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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

der sie überall mit Spionen umgab. Man war bereits überein gekommen, daß man sich zu nächtlicher Stunde sehen wollte, und das Kammermädchen hielt ein Fenster bereit, wo allein das Einsteigen mit einer Leiter möglich war, nur mußte eine Schwierigkeit besiegt werden, und die bestand darin, daß das Fenster in geringer Entfernung von einem Palais sich befand, vor welchem zwei Posten Schildwache hielten. Diese mußten nothwendig Alles bemerken, was an dem gegenüberliegenden Hause geschah, und natürlichcherweise mußte durch sie das ganze Unternehmen vereitelt werden. Wie es nun also anfangen, dazu bei hellem Mondschein, die Soldaten unschädlich zu machen? Ich kam auf eine List. In meinen Mantel gehüllt, spielte ich die Rolle eines fremden Wunderdoktors und brachte die Burschen, die ich durch die Flasche kirre gemacht, dahin, daß sie mir einen Pflasterstein, der in gehöriger Entfernung und von dem bezeichneten Hause in entgegengesetzter Richtung in der Mitte der Straße lag, mit ihren Bajonneten ausgruben. Bei dieser Arbeit, die ich künstlich noch zu verlängern wußte, brachte ich jene Beiden in solche Stellung, daß sie dem Hause den Rücken kehrten und folglich nichts sahen, als dort die Leiter angelegt wurde, auf der mein Herr einstieg. Das Stückchen gelang vortrefflich. Es kam nichts heraus; bald darauf verließen wir auch die Stadt; mir hat der Spaß eine volle Börse eingebracht.“

„Und den armen Grenadieren zwölf Tage strengen Gewahrsam,“ setzte der Rutowsky’sche Diener hinzu. „Jetzt wissen wir, was uns in Dresden lange Zeit Unruhe gemacht, denn unser gnädiger Herr und so Viele mit ihm hatten seit der Zeit die größte Neigung, Pflastersteine zu betrachten und auszugraben. Und wie sorgfältig haben wir nach dem Alchymisten forschen lassen. Nun ist an Allem ein spitzbübisches hübsches Weib schuld.“ Das Abenteuer wurde belacht. –

Der Herr Hofrath Meusel zu Erlangen hat in seinen historischen Unterhaltungen diese Anekdote erzählt und versichert, es sei über diese Begebenheit ein Protokoll aufgenommen worden.




Goethe’s „Erlkönig.“ Auf einer meiner größeren Excursionen traf ich jüngst, von dem reizenden Dornburg kommend, nicht fern dem Dorfe Kunitz einen Greis, der, wie ich, nach Jena wollte. Als wir zusammen auf der Straße dahin schritten, lenkte ich das Gespräch auf die großen Geister, welche vor länger als einem Jahrhunderte an der Universität gelehrt und gewirkt hatten. Zu meiner Verwunderung gedachte der Alte mit Begeisterung jener Zeit; eine ganz besondere Pietät bezeigte er aber gegen den edlen Schiller. In Erinnerungen an jene Tage versunken, gelangten wir an den Gasthof „zur Tanne,“ und als die Blicke meines Begleiters auf denselben fielen, deutete er auf das eine Eckzimmer und sagte:

„Sehen Sie, dort in jener Stube hat Goethe seinen „Erlkönig“ gedichtet.“

Auf mein Befragen, ob ihm etwas Näheres darüber bekannt sei, antwortete mir der Greis, im Jahre 1781 habe sein Vater in der „Tanne“ gedient und ihm später oft das Fenster gezeigt, an dem Goethe gesessen.

„Es war im April des eben genannten Jahres“ berichtete mein Begleiter, „als ein wohlhabender Landwirth, dessen einziges Kind von einer bösartigen Krankheit ergriffen worden war, so daß keiner der herbeigerufenen Aerzte ihm helfen konnte, dasselbe, auf das Sorgfältigste eingehüllt, mit sich auf sein Pferd nahm und nach Jena ritt, um dort einen durch seine Curen berühmten Professor der Medicin um Rath zu fragen. Wirklich kam er glücklich in der Universitätsstadt an; aber auch der dortige Arzt erklärte es für ein Ding der Unmöglichkeit, den Knaben zu retten. Trostlos bestieg der Vater mit dem Kinde wieder sein Reitpferd und eilte, an der „Tanne“ vorbeijagend, seinem heimathlichen Dorfe zu; indeß ehe er dasselbe erreichte, war der Liebling in seinen Armen verschieden. – Einige Tage nach dieser Begebenheit kam Goethe nach Saal-Athen, wo ihm der traurige Ritt des Bauern erzählt wurde. Die Mittheilung ergriff ihn so gewaltig und der Stoff, der ihm durch Herder’s Uebersetzung des dänischen Volksliedes: „Erlkönigs Tochter“ vielleicht schon länger vorgeschwebt haben mochte, begeisterte ihn dermaßen, daß er sich sofort in die einsam gelegene „Tanne“ zurückzog und die herrliche Ballade dichtete. Ein Beweis mehr dafür, daß Goethe’s Poesien nicht, wie man sagt, gemacht, sondern immer das Ergebniß seiner Erlebnisse und Stimmungen waren.“

R. G.




Das Album für Deutschlands Töchter, unsern Lesern bereits früher empfohlen, ist jetzt in dritter Auflage erschienen. Der Herausgeber hat sich sichtbar bestrebt, nur solche Dichtungen aufzunehmen, welche das Gemüth und Seelenleben der Frauenwelt bewegen, und wie es scheint, hat er - das beweisen die wiederholten Auflagen – seine Aufgabe mit vielem Glück gelöst. Die meisten dieser Gedichte sind mit Illustrationen von Goetze, Georgy und Kretschmer geziert, wie denn überhaupt dieses Album, was Druck, Papier und Einband anlangt, mit einer Pracht ausgestattet ist, wie wenige Bücher des diesjährigen Weihnachtsmarktes. Es wird deshalb auch dieses Jahr als eins der brillantesten Buchgeschenke auf vielen Weihnachtstischen deutscher Frauen und Jungfrauen prangen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_708.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)