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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

stehend, waren durch Kinkels Persönlichkeit, lehrendes und während dieses Jahres publicistisches Wirken, das von der Forderung deutscher Einheit beseelt wird, zu dem Gefühl und Bewußtsein gekommen, daß man hier einig sein und wirken und Kinkel selbst als der edelste und würdigste Brennpunkt dieser Einheit und Verbrüderung proclamirt werden müsse. So vereinigten sie sich nach langer Isolirtheit, oft bitterm Hader, zunächst zu dem Zwecke, Kinkel zu seinem Geburtstage – 11. August – eine Huldigung durch vereinigten Männergesang darzubringen und ihn zum obersten Präsidenten und Centrum dieser deutschen Einheitsbestrebungen zu ernennen. Sie erfuhren noch zu rechter Zeit, daß Kinkel an seinem Geburtstage schon seine Erholungsreise angetreten haben, Montags den achten aber noch die bereits erwähnte Conferenz zum Schillerfeste besuchen werde. So beschloß man, diesen Abend zu wählen. Die Demonstration war also eine freiwillige, allgemeine und so wenig eine parteiische, daß selbst der Arbeiter-Bildungsverein, bisher ein grimmiger communistischer Saulus gegen Kinkel, um Betheiligung bat und in der Rede seines Vorstehers als eifriger Paulus auftrat. Man kann sich denken, wie dieses Phänomen auffiel und unerklärlich gefunden ward. Einige munkelten sogar anfangs, als dieser ehemalige sehr notorische Saulus auftrat, vom Hinauswerfen; aber der Mann und die übrigen Mitglieder des Arbeiter-Bildungsvereins, bis dahin, wie schon früher einmal, unter dem Einflüsse von Karl Marx und Gesinnungsgenossen stehend, zeigten sich so ehrlich und entschieden umgewandelt, daß sie während des Abends ganz aufrichtig als Männer behandelt wurden, die ihren politischen Parteistandpunkt der höheren Macht der Einheitsnothwendigkeit untergeordnet haben.

Dies bekundet im Kleinen die Fähigkeit der großen deutschen Einheitssehnsucht, zu Hause sich zu verwirklichen. Wenn das Pathos lebendig und warm genug aufglüht und ein Mittelpunkt, eine edle, gefeierte, geliebte Persönlichkeit, als Brennpunkt derselben gefunden sein wird, dann schmelzen auch im großen Vaterlande die Partei- und Sonderinteressen in seliger Einheitsgluth entweder freudig oder freiwillig oder hingerissen in Furcht und Schwäche zusammen und halten sich auch später der großen nationalen Macht, Stärke und Nothwendigkeit untergeordnet. Bis jetzt ist im Vaterlands Preußen als Mittelpunkt dieser Einheitsbestrebungen öffentlich anerkannt worden, nur daß es sich absichtlich oder aus Mangel an schwarz-roth-goldenem Geiste nicht recht an diese Mission hingeben, nicht genug Anziehungs- und Begeisterungsstoff liefern will und kann. Doch wollen wir immer noch hoffen, daß Deutschland die Mittel finden und durchsetzen werde, durch welche allein sein Leben, seine Zukunft gerettet werden kann. Ein uneiniges, vieltheiliges, sich selbst schwächendes und vor der Welt verächtlich und lächerlich bleibendes Deutschland wird früher oder später das Schicksal der Staaten und Völker theilen, die aus innerem Zerwürfniß unterworfen wurden, und entweder ganz untergingen oder noch heute schmachvoll in fremden Fesseln absterben.

Kinkel hörte, nachdem ihm die Entstehung des schönen Bildes vor seinen Augen erklärt worden war, freudig ergriffen den deutschen Einheits- und Vaterlandsklängen zu, die als krafttöniger Männergesang herausquollen. Auch die sonst oft muthwillige und rohe Bevölkerung, welche die Straße dicht füllte, lauschte lautlos und andachtsvoll, obgleich sie nichts davon verstand und begriff. So mächtig wirkt die Schönheit in jeder Form, wenn sie nur eben sich würdig und einfach offenbart. Für uns hatte es etwas ganz besonders Rührendes, die sonst lose und muthwillige Straßenmenge so vollständig durch deutsches Lied und deutschen Gesang gebannt und so ausharren zu sehen bis zu Ende.

Kinkel ging nach dem sechsten Gesange der vereinigten Vereine hinunter und trat, größer und edler von Person und Gestalt, als alle die Tausende um ihn, in ihre Mitte, um mit anfangs ruhigen, dann aber immer bewegteren und feurigeren Worten seine Ueberraschung und seinen Dank auszusprechen, und sich und der Umgebung diese in London unerhörte, plötzlich so würdig und schön verwirklichte Thatsache deutscher Einheit und Verbrüderung der verschiedensten, sogar feindlichsten Elemente zu erklären. Es sei, so begann er, die Einheitssehnsucht, die auch im großen deutschen Vaterlande sich rege, nicht der Bürger Kinkel, was sie hier zu einer festlichen Vereinigung zusammenrufe, die jetzt schmachvollen Gefahren gegenüber aufkeimende große, deutsche Bewegung, deren Kraft immer im deutschen Volke geschlummert und nach kurzer Erlaubniß, zu wachen und sich zu regen, seit zehn Jahren wieder gefesselt sei und in künstlicher Einschläferung gelegen habe. Er erinnerte dabei an die Augusttage damaliger Zeit, als die preußische Nationalversammlung und das deutsche Parlament ganz unabhängig von einander an ein und demselben Tage die Todesstrafe abgeschafft, und wie er ein Jahr später an demselben Tage vor einem militairischen Gericht gestanden, das nur aus unüberwindlichem Rechts- und Ehrgefühl nicht die befohlene Todesstrafe über ihn ausgesprochen.

Das schließliche Hoch auf ein einiges, freies, starkes Deutschland rauschte und donnerte feurig aus der Brust deutscher Männer.

Die Reden der Deputationen, welche folgten, bewegten sich in denselben Gedanken, nur daß man dem edeln, heroischen Mittelpunkte dieses Verbrüderungsfestes zu beherzigen gab, daß er, der zu der Bereinigung Kraft und Begeisterung gegeben, die Mission übernehmen möge, als dieser Mittelpunkt weiter zu wirken.

Dabei fing der Wein reichlich an zu fließen. Und auch Reden und Gesänge flossen aus den verschiedenen Zimmern und Etagen in zum Theil wilder Begeisterung. Unzählige brave Männer, die sich früher nie gesehen oder gleichgültig, selbst feindlich vor einander vorbei gegangen waren, fielen sich in die Arme. Ein Deutscher, der Kinkel heute zum ersten Male sah und sprach, ließ sofort darauf den Tisch mit frischen Flaschen Rheinwein besetzen und fiel Jeden, der ihm in den Weg kam, mit vollen Gläsern an, glücklich wie ein Gott. Das deutsche Verbrüderungsfest wurde durch Kinkel’s Persönlichkeit und Rede zur Thatsache deutscher Einheit, die sich zunächst durch monatliche General-Versammlungen der einzelnen Vereine praktisch fortsetzen will. Auch war von Erbauung einer deutschen „Vereinshalle“ die Rede. Die nächste große, schöne Veranlassung zu vereinigter, deutscher Feierlichkeit wird das Schillerfest sein.

Deutschland, das noch keinen lebendigen großen Genius für den Brennpunkt seiner neuen Lebens- und Einheits-Regungen gefunden, wecke den am 10. November vor hundert Jahren gebornen Schiller auf, vor dessen unsterblicher ewiger Majestät sich alle Parteien und Privatgelüste beugen werden. So ein großer Todter lebt und wirkt gewaltiger, als tausend lebendige Kleinigkeiten, so groß sie sich auch dünken mögen.




Blätter und Blüthen.

Das Grab Alexander von Humboldt’s ist forthin für Millionen „der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht.“ Wenn, die großen Jämmerlichkeiten verziehen und vergessen sein werden, welche zu ihm dem Zuge der Gedanken jetzt den Weg vertreten – dann wird Alexander von Humboldt in seinem Grabe wieder lebendig und der heilige Geist seines Gedächtnisses wird über alles Volk kommen, für das er gelebt, und dem man jetzt die Gedanken an ihn stiehlt. Im Schloßgarten zu Tegel ruht jetzt der Mittelpunkt der Forschung aller Zeiten und Lande, neben dem großen der größere Bruder, Wilhelm und Alexander. Der schlichte Stein, welcher den schmucklosen Eichensarg Alexander von Humboldt’s deckt, ist der Markstein, an welchem für die Naturforschung – im weitesten Sinne dieses Wortes – ein neuer Zeitabschnitt anhebt, der Zeitabschnitt, in welchem die Forschung nicht mehr den Einzelheiten, sondern dem „Kosmos“ gilt, dessen Erkenntniß er lehrte, dem Kosmos, d. h. „der Natur, als einem durch innere Kräfte bewegten und belebten Ganzen.“ Diese Gedanken wecken in uns ein Bild von dem „Erbbegräbniß der Familie von Humboldt im Schloßgarten zu Tegel“ von W. Riefenstahl und L. Billiger, in Oelfarbendruck aus der Anstalt von Winckelmann und Söhne in Berlin. Das schöne Blatt ist ein würdiges Denkmal des seltenen Bruderpaares und wird gleich uns namentlich viele Verehrer des zuletzt Verstorbenen zu großem Dank gegen die Urheber desselben verpflichten.





Zur Nachricht.

Die Fortsetzung der „Erlebnisse eines Flüchtlings“ erscheint in nächster Nummer.

Die Redaction.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_504.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2023)