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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Verfinsterungs-Pläne leistete das damalige Ober-Consistorium, an dessen Spitze die drei berühmten Geistlichen Teller, Zöllner und Gedicke standen. Diese würdigen, durch Gelehrsamkeit und Charakter gleich ausgezeichneten Theologen wurzelten in dem Boden jenes wahren Protestantismus, der die Welt aus den drückenden Banden der mittelalterlichen Sclaverei befreit und für immer die Fackel der wissenschaftlichen Bildung in Deutschland und besonders in Preußen entzündet hatte. Bei ihrer bekannten Frömmigkeit durfte selbst ein Wöllner es nicht wagen, sie von ihrem Amte zu entfernen; er beschränkte sich nur darauf, ihre Wirksamkeit zu lähmen und die Grenzen ihrer Thätigkeit enger zu stecken, indem er ihnen eine geistliche Examinations-Commission zur Seite setzte, die an Strenge und Beschränktheit mit der berüchtigten Inquisition wetteiferte. Zu diesem Glaubenstribunal wurde zunächst der Prediger Hermes aus Breslau berufen, der wider die Aufklärung bereits noch bei Lebzeiten Friedrichs des Großen geeifert hatte, den Untergang des neuen Sodom und Gomorrha, womit er Potsdam und Berlin meinte, in mystischen Worten prophezeihend und das nahe bevorstehende Reich Gottes nach dem Tode des toleranten Königs verkündigend.

Diesem Zeloten stand sein Schwiegersohn Oswald würdig zur Seite, ein bankerotter Kaufmann und Geisterseher. Er rühmte sich, mit dem Heiland in persönlichem Verkehre zu stehen, auf einsamen Spaziergängen dem Erlöser begegnet zu sein, der ihn erleuchtet und ihm die Gabe verliehen habe, in die Zukunft zu schauen und in die Ferne zu wirken. Er stand mit einer der damals auftauchenden Somnambulen in Verbindung, deren vermeintliche Weissagungen er verbreitete. Nicht viel besser waren die übrigen Mitglieder dieser geistlichen Examinations-Commission beschaffen, zu denen die Prediger Woltersdorf und Silberschlag an der Dreifaltigkeitskirche in Berlin und ein früherer Rosenkreuzer Hilmer zählten. – Eine besonders noch erwähnenswerthe und charakteristische Erscheinung in dem Kreise dieser Pietisten war Wöllner’s Factotum, der Geheime Secretair Mayr, von dem Dorow in seinen Denkwürdigkeiten folgendes psychologisch interessante Bild entwirft:

„Mayr, welcher als Lagerbruder und Geisterbeschwörer eine große Rolle spielte, besaß eine auffallende, unheimlich schleichende, scheu und sorgsam um sich spürende Persönlichkeit. Ein kleiner, krummer Mann, schielend, glatzköpfig, schwache Kinderbeinchen, auf denen ein breiter Rumpf und ein ausgedehnter Schädel ruhten, die Stirn hoch gewölbt, vielfach von feinem, blauem Geäder durchzogen. Sein Staatsanzug war beim Besuch der Freimaurerlogen höchst sonderbar: Schuhe mit großen blitzenden Schnallen, schwarzseidene Strümpfe, schwarzatlasne Beinkleider und Weste und ein orangenfarbener Leibrock mit großen, mit schwarzem Tuch überzogenen Knöpfen besetzt. Einstens erschien er in großer Gesellschaft mit einem umgehängten langen weißen Laken, an dem er oben rund umher kleine schwarze Katzenschwänze angeheftet hatte, einem Herzogsmantel ähnlich. Er versicherte: „Das ist das Costüm, in welchem ich oben bei Gott erscheinen und es auch beibehalten werde.“

„Es war ihm grausenhafter Ernst! Er selbst war das seltsamste Gemisch von Vernunft und Wahnsinn, Herzensgüte und Bosheit, Tiefsinn und Gemeinheit. Ein Gesicht aus der Apokalypse verwirklichen wollend, verschlang er den größten Theil eines Bibelexemplars, trug aber statt der gehofften Erleuchtung ein hitziges Fieber mit Wahnsinnssymptomen davon. Er fiel später durch das Nachsinnen über das Geheimniß der Trinität in Geistesverrückung, schoß mit Pistolen von der Kanzel und verwundete wirklich einen bei seiner Predigt eingeschlafenen Mann, auf den er mit den Worten schoß: „Dich will ich wecken.“ – Endlich fiel er in völlige Raserei und wurde in einer Privat-Anstalt in Ketten gelegt, doch schon nach einigen Monaten als hergestellt wieder entlassen. Als Dorow einst mit Mayr an diesem Hause vorüberging, sagte dieser: „Da liegt meine Buß- und Marterkammer, da hab’ ich gelitten und bin oft blutig gepeitscht worden; mir ist schon recht geschehen; ich habe gegen den gefrevelt und in dessen Gestalt Komödie gespielt, darin betrogen in der Gestalt dessen, der für uns Alle gelitten hat und gestorben ist.“

Nach Dorow ist es mehr als wahrscheinlich, daß Mayr bei den famosen Geisterbeschwörungen die Person des Heilands selber dargestellt hat. „Mayr selbst faßte den Glauben ganz sinnlich auf; beim Abendmahl wollte er wirklich Blut und Fleisch hervorbringen, alle Culten mischte er unter einander; an einem Tage hörte er oft des Morgens die Messe, auf seinem Angesichte liegend, predigte dann in der protestantischen[WS 1] Kirche, ertheilte die Communion und endete den Tag mit Besuch der Mennoniten, der Herrnhutergemeinde, der Synagoge oder der Freimaurerloge. Seine stets festgehaltene Ansicht ließ ihn die Welt als einen fortwährenden Kampf der Finsterniß mit dem Lichte erscheinen. Sein Streben war nicht nur auf geistige Erkenntniß, sondern auf den wirklichen Stein der Weisen gerichtet; er gehörte einer Gesellschaft von Adepten an, zugleich Betrogener und Betrüger. In seinen lichten Augenblicken zeigt er viel Geist, geniale Lichtblitze, denen er den vertrauten Umgang eines Kant, Hippel, Hamann und des Dichters Werner verdankte, der ihm in manchen Stücken später ähnlich wurde.“

Mit Hülfe seiner Examinations-Commission suchte Wöllner jede freie Regung auf dem Gebiet der Religion zu ersticken. Ein vollständiges Spionirsystem wurde in dem ganzen Lande hergestellt, eine doppelte Conduitenliste geführt, worin die Strenggläubigen und die sogenannten Neuerer namentlich bezeichnet wurden, um letztere bei nicht erfolgter Besserung dem weltlichen Arme zur wohlverdienten Cassation und Strafe zu übergeben. Jeder Candidat, der sich um eine Pfarre oder ein Schulamt bewarb, mußte noch ein besonderes Glaubensbekenntniß schriftlich ablegen. Zu diesem Behufe verfaßte der eben so unwissende als frömmelnde Hermes ein eigenes Examinationsschema in einem von groben Schnitzern und grammatikalischen Fehlern wimmelnden, lateinischen Schriftchen, das von den gelehrten und bibelfesten Männern wie Spalding, Teller und Zöllner in seiner ganzen Erbärmlichkeit dargestellt und beurtheilt wurde. Es blieb den unwissenden Urhebern dieses Machwerks nichts übrig, als beschämt ihr eigenes Buch zurückzukaufen und eine von den gröbsten Sprachfehlern gereinigte neue Ausgabe drucken zu lassen. Nicht besser erging es den von diesen Obscuranten empfohlenen Gesangbüchern und Katechismen; sie wurden mit gerechtem Widerwillen und Mißtrauen aufgenommen. Gegen die beabsichtigte Einführung eines allgemeinen Landeskatechismus hatte der reformirte Prediger Gebhard in Berlin ein Bedenken veröffentlicht, dem der Oberconsistorialrath Zöllner als vorgesetzter Censor die Druckerlaubniß ertheilt hatte. Kaum war die kleine Schrift erschienen, als sie der Minister Wöllner mit Beschlag belegen ließ. Der Verleger, Buchhändler Unger, verklagte hierauf Zöllner wegen Schadenersatz in der offenen Absicht, die Maßregeln des Ministers vor der öffentlichen Meinung lächerlich zu machen, und die bekannte strenge Gerechtigkeit des Berliner Kammergerichts, vor dessen Unparteilichkeit sich Friedrich der Große mehr als einmal gebeugt hatte, im glänzendsten Lichte zu zeigen. Das Kammergericht, dieses Bollwerk des höchsten Rechtssiegs im preußischen Staate, entsprach vollkommen den von ihm gehegten Erwartungen. Seine unparteiische Entscheidung lautete zu Gunsten des verklagten Censors, der mit Fug und Recht einer von dem Minister erst nachträglich verbotenen Schrift die Druckerlaubniß ertheilt habe.

In den Entscheidungsgründen wurde offen ausgesprochen, „daß der Censor die der Regierung schuldige Ehrfurcht nur verletzen würde, wenn er angenommen hätte, sie wolle lieber den einmal angenommenen Vorsatz blindlings verfolgen, als besseren Gründen Gehör geben.“ – Es nützte Wöllner nichts, daß er, dem Ausspruche des Kammergerichts trotzend, eine königliche Cabinetsordre zu seinen Gunsten erwirkte. Die verbotene Schrift wurde, wie gewöhnlich, nur desto mehr gekauft und eifriger gelesen.

Noch größeres Aufsehen erregte der Proceß gegen den Prediger Schulz zu Gielsdorf in der Mittelmark. Schulz war ein origineller, durchaus fester Charakter, der von der Kanzel herab eine geläuterte Moral predigte und gegen die hohle Andächtelei der gesammten Pietistenzunft zu Felde zog. Dies wurde ihm jedoch noch weit eher verziehen, als daß er die geistliche Perrücke abgelegt und mit dem militairischen Zopfe, dem Symbole des alten Preußenthums, vertauscht hatte. In Wöllner’s Augen war diese kühne Neuerung das größte Verbrechen gegen die christliche Religion selbst; es wurde gegen Schulz auf gehässige und keineswegs begründete Denunciation der fiscalische Proceß erhoben. Auch bei dieser Gelegenheit bewährte das Kammergericht seine berühmte Unabhängigkeit, und sprach den Prediger von der gegen ihn erhobenen Anklage frei, nachdem es ein zu Gunsten des Schulz lautendes Gutachten des berühmten Theologen Teller und die günstigen Zeugnisse seiner Gemeinde angehört. Durch einen königlichen Machtspruch wurde jedoch der arme Landprediger seiner Stelle entsetzt, den Zopf aber ließ er sich darum nicht nehmen; er trug ihn als ein Ehrenzeichen seiner Festigkeit und Gesinnungstreue. Mit dem Zopfe ließ er sich begraben, aber als „der Zopfschulz“ lebt sein Name in der preußischen Geschichte

  1. Vorlage: potestantischen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_202.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2023)