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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

fügte die Namen derer hinzu, von welchen die einzelnen Abschnitte verfaßt worden seien.

Seitdem sind mehr als vierzig Jahre verflossen und in Jena haben sich durch alle Wechselfälle hindurch Burschenschaften erhalten. Sie sind ein Spiegelbild der verschiedenen Bestrebungen in der deutschen Jugend. Es ist löblich, daß ihre Angehörigen sich in vaterländischem Sinne ausbilden, sobald sie alle Ausschreitungen vermeiden. Es schadet nicht, wenn manchmal der Becher überschäumt, dagegen hatte selbst König Philipp II. von Spanien nichts einzuwenden; aber in’s staatliche Leben einzugreifen, ist niemals Beruf der Jugend, der die Erfahrung mangelt. Diesen Satz sprach auf dem Commers der Teutonen einer ihrer Sprecher, ein Hannoveraner, sehr scharf aus und bezeichnet die Grenze, innerhalb welcher die deutsche Jugend sich zu halten habe. Diese Teutonen bildenden rechten Flügel unter den Jenensischen Burschenschaftern; sie pauken mit den Corps. An diesen rüstigen, frischen Leuten hatten wir Aelteren unsere wahre Freude; der Redner, welcher ihren Commers eröffnete, ein Braunschweiger, ein noch junger Mann, hielt eine prächtige Rede, in welcher Weihe und Schwung mit großer Klarheit des Gedankens vereinigt waren. In Bezug auf den letztern Punkt scheinen diese Teutonen die Dinge richtiger zu treffen, als die Studenten vor zwanzig und dreißig Jahren; man sieht, daß die Erfahrungen, welche die Zeit gebracht, doch Früchte getragen haben. Der Patriotismus zog sich durch die Reden aller dieser jungen Leute, es war aber nichts Aufgepufftes darin, sondern Alles schlichte Natur, und politisirt wurde gar nicht. Das mag denen zur Beruhigung dienen, welche besorgt hatten, die Jubelfeier möchte für politische Demonstrationen zum Vorwande genommen werden.

Selbst die alte Wartburgsfahne gab zu dergleichen keinen Anlaß. Dieses Palladium der Burschenschaft war lange Zeit verborgen und in guter Obhut, nur Wenigen kam sie zu Gesicht. Nachher brachte man sie in die Schweiz, wo Professor Reinhold Schmidt in Bern sie lange treu verwahrt hat. Jetzt ist sie wieder in Deutschland, und gewiß hätte das Jubelfest eine passende Gelegenheit dargeboten, sie wieder an’s Tageslicht zu bringen und an irgend einer Stätte, als geschichtliche Merkwürdigkeit, für immer niederzulegen. Die Tausende von anwesenden Burschenschaftern würden sie ohne Zweifel mit ungeheurem Jubel begrüßt haben, aber das wäre sicherlich die ganze „Demonstration“ gewesen. Auch eine solche ist geflissentlich vermieden worden. Reinhold Schmidt war in Jena, er setzte die Lage der Dinge auseinander, und wenn auch seine Art und Weise, in welcher er die „Nichtherausgabe der Fahne für jetzt“ motivirte, nur Wenigen gefiel und sein Ton nicht behagte, so beruhigten sich doch Alle, weil sie begriffen, daß an den hohen Freudenfesten der geliebten alma mater auch nicht der entfernteste Anlaß zu Verdächtigungen gegeben werden dürfe, denn daß Gegner und Feinde, kirchliche wie weltliche, auf der Lauer lagen, um wo möglich Steine auf Jena zu werfen, das war Allen wohlbekannt. Die alte romantische Fahne wird indessen bald zum Vorschein kommen und man sollte dieser jedenfalls geschichtlich gewordenen Merkwürdigkeit einen Platz auf der Wartburg, neben anderen Merkwürdikeiten, gönnen.

Das patriotische Gefühl machte sich bei mehr als einer Veranlassung unwillkürlich Luft. Die Teutonen saßen am Montag Morgen in der Sonne am Markte. Da trat ein alter Herr unter sie, der die Achtzig längst zurückgelegt hatte, Man bot ihm einen Trunk, kam mit ihm in’s Gespräch und sah an seinem Hute die Jahresziffer 1789 bis 1792. Damals hatte er in Jena studirt; er hatte zu Friedrich Schiller’s Füßen gesessen, als dieser seine Collegia mit dem berühmten Vortrage über das Studium der Universalgeschichte eröffnete. Er erzählte von jenem Tage, und die Teutonen brachten Schiller und dem alten Burschen ein Hoch. Dieser erzählte aber mehr. Er war bis vor wenigen Jahren ein treuer Hirt einer deutschen Gemeinde in Schleswig gewesen, dann aber hatten die Dänen ihn abgesetzt, weil er treu am Deutschthum hält. Seitdem lebt der fast neunzigjährige Greis in der Verbannung.

„So seht Ihr mich, liebe Jugend; ich bin ein alter Mann und werde bald meinem Gotte Rechenschaft zu geben haben. Aber ich habe gelebt als ein guter Deutscher und will als ein solcher sterben. Thut Ihr desgleichen.“

Es versteht sich, daß „Schleswig-Holstein meerumschlungen“ angestimmt wurde. Am Nachmittage ereignete sich aber noch eine Episode, die nicht minder ergreifend war. Die Teutonen und mit ihnen Hunderte von Gästen waren nach Ziegenhain hinausgezogen. Auch der „Reichshausknecht“, der alte Herr von Zerzog (aus Regensburg, bekannt vom Frankfurter Reichstage), der 1818 in Jena studirt, manche andere alte Reichstagsmitglieder und Notabilitäten der Wissenschaft waren zugegen; auch Jakob Venedey war da. Es wurden heitere Reden gehalten und vaterländische Lieder gesungen, während die Kännchen in der Runde gingen. Da trat in Folge einer zufälligen Anregung ein alter Burschenschafter aus Schleswig-Holstein auf, dessen Sohn vor zwölf Jahren Mitglied der Jenenser Teutonia gewesen. Dieser Mann sprach ergreifende Worte. Er rief:

„Ich sehe Euch hier in den Farben, die ich vor langer Zeit getragen und die auch meinen ältesten Sohn geschmückt. Er hat Euch angehört, aber er kann heute nicht unter Euch sein. Ich habe zwei Söhne in den heiligen Krieg geschickt, den wir Schleswig Holsteiner für die deutsche Sache geführt, und er, der Euer Bruder war, ist gefallen und hat seine Treue für Deutschland mit seinem jungen Blute besiegelt. Glaubt nicht, daß ich als Vater über ihn trauere; er that nur seine Pflicht, er that nur, was das Vaterland von ihm verlangen konnte. Er ging wohlgemuth in den Kampf, ich hoffe, ich erwarte, ich fordere, daß Ihr Alle seine Verbindungsbrüder, desgleichen thun würdet, wie ich denn das von jedem jungen Manne in Deutschland verlange. Ich habe noch einen Sohn, er ist mein einziger. Aber ich sage Euch, wenn das Vaterland ruft, dann geht er zum zweiten Male in den Kampf, und er wird seine Schuldigkeit thun. Und auch ich werde sie thun, das glaubt mir.“

Man sah es dem Manne an, daß es ihm heiliger Ernst war, und seine wahrhaft spartanische Rede übte eine ungeheuere Wirkung.

„Ja, dieses Schleswig-Holstein ist die brennende Wunde; man wird ingrimmig, wenn man davon nur hört,“ rief ein Student, nachdem die Stille, welche den obigen Worten folgte, wieder verschwunden war.

Mehr als einmal zeigte sich in Jena, wie zuweilen das Lächerliche dem Erhabenen auf dem Fuße folgt. Als Pastor Horn seine obenerwähnte Schilderung über das Entstehen der Burschenschaften geendet hatte, trat ein Mann seltsamer Art an den Tisch. Ich mußte ihn schon gesehen haben, seine Züge schwebten mir vor. Richtig; vor dreißig Jahren war der Mann häufig in der Bierrepublik Ziegenhain gewesen; damals zählte er schon zehn Semester, jetzt lebt er noch Zimmer in Jena mit den Studenten und unter ihnen. Da stand er leibhaftig, dieser Demelius, weiland Ceres genannt, aber seit drei Jahrzehnten allen Jenensern als „Bierlatte“ oder „die alte Latte“ bekannt. Er hat den Musensitz nie verlassen, will in ihm sterben, wie er sagt: „als Studente.“ Er trat vor, erfüllt von süßem Gerstensaft, Die Germanen, welche ihn damit laben, hatten ihm zum Jubiläum eine neue Mütze geschenkt, in welcher er prangte, in der linken Hand hielt er eine neuangemalte Latte, in der rechten einen Krug. Er wollte reden, aber die Stimme versagte ihm den Dienst, und der Zuruf: „Latte, fall’ ab,“ verscheuchte ihn. Solcher alter Originale gibt es in Jena noch einige; doch ist die berühmte „Puppe“, welche seit 1823 inscribirt war, vor einigen Jahren gestorben. Die „Latte“ hat zur Jubiläumsfeier Gedichte drucken lassen.

Auf das erheiternde Intermezzo folgte ein widerwärtiges. Ein Mann, den ich als frischen, liebenswürdigen Studenten gekannt und den ich herzlich lieb gehabt hatte, ist Professor an einem Gymnasium geworden und noch heute ein kernbraver Mensch. Aber die moderne theologische Richtung hat ihn gepackt und er benutzte das Commerciren der Studenten, um ihnen eine Predigt zu halten. Sie müßten lernen „die Kniee beugen“, sonst sei es gar nichts mir ihren vaterländischen Bestrebungen. Dann redete er viel vom wahren und rechten Glauben (darüber sind alle in Streit, da dem Einen nicht wahr und nicht recht erscheint, was der Andere dafür hält), den er einst in Jena nicht gefunden habe. Dann klagte er die Lehrer an, jene Lehrer, die ihm doch einst so große Freundlichkeit und Güte erwiesen. Ein neben mir sitzender Germane war über solchen Undank und solche Herbigkeit empört und meinte, wenn der „rechte“ Glaube solche Früchte bringe, so möge der liebe Gott ihn davor bewahren.

Jakob Venedey, der ehrliche Mensch, war, wie gesagt, auch in Jena; er sprach bei den Teutonen, sie möchten sich mit den Germanen und den Leuten vom Burgkeller vereinigen, und meinte es gut. Ruhig besehen, schadet es gar nichts, daß die Burschenschaft

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