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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Augenblicke war es bei mir entschieden, Kleist sei dazu geboren, die große Lücke in unserer Literatur auszufüllen, die, nach meiner Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Goethe nicht ausgefüllt worden ist.“

Nicht minder enthusiastisch lautete das Lob, welches der verstorbene Generallieutenaut Rühle von Lilienstern und der noch lebende frühere Minister von Pfuel, die intimsten Freunde des unglücklichen Dichters, seinem Trauerspiele „Leopold von Oesterreich“ zollten. Nach mündlichen Mitteilungen des Letzteren an den Schreiber dieser Zeilen gehörte die Exposition dieses Stückes zu den großartigsten Schöpfungen der neueren Poesie.

Kleist konnte nicht einen leisen Seufzer unterdrücken, als er die vielfach durchstrichenen Manuscripte in die Hand nahm. Es war ihm zu Muthe, als wären es seine Kinder, die er verlassen sollte. Ein bitteres Gefühl überkam ihn mit einem Male, wenn er an die daran geknüpften Hoffnungen und Aussichten dachte, welche sich nie verwirklichen sollten. Hatte er nicht von einer idealen Bühne geträumt, von einem frischen Lorbeerkranze, das Haupt des Dichters zu schmücken?

Sie waren unvollendet geblieben, nicht weil der Schöpferdrang in ihm erstorben war, sondern weil der Schmerz um das verloren geglaubte Vaterland an seiner Seele nagte und die Schwingen des Genius lähmte. Er besaß nicht jene objectiv ruhige Natur eines Goethe, der zur Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands sich mit Osteologie beschäftigte und über die Natur der Wirbelknochen die Schmach und das Elend seines Volkes vergessen konnte.

Kleist nahm den lebendigsten Antheil an den welterschütternden Vorgängen in seiner Nähe. Schon im Jahre 1805 vor der Katastrophe bei Jena hatte er seinem Freunde Rühle mit vorahnendem Geiste geschrieben:

„So wie die Dinge stehen, kann man kaum auf viel mehr rechnen, als auf einen schönen Untergang. Was ist das für eine Maßregel, den Krieg mit einem Winterquartiere und der langwierigen Einschließung einer Festung anzufangen! Bist Du nicht mit mir überzeugt, daß die Franzosen uns angreifen werden, in diesem Winter noch angreifen werden, wenn wir noch vier Wochen fortfahren, mit den Waffen in der Hand drohend an der Pforte ihres Rückzuges aus Oesterreichs zu stehen? Wie kann man außerordentlichen Kräften mit einer so gemeinen und alltäglichen Reaction begegnen!

„Warum hat der König nicht gleich bei Gelegenheit des Durchbruchs der Franzosen durch das Fränkische seine Stände zusammenberufen, warum ihnen nicht in einer rührenden Rede – der bloße Schmerz hätte sie rührend gemacht! – seine Lage eröffnet? Wenn er blos ihrem eigenen Ehrgefühle anheimgestellt hätte, ob sie von einem gemißhandelten Könige regiert sein wollten oder nicht, würde sich nicht etwas von Nationalgeist bei ihnen geregt haben? Und wenn sich diese Regung gezeigt hätte, wäre dies nicht die Gelegenheit gewesen, ihnen zu erklären, daß es hier gar nicht auf einen gemeinen Krieg ankomme? Es gelte Sein und Nichtsein; und wenn er seine Arme nicht um 300,000 Mann vermehren könne, bliebe ihm nichts übrig, als ehrenvoll zu sterben. Meinst Du nicht, daß eine solche Erschaffung zu Stande hätte kommen können?

„Wenn er all’ seine goldenen und silbernen Geschirre prägen lassen, seine Kammerherrn und Pferde abgeschafft hätte, seine ganze Familie ihm gefolgt wäre, und er nach diesem Beispiele gefragt hätte, was die Nation zu thun Willens sei! – – Was ist dabei zu thun? Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen und wir werden davon nichts, als den Umsturz des Alten erleben. Es wird sich aus dem ganzen cultivirten Theile von Europa ein einziges großes System von Reichen bilden und die Throne mit neuen von Frankreich abhängigen Fürstendynastien besetzt werden. Aus dem Oesterreichischen geht dieser glückgekrönte Abenteurer, falls ihm nur das Glück treu bleibt, gewiß nicht heraus. –

„Warum sich nur nicht Einer findet, der diesem bösen Geiste der Welt die Kugel durch den Kopf jagt! Ich möchte wissen, was so ein Emigrant zu thun hat? Für die Kunst, siehst Du wohl ein, war vielleicht der Zeitpunkt noch niemals günstig. Man hat immer gesagt, daß sie betteln geht; aber jetzt läßt die Zeit sie verhungern.“

Der Haß gegen die Unterdrücker des Vaterlandes steigerte sich in ihm gegen das Ende des Jahres zum heftigsten Schmerze. Er war jetzt öfters völlig außer sich, hatte keinen andern Gedanken mehr, als diesen, und sah alle Schrecken, die noch kommen sollten, mit Gewißheit voraus. Er selbst sollte ein Opfer der französischen Willkür werden und ihre Tyrannei an sich erfahren.

Im Jahre 1807 wanderte Kleist, gerade zu der Zeit, als nach der Schlacht von Eylau die Parteigänger in Preußen auftauchten, mit seinem Freunde Pfuel und zwei andern Officieren nach Berlin. Pfuel trennte sich von seinen Begleitern kurz vor der Stadt, um nach Neundorf zu Fouqué zu gehen. Die drei Andern wurden am Thore angehalten und Kleist, da er ohne Paß war und nur seinen Abschied als Lieutenant bei sich führte, als vermeintlicher Schill’scher Officier ohne Weiteres gefangen genommen und nach Fort de Joux in Frankreich gebracht. Hier saß er ein halbes Jahr in demselben Gefängnisse, das den bekannten Negerhäuptling Toussaint Louverture umschloß. Von Jour wurde Kleist nach Chalons sur Marne gebracht und endlich nach vielfachen Bemühungen seiner Freunde auf gesandtschaftliche Verwendung freigegeben und nach Preußen entlassen.

Daß sein Haß gegen die Franzosen und Napoleon durch diese unverschuldete Behandlung nur genährt werden konnte, war natürlich. Es ist sogar mehr als wahrscheinlich, daß Kleist selbst ernstlich mit dem Plane umging, sein Vaterland von dem Tyrannen zu befreien und ihn aus dem Wege zu räumen. Wenigstens erzählt Friedrich Laun in seinen Memoiren von einem derartigen Vorhaben, das Kleist jedoch bei reiflichem Nachdenken aufgegeben zu haben scheint. – Dagegen eilte er, als ein neuer Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich im Jahre 1809 ausbrach, in das Hauptquartier des Erzherzogs Karl und wohnte der Schlacht bei Aspern bei, in der Absicht, der guten Sache seinen Arm und Kopf zu weihen. Durch den traurigen Ausgang des Feldzuges und den bald darauf erfolgten schmählichen Frieden, zu dem sich Oesterreich gezwungen sah, erlosch auch diese Aussicht, seine letzte und einzige Hoffnung.

Beseelt von dem glühendsten Patriotismus hatte Kleist bereits früher ein Drama, „Hermann“, geschrieben, das bei den damaligen Verhältnissen unter dem Siegel des Schweigens als Manuscript von Hand zu Hand ging. Er wollte damit den gesunkenen Muth seines Volkes zur neuen Thatkraft beleben. Es war kein Schauspiel, um der Unterhaltung eines müßigen Publicums zu dienen, sondern eine eherne Mahnung voll gewaltiger, fast wild zu nennender Gedanken. Ein zorniger Geist wehte aus der Dichtung, wie zündende Flammen; aber noch war die Zeit nicht gekommen, um den späten, so schön und mächtig emporlodernden Brand vaterländischer Begeisterung zu entfachen. Kleist’s Hermann blieb eine Stimme in der Wüste, welche kein Echo erweckte und fast ungehört verhallte. Eben so wenig gelang sein Versuch, in seinem Meisterwerke „der Prinz von Homburg“ das specifisch preußische Gefühl zu erwecken. Vergebens beschwor er die erhabene Heroengestalt des großen Kurfürsten, der durch die Schlacht von Fehrbellin die übermüthigen Schweden aus der Mark vertrieb, umsonst zeigte er sein unvergleichliches dramatisch Talent in einer der wunderbarsten Schöpfungen der deutschen Bühne, worin selbst die phantastischen Verirrungen des Dichters nur wie Nebel und Wolken dazu dienen, den Sieg des lichten Sonnengenius zu verherrlichen. Das Publicum nahm dieses Dichterwerk mit unverzeihlicher Kälte auf, fast erschrocken über die geschichtliche Größe und den gewaltigen Geist, der darin waltete.

Der Dichter Kleist hätte vielleicht dies Mißgeschick ertragen, aber der Patriot in ihm erlag verzweifelnd an der Kraft und dem Aufschwunge des deutschen Volkes. Die Herzen seiner Landsleute wurden erst warm, als das seinige zu schlagen aufgehört; ihr Geist raffte sich zum Kampfe empor, als der seinige bereits für immer geschieden war. Hätte er nur noch einige Jahre gewartet, so wäre er Zeuge jener allgemeinen Erhebung gewesen. Er besaß nicht jene passive Ausdauer und griff dem Schicksal vor, wie ein alter Römer sich in sein Schwert stürzend, da er die Freiheit verloren gab. – Vielleicht hätte ihn die Liebe zu einem jungen, liebenswürdigen und reichen Mädchen noch einmal retten können. Bei seinem Aufenthalte in Dresden lernte er in dem Körner’schen Hause bei den Eltern des Dichters Theodor Körner, den Freunden Schillers, ein holdes weibliches Wesen kennen, mit dem ihn bald die innigste Neigung verband. Es schien ihrer Verbindung nichts im Wege zu stehen, aber Kleist stellte auch in diesem Verhältnisse, wie in seinem früheren, zu hoch gespannte Forderungen an die Geliebte.

So verlangte er unter Anderem, daß sie ihm ohne Wissen ihres Vormundes oder Oheims schreiben sollte. Sie schlug ihm

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