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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Haltung, mit einem Gesichte voll Muth und Geist. Manchem gefiel er nicht, sagten wir schon oben. Aber Niemand konnte sagen, was ihm an ihm mißfiel. War es vielleicht, daß die stolze Haltung und der entschlossene Blick des jungen Mannes bei scharfer Beobachtung zu den Leuten zu, sagen schienen: wir wollen Euch imponiren, Ihr sollt fascinirt werden –? Hatte vielleicht ein noch schärferer Beobachter die geistvollen Züge plötzlich, wenn der junge Mann sich nicht beobachtet glaubte, sich in einen scharfen, lauernden Zug der Verschlagenheit umwandeln sehen? Nur wenige Menschen sind freilich scharfe Beobachter, und weit mehr Andere haben nur ein dunkles Gefühl von dem, was sie sehen könnten, und da gefällt ihnen der Mensch nicht, aber sie können nicht sagen, was ihnen an ihm mißfällt.

Max Urner war heute der Gegenstand der Hochachtung und selbst der Verehrung Aller, die ihn sahen. Er nahm es mit einer bescheidenen, klaren Ruhe hin. Er eilte zu den alten Damen. Wie doppelt stolz, wie doppelt zärtlich waren diese! Aber auch er war heute nicht dankbar dafür. Er war zerstreut, unruhig, sein Auge suchte etwas. Hinten in einer Laube des Gartens glaubte er es gefunden zu haben. Sein Auge wich nicht mehr von der Laube.

Die Damen sahen es, und – kennen alte Damen ein edleres Geschäft, als zwei Herzen mit einander zu verbinden, die sie lieben? Und auch Marianne liebten sie noch immer, trotz heute.

„Ja, theurer Urner, die gute Marianne ist in jener Laube.“

„Und ohne Absicht hat sie sich gewiß nicht in diese stille, dunkle, verschwiegene Laube hineingezogen, in die kein unbefugtes Auge hineinbringen kann.“

„Gerade heute, und nachdem wir von der vergangenen Nacht gesprochen hatten.“

„Und von Ihnen, bester Urner.“

„Sie müssen zu ihr,“ sagte zuletzt eine Ungeduldige geradezu. „Und kommen Sie nicht allein zurück.“

Es war freilich sehr geradezu. Der junge Mann erröthete, und er – ging.

„Die liebe Unschuld!“ sagten die alten Damen hinter ihm her.

„Haben Sie gesehen, wie er roth wurde?“

„Ja, er zeichnet sich sehr vortheilhaft vor den jungen Männern der heutigen Welt aus.“

Max Urner trat in die Laube ein. Sie war wirklich dunkel, abgelegen und verschwiegen genug. Nicht nur kein Auge, auch kein Ohr konnte unberufen in sie eindringen.

Marianne mußte den jungen Mann vorher gesehen haben. Ihr Gesicht wurde dennoch von einer dunklen Röthe übergossen, als er eintrat; dann war es weiß wie frischer Schnee, ihr Körper zitterte. Er erschrak, als er sie so sah.

„Sie sind unwohl, Marianne?“

„Nein, nein.“

„Ich hole Hülfe.“

„Es ist schon vorüber.“

Sie hatte sich zusammengenommen; sie hatte sich wieder erholt.

„Sie waren also wirklich unwohl – ich weiß nicht – –“

„Es war mir so sonderbar – ich weiß nicht“

„Marianne!“

Er sah sie mit einem Blick der vollsten, feurigsten Zärtlichkeit an. Einen Augenblick zitterte noch eine zweifelnde Zaghaftigkeit in seinen Augen; dann glüheten sie von Muth, Dem zärtlichen Blick hatte sie nicht ausweichen können; dem zaghaften hatte sie begegnen müssen; vor dem muthigen schlug sie die Augen nieder. Er mußte heute noch mehr wagen.

„Marianne, ich bin heute so glücklich. Der Glückliche geht rasch, in Sprüngen; auch ich muß es heute. Sie wissen, daß ich Sie liebe, Sie müssen es längst wissen, wenn ich es auch bisher Ihnen nicht sagen durfte. Heute, jetzt, in dieser ernsten Minute unseres Beisammenseins muß ich es Ihnen sagen. Ich kann es nicht länger auf dem Herzen behalten. Heute muß ich auch Alles wagen, auch die Frage meines Herzens an Ihr Herz. Können Sie mich wieder lieben?“ Er hatte ihre Hände gefaßt, er lag vor ihr auf den Knieen, er sah treu und liebend zu ihren Augen empor.

Sie hatte Zeit gehabt, sich völlig zu fassen, und das einfache, zwar liebende, aber dennoch verständige Mädchen hatte sich mit völliger Klarheit gefaßt.

„Stehen Sie zuerst auf, Max.“ Er erhob sich. „Setzen Sie sich ruhig zu mir.“ Er that auch das. Auch sein Wesen war zwar rasch und muthig, aber dennoch nicht minder einfach, klar und natürlich.

(Fortsetzung folgt.)




Preußische Licht- und Schattenbilder.
Ein Lichtbild.
Nr. 3. Karl Freiherr von Stein.

In einer Zeit der politischen Feigheit und Gesinnungslosigkeit dürfte es nicht ohne Nutzen sein, an einzelne deutsche Männer zu erinnern, die den Namen eines deutschen Patrioten in Wahrheit verdienen. Unter diesen glänzt vor Allen hervor Karl von Stein, der Besieger Napoleon’s, der Retter unseres Vaterlandes.

Aus uraltem Freiherrngeschlechte, dessen Urkunden bis zum Jahre Tausend reichen, stammte der Mann, dem Deutschland seine Wiedergeburt, Preußen vor Allem seine geistige Auferstehung zu verdanken hatte. Sein Vater, Karl Philipp von Stein, war ein Charakter, von dem der Sohn in der ihm gewidmeten Grabschrift rühmen durfte:

Sein Nein war Nein gewichtig,
Sein Ja war Ja vollmächtig,
Seines Ja war er gedächtig;
Sein Grund, sein Mund einträchtig,
Sein Wort, das war sein Siegel.

Die Mutter, ein gebornes Fräulein Langwerth von Simmern, besaß einen hohen, klaren Geist, tiefes, lebhaftes, selbst sehr heftiges Gefühl und einen kräftigen Willen, der vor keinem Hindernisse zurückschrak. Der Eltern Tugenden erbten auf den Sohn, der, von zehn Geschwistern der vorletzte, am 26. October 1757, zehn Tage vor der Schlacht bei Roßbach geboren wurde. In solcher Umgebung und im schönsten Theile Deutschlands voll herrlicher Thäler und Berge, von alten Burgen gekrönt, von Reben umkränzt und von tausendjährigen Eichen umrauscht, wuchs der Knabe heran in Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande, genährt von den Ideen der Standes- und Familienehre, frühzeitig mit der Pflicht vertraut, das Leben zu gemeinnützigen. Zwecken zu verwenden, durch Fleiß und Anstrengung den ihm überkommenen Besitz an geistigen und leiblichen Gütern zu mehren. Aus der Jugendzeit ist von ihm folgender charakteristischer Zug bekannt geworden: Als die Brüder und Schwestern unter sich Shakespeare’s Sommernachtstraum aufführten, verschmähte Karl andere Rollen mit dem Ausrufe: „I am the wall“ (ich bin die Mauer). Er hat Wort gehalten, und wurde der Wall, an dem sich fränkischer Uebermuth und Despotismus brach, die Mauer und feste Stütze des Vaterlandes.

Frühzeitig entwickelte sich unter solchen Verhältnissen der historische Sinn, der ihn durch’s ganze Leben begleitete; besonders sprach ihn Englands vielbewegte Geschichte an. Aber auch das classische Alterthum blieb ihm nicht fremd, er schöpfte daraus nicht todtes Wissen, sondern lebendige Begeisterung. So vorbereitet, bezog er die Universität Göttingen, wo er in dem berühmten Pütter einen Lehrer fand, dessen großartige, freisinnige Grundsätze des Staatsrechts Stein sich zu eigen machte. Eifrig widmete er sich den Studien, welche vorzugsweise auf Deutschlands Recht, Geschichte und Verfassung gerichtet waren. In der Wahl seines Umganges zeigte er sich vorsichtig, besonders schloß er sich an Brandes und Rehberg an, welche Beide sein Vertrauen vollkommen rechtfertigten.

Von Rehberg besitzen wir aus jener Zeit eine Schilderung des jungen Stein.

„Es war,“ so schreibt der Freund in seinen Erinnerungen, „in allen seinen Empfindungen und Verhältnissen etwas Leidenschaftliches. Aber welche Leidenschaft! Dem lebendigen und unbiegsamen Gefühle für alles Große, Edle und Schöne ordnete sich bei ihm sogar der Ehrgeiz von selbst unter. Mit den wenigen Menschen, denen er sich hingab, war er durch die Vermittlung seiner Empfindungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_584.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2023)