzieht, so daß jedes Theilchen des festen Körpers sich mit Kraft bestrebt, ein Theilchen Wasser an sich zu ziehen. Man hat die Ursache dieser Erscheinung Adhäsion (Anhaftekraft) genannt. Macht sich diese Kraft geltend, so mußte das kleinste Wassertheilchen seinem Geselligkeitstriebe entsagen, und kann sich höchstens zu kleinen Truppen mit den Nachbarn associiren. Staub und Fett haben keine Adhäsion zum Wasser, so wenig als der wachsartige Ueberzug der Pflanzenblätter, darum bildet das Wasser auf staubigen und fetten Unterlagen kleine Kugeln, weil hier blos der sociale Trieb der Wassertheilchen waltet. Reines Holz und blanker Schiefer dagegen übt starke Anhaftungskraft aus, jedes Theilchen Holz oder Schiefer bannt ein Theilchen Wasser an sich, so daß es mit der Bildung großer Gruppen vorbei ist. Am Glase haftet das Wasser gern, denn von dem über den Rand des Trinkglases übergelaufenen Wasser bleiben an der Außenseite des Glases Tröpfchen hängen und an einem Glasstabe, der in’s Wasser getaucht wurde, blieb ein Wasserüberzug festgebannt.

Je mehr aber das Glas unrein, mit Fett oder Staub bedeckt ist, desto weniger haftet das Wasser an ihm, und bildet statt eines gleichmäßigen Ueberzuges größere Tropfen. Unsere, nie ganz von Staub und Fett freien Fensterscheiben üben eine beschränkte Adhäsion aus, sie lassen Wasser an sich ankleben, aber nicht in einer gleichmäßigen Schicht, sondern in einzelnen kleinen Tröpfchen, die an ihren Rändern sich zum Theil mit den benachbarten Tröpfchen vermischen und dadurch abplatten. Je reiner eine Glastafel ist, mit desto feineren Tröpfchen beschlägt sie. Haben sich größere Tropfen an das Fensterglas angesetzt, so rollen sie, kleine geschlängelte Strömchen bildend und die untern Tropfen lavinenartig mit sich fortreißend, abwärts, weil nun der Zug die Erde, der gern Alles an sich reißt, die Oberhand bekommt, also die Schwere über die Adhäsion Herr wird.

„Die Lösung mag passiren,“ meint der Räthselmann, „da ihr Menschen nun einmal mit eurem Erklären nicht weiter kommt, als zu sagen: das Wasser haftet, weil es Anhaftungskraft hat. Lassen doch die Examinatoren, fast wie in Molière’s eingebildeten Kranken, den Kandidaten auch passiren, wenn er das Purgiren der Sonne durch die Purgirkraft derselben erklärt!“ Aber genug der Räthsel und zur Abwechselung ein Spiel am bethauten Fenster!

Wir wischen eine Scheibe sorgfältig rein, und schreiben nun mit dem Finger einen Namen darauf. Dieser bleibt natürlich, wie ein mit trockener Feder geschriebener Buchstabe, unsichtbar. Jetzt behauchen wir die Scheibe, und siehe da, der Name ist deutlich zu lesen. Wenn durch die Stubenwärme der Beschlag verdampft, verschwindet der Name. Nach abermaligem Behauchen kehrt er wieder, und läßt sich oft mich mehreren Stunden auf’s Neue sichtbar machen.

Damit nicht Tischrücker, wenn solche unter den geneigten Lesern sein sollten, auch hier den Fingerspitzen eine geheime magnetisch-elektrische Kraft zuschreiben, nehmen wir ein anderes Schreibwerkzeug, einen Holzspan, eine Federspule, ein Stück Speckstein, einen Eiszapfen. Immer erscheint nach dem Behauchen die sympathetische Schrift wieder. Am längsten scheint sich die Nachwirkung des Eisgriffels zu erhalten; in allen Fällen aber zeigt sich bei der Behauchung ein Unterschied im Bethauen an den Schriftzügen und dem Grunde. Die Schriftzüge bekommen stets einen geringeren Wasserbeschlag, als der Glasgrund.

Da die Stärke der Bethauung bei gleichartigen und gleich glatten Körpern von dem Grade der Adhäsion abhängt, welchen die Oberfläche des festen Körpers auf den Wasserdampf ausübt, so müssen die vom Schriftzüge getroffenen Glastheilchen eine Aenderung ihrer Adhäsionskraft erlitten haben. Wie mag diese bewirkt sein?

Der Schlüssel des Geheimnisses scheint in Folgendem zu liegen. Taucht man einen Glasstab in siedendes Wasser, so sieht man von ihm sogleich Luftblasen aufsteigen. Das Glas hatte also Lufttheilchen durch Adhäsion an sich gebannt, die jetzt durch die Hitze fortgetrieben werden. Die Wärme ist nun einmal kein Freund des dichten Beisammenseins. So wie sie die Wassertheilchen im Kochtopfe auseinander jagt, daß sie überlaufen, so scheucht sie auch die Menschen, die im Winter gern eng beisammen sitzen, auseinander; im Sommer rücken die Passagiere der Post so fern von-, im Winter so nahe wie möglich aneinander.

So gut wie jener Glasstab hat auch die Fenstertafel eine Schicht Luft an sich gezogen und hält sie als eine Art Sonder-Atmosphäre an sich fest. Tritt nun in diese adhärirende Luftschicht Wasserdampf, so sucht die habgierige Glasscheibe auch davon soviel an sich zu ziehen, als es ihre Adhäsionskraft erlaubt. Je mehr sie aber schon Kraft anwenden muß, um die Luftschicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)