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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ein literarischer Abend des alten Dresden.
Von A. v. Sternberg.

Die Uhr auf dem Neustädter Rathhause schlug sechs, als eine Reihe Wagen in die kleine Gasse am Kohlmarkt einfuhr und vor einem Hause mit einer ansehnlichen hohen Einfahrt und einem mit Quadersteinen gepflasterten Hofe stille hielt. Hier wohnte die Frau Reichsfreiherrin von der Recke, eine Dame aus dem kurländischen Adel und Schwester der schönen Herzogin Dorothea von Kurland. Sie gab heute eine ihrer literarischen Zusammenkünfte, die in Dresden in kurzer Zeit zu einer Art Berühmtheit gelangt waren und dieses theils der Persönlichkeit und dem Range der Gastgeberin, theils dem Umstande dankten, daß Tiedge, der Dichter der „Urania“, eines fromm didaktischen Epos im Geschmacke von Klopstock’s Oden, bei der Reichsfreiin als ihr immerwährender Gast und Hausgenosse lebte. Dieses Zusammenleben eines schönen Geistes mit einer Dame von Stande war damals nichts Neues, und bot durchaus keinen Stoff dar zur Bespöttelung oder zum frommen Kopfschütteln; das öffentliche Urtheil nahm es an wie etwas, was sich von selbst versteht und durchaus nichts gemein hatte mit jenen zärtlichen halbverschleierten Verhältnissen, die die Liebe knüpfte und das Geheimniß unter seine Obhut nahm. Man hatte die Fürstin Galitzin, eine Dame, die nach Deutschland kam, um die Philosophie zu studiren, mit Herrn Hemsterhuys herumziehn sehn; dann entschlüpfte aus dem gräflichen Hause zu Ziebingen eine der reizenden Töchter und schloß sich dem Dichter Tieck an. Endlich machte die Frau von Staël in Begleitung August Wilhelm von Schlegel’s ihre berühmten Reisen in der Verbannung, und in neuester Zeit haben wir Frau von Hahn mit ihrem Freunde, der zugleich ihr Führer und ihr Schutz war, ihre beschwerlichen Fahrten auf die Höhen des Libanons antreten sehn.

Drei hohe, mit alterthümlicher Pracht ausgestattete Räume waren an diesem Abende den Gästen geöffnet. Wer außer den Empfangabenden kam, fand Frau von der Recke mit ihrem Freunde in einem Cabinete, in welchem ein Kamin brannte und wo in einer Nische ein kleines grünes, hartgepolstertes Sopha sich befand, auf dem die Hausfrau ruhte, während ihr Freund ihr etwas vorlas. Heute war dieses Cabinet verschlossen, gleichsam das Allerheiligste war den Blicken entzogen. Eine Reihe von Kupferstichen, unter denen sich einige Gemälde von Hackert befanden, schmückte die Wände, die im Styl der pompejanischen Wandflächen bemalt waren. Die Kupferstiche stellten die Gegenden vor, die die Dame auf ihrer letzten Reise nach Italien besonders beachtet hatte. Zwischen diesen Bildern eingestellt befanden sich auf Consolen kleine Vasen und Büsten, und auf den Tischen und Commoden standen Alterthümer in Bronze. Dies war das erste Zimmer; das zweite enthielt als einzigen Schmuck der Hauptwand das lebensgroße Bild der Herzogin von Kurland, gemalt in der Mode zur Zeit des Consulats und die schöne Frau darstellend, wie sie sich träumerisch auf die Seitenlehne eines antiken Ruhebetts stützt. Man konnte den Zügen dieses Gesichts ansehn, daß es schwankte zwischen dem weltlichen Gelüste, zu gefallen als schöne Frau, und dem Bestreben, die Würde einer Fürstin festzuhalten. Die andern Wände nahmen Familienportraits ein, und man sah hier manchen ehrenvesten alten kurländischen Baron, steif wie die Lehne seines Stuhles, mit einem frommen und nichtssagenden Gesichte dasitzen, während neben ihm seine Gemahlin sich bemühte, mit zierlicher Handbewegung eine Nelke oder einen Vogel empor zu halten. Das dritte Gemach, in welchem ein Helldunkel herrschte, sehr vortheilhaft für den Teint und die Formen der alten Damen, die sich hier zusammenfanden, war in Form eines Zeltes mit Behängen von rosenrothem und weißem Mousselin bekleidet, und wurde von einer von der Decke herabhängenden antiken Ampel erleuchtet, die mit einer Kuppel von purpurrothem Glase bedeckt war. Hier standen die L’hombre Tische für die Herren, die ungestört von dem Geräusch der daranstoßenden Empfangsgemächer hier ihr „Spielchen“ machen wollten. Ein Amor von Alabaster, der in beiden Armen ein Bouquet Wachskerzen emporhielt, stand auf der Marmorplatte des Tisches unter dem alterthümlichen Spiegel. Diese Zimmer, die nach den Anforderungen, die man heutzutage macht, nicht für prächtig, nicht einmal für reich angesehen werden konnten, hatten etwas, was unsere Säle nicht an sich haben, sie gaben den Geist, die Eigenthümlichkeit, ja sogar den Charakter ihrer Bewohner wieder. Man wußte, wo man war. Man befand sich bei einer Frau von Stande, die sich mit der Literatur und den Künsten der Musen beschäftigte. Zugleich liebte diese Frau, eine Menge Antiken um sich her zu sammeln; dies zeigte an, daß sie bereits eine Reihe von Jahren durchlebt hatte, und daß sie, weit entfernt, es wie eitle Frauen zu machen, die die Zahl ihrer Erinnerungen sorgsam verstecken, es im Gegentheil vorzog, öffentlich das Zeugniß zu geben, daß sie sich eines langen, reichen Lebens mit Wohlgefallen erinnere.

Als die Wagen vorfuhren, schwebte eben Fräulein Hermione durch den Saal, um den Dienern, die ihr folgten, noch einige dunkel gebliebene Stellen der Eingangsthüre gegenüber zu zeigen. Dieses Fräulein, das nicht mehr jung war, hatte nichtsdestoweniger etwas höchst Anmuthiges in ihrem Wesen, und da sie stets unhörbar kam und verschwand, so wurde sie scherzend die Sylphe genannt. Sie war eine der vielen Pflegetöchter der Frau von der Recke, die sie in früher Jugend aufnahm, um sie, wenn sich eine passende Heirath für sie fand, reich beschenkt wieder zu entlassen. Als das Geschäft mit den Dienern beendet war, näherte sich Hermione einer jungen Dame, die in der Ecke im Fenster saß und in einem Notenhefte blätterte. Bei ihrer leisen Annäherung erhob sich die Träumende und ordnete rasch vor dem nahen Spiegel ihre schönen, dunklen Locken, die ihr nach der Mode der Zeit tief in die Stirne hingen. Ein weites Florgewand von blendender Weiße, dicht unter den Armen mit einem goldenen Gürtel fest gehalten, umschloß die schlanke jugendliche Gestalt, die unendlich viel Biegsamkeit und Leichtigkeit in ihren Formen zeigte. Ebenso war das Gesicht von einer Munterkeit im Ausdruck, die unwillkürlich mit sich fortriß; das Lächeln der dunkeln Augen, aus dem Schalkheit und Jugendfrische blitzten, war verführerisch. Mit einem Worte, diese junge Frau war in Allem, was reizte und gefiel, die Tochter ihrer Mutter, der berühmten Herzogin von Kurland; seit kurzer Zeit erst vermählt mit dem Erbprinzen von Hohenzollern-Hechingen. Zum Besuche bei ihrer Tante, nahm sie dieser einen Theil der Pflichten einer Wirthin ab, und sie war es, die diesen Salons Licht und Leben gab.

„Schon die Gäste!“ rief die Prinzessin; „und ist meine Tante sichtbar?“

„Noch nicht, die gnädige Frau sitzen noch in ihrem Cabinet.“

„So gehen Sie doch, liebes Hermionchen, und sagen Sie ihr, daß man schon kommt. Und auch an das Studirzimmer Herrn Tiedge’s klopfen Sie. Ich kann doch unmöglich ganz allein mit all den Leuten sein.“

Während die „Sylphe“ entschwand, wandte sich die schöne Prinzessin der Eingangsthüre zu, die sich öffnete und mehrere Herren und Damen einließ. Das Bewillkommnen ging vor sich, und es war, da die leichteren Umgangsformen, die von Paris ausgegangen, sich noch nicht bis hierher erstreckt hatten, von einer ermüdenden Ausführlichkeit. Die Titel durften nirgends vergessen werden, und der jungen Fürstin, die hier fremd war, fiel es schwer, sich auf diese oder jene seltsam klingende Würde zu besinnen. Zum Glück waren nicht alle Herren und Damen betitelt; die schönen Geister hatten gewöhnlich gar keinen Titel, und es war darum auch in dieser Beziehung leichter, mit ihnen zu verkehren. Ein kleiner buckliger Mann trat zuletzt herein, und auf diesen stürzte sich die Prinzessin, gleichsam wie auf einen Rettungsengel; dieser Mann war der Freiherr von Maltitz, ein bekannter und beliebter humoristischer Schriftsteller, der in diesem Kreise nie fehlte und einer der ältesten Freunde des Hauses war.

„Mein theurer Baron,“ rief die Prinzessin, indem sie sich an dessen Arm hing, „kommen Sie, lassen Sie uns die Tante aufsuchen, die wieder einmal in andern Welten schwebt und uns hier allein läßt.“

Der kleine bucklige Baron schlüpfte mit seiner schönen Gefährtin durch eine Tapetenthüre in einen Gang, der in das Arbeitscabinet Elisa’s führte. Die stießen hier auf Hermionen, die soeben zurückkam, ohne die alte Dame in ihrem Schreibzimmer gefunden zu haben. Sogleich kehrte der kleine Zug um, und begab sich auf andern Wegen in das Allerheiligste des Hauses, nämlich in eine nach dem Hofe gehende Stube mit einer kellerartigen Oeffnung und einer Treppe in den Souterrain versehen, die Herr Tiedge zu seinem Arbeitszimmer erkoren hatte. Durch diesen geheimnißvollen Eingang

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_572.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)