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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Schlachtfeld der Natur oder der Kampf um’s Dasein.

Von Dr. Louis Büchner.

Er sprach und blies auf dem Rasen fort:
“Das Eine wächst, wenn das Andere dorrt,
Das ist mein ewiger Weideort.“
 Rückert: Chidher.

Wie oft schon hat man die Natur mit einem Schlachtfeld verglichen, auf dem die lebenden Wesen mit einander um ihr Dasein ringen, ohne zu ahnen, welch’ tiefe Weisheit, welch’ große naturphilosophische Wahrheit in diesem Vergleich verborgen liege! Erst seitdem vor Kurzem der geistvolle Engländer Darwin, der berühmte Naturforscher von der Weltumseglung des Beagle, sein merkwürdiges Buch über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzenreiche durch natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Racen im Kampfe um’s Dasein geschrieben hat, ein Buch, von dem sein Uebersetzer, Professor Bronn in Heidelberg, sagt, daß es eine Umgestaltung der gesammten naturhistorischen Wissenschaft erwarten läßt, erst seitdem wissen wir, was jener Ausdruck zu bedeuten hat. Aeußerlich, so setzt Darwin auseinander, scheint die Natur in Heiterkeit und Ueberfluß zu strahlen; aber in Wirklichkeit ist es nur ein steter, ununterbrochener, mit Aufbietung aller Kräfte geführter Kampf sowohl der Einzelwesen unter einander, als derselben gegen die äußeren Lebensverhältnisse, in welchem schließlich nur der Stärkste, Beste oder mit irgend einem eigenthümlichen Vortheil Ausgerüstete den Sieg davonträgt. Ueberall, wohin wir in der Natur blicken, gewahren wir schöne und vortreffliche Anpassungen, sowohl von einem Theile der Organisation eines lebenden Wesens an den andern, als von einem Wesen selbst an das andre, als auch endlich von diesen Wesen an die äußeren Lebensbedingungen, wofür zahllose Beispiele vorliegen. Wie vortrefflich ist der Specht durch den Bau von Fuß, Schwanz, Schnabel und Zunge befähigt, Insecten unter der Rinde der Bäume hervorzuholen! Wie ausgezeichnet befähigt den Wasserkäfer die Bildung seiner Beine zum Untertauchen und macht ihn damit geschickt zur Flucht, wie zur Verfolgung! Wie leicht trägt der Wind den mit feinen Haaren besetzten Samen durch die Luft und läßt ihn da oder dort zur Weiterentwicklung niederfallen! Wie gut schützt die Thiere im Norden ihr dichter Pelz vor dem Erfrieren, wie gut seine Farbe das grüne auf einem Blatt lebende Insect oder das weiße Schneehuhn vor Verfolgung! Wie schön befähigt das zarte Spitzchen an dem Schnabel junger Vögel dieselben zum Durchbrechen der sie umhüllenden Eischale etc.! Alles dieses nun erläutert Darwin als Folge des Ringens um’s Dasein und der mit ihm verbundenen natürlichen Züchtung.

Wie der Mensch bei der Züchtung seiner Hausthiere die besten oder die mit besonderen Vorzügen oder Eigenthümlichkeiten versehenen Thiere auswählt und zur Nachzucht verwendet, so thut dieses in noch weit höherem Grade die Natur selbst, indem sie jede wenn auch noch so geringe Abweichung des einzelnen Wesens, vorausgesetzt daß sie für dessen Erhaltung vortheilhaft ist, unaufhörlich herauswählt und auf die Nachkommen überträgt, und dabei den schwachen Bemühungen des Menschen, der doch schon soviel erreicht hat, unendlich überlegen ist. Schon de Candolle und Eyell haben nachgewiesen, daß alle organischen Wesen im Verhältniß der Mitbewerbung unter einander stehen. Die Vögel, welche sorglos um uns her ihren Gesang erschallen lassen, leben von Insecten oder Samen und vertilgen daher beständig Leben; aber ihre eignen Eier oder Nestlinge werden unaufhörlich von Raubvögeln und andern Feinden zerstört, und Mangel an Futter, Kälte oder andere Naturereignisse lassen sie zu Zeiten zu Tausenden zu Grunde gehn, wobei die kräftigsten, schnellsten oder mit besonderen Vortheilen ausgerüsteten die meiste Aussicht auf Erhaltung haben. So ringen zu Zeiten des Mangels alle Naturwesen um Nahrung und Leben mit einander oder mit den Naturbedingungen selbst. Eine Pflanze ringt am Rande der Wüste mit der Trockenheit um ihr Dasein, und eine andere, welche jährlich tausend Samen erzeugt, von denen vielleicht nur ein einziger zur Entwicklung kommt, mit anderen, welche schon den Boden bekleiden. Eine Mistel ringt nicht blos mit dem Baume, auf dem sie ihr Schmarotzerdasein fristet, sondern auch mit andern beerentragenden Pflanzen, damit die Vögel eher oder lieber ihre Früchte verzehren und ihren Samen ausstreuen, als der andern. Der Kampf folgt schon unvermeidlich aus der Neigung aller Organismen, sich in viel stärkerem Verhältniß zu vermehren, als allein zur Erhaltung ihrer Gattung nöthig wäre. Kein lebendes Wesen vermehrt sich langsamer, als der Elephant; dennoch würde, ständen seiner Vermehrung keine Hindernisse entgegen, die Erde nach 500 Jahren von 15 Millionen Elephanten als Abkömmlingen eines einzigen Paares bevölkert sein! Jedes Wesen strebt daher nach äußerster Vermehrung seiner Anzahl; aber äußere Beschränkung und Mitbewerbung hindern es an der Erreichung dieses Zieles.

Auf einem Rasen, der stets kurz abgeweidet wird, tödten die kräftigeren Pflanzen die minder kräftigen, da die letzteren dem äußeren Eingriff weniger zu widerstehen im Stande sind; so hat man auf diese Weise von 20 beisammen wachsenden Arten 9 zu Grunde gehen sehen. Viele Thiere werden durch Raubthiere im Zaume gehalten, diese wieder durch Nahrungsmangel, Klima etc. Oft entstehen auf diese Weise die verwickeltsten und nur zum Theil erkennbaren Verhältnisse. Das Gedeihen der schottischen Kiefer in England ist abhängig von dem Rinde, das sie als junges Pflänzchen abweidet, wenn sie nicht eingefriedigt wird. Ueberträgt man dieses nach Paraguay in Südamerika, wo keine Rinder, Pferde und Hunde verwildern, wie in anderen Gegenden Südamerika’s, weil eine gewisse Fliege durch Eierlegen in den Nabel ihrer Jungen diese tödtet, so kann das Gedeihen oder Nichtgedeihen einer Pflanze von der An- oder Abwesenheit insectenfressender Vögel, welche jener Fliege nachstellen, abhängig sein! So giebt es bekanntlich eine Menge Pflanzen, welche nur durch den Besuch von Insecten, wie Bienen, Hummeln, Motten, befruchtet werden und unbefruchtet bleiben, wenn man jenen Besuch und damit die Uebertragung des Fruchtstaubs von der männlichen auf die weibliche Blüthe hindert. Die Existenz der Hummel aber z. B., welche bei einer bestimmten Pflanzenart oder an einem bestimmten Orte jenes Geschäft übernimmt, hängt von der Zahl der Feldmäuse ab, welche ihre Nester und Waben aufsuchen und zerstören; deren Zahl aber wieder wird bedingt durch die Anwesenheit von Katzen, Eulen etc., so daß von der Existenz eines solchen Raubthieres die Menge gewisser Pflanzen an einem gegebenen Orte geradezu als abhängig angesehen werden kann. Säet man verschiedene Weizenarten durcheinander, erntet ihre Samen ohne Sonderung, säet sie wieder, und so fort, so bleiben zuletzt nur die stärksten und fruchtbarsten und diejenigen, welche dem Boden am meisten entsprechen, übrig. Bei den Schafen hat man beobachtet, daß gewisse Gebirgs-Varietäten unter andern Varietäten aussterben. Eine Schwalbenart vertrieb in den Vereinigten Staaten eine andere Art. Die Vermehrung der Misteldrossel hat in Schottland die Abnahme der Singdrossel zur Folge gehabt. In England ist nach dem Botaniker Hooker die eingeborene schwarze Ratte fast ganz verschwunden unter den Zähnen der grauen Ratte aus Hannover, weiche die Schiffe Wilhelm’s des Dritten über die Nordsee geführt hatten, während aus San Francisco in Californien berichtet wird, daß es dort anfangs nur weiße Ratten gab, bis diese durch die von den Schiffen eingeführten schwarzen Ratten vertilgt wurden.

So ist die Natur ein Schlachtfeld, auf welchem stets das Eine das Andere mordet oder zu unterdrücken strebt, und zwar nicht bloß in unmittelbarem Kampfe, sondern noch mehr mittelbar durch größere Fruchtbarkeit, bessere Werkzeuge zur Aufsuchung der Nahrung oder Vermeidung von Gefahr und Verfolgung und Aehnliches. Die Wirkung des Klima’s namentlich ist zumeist eine indirecte und durch Begünstigung andrer besser daran gewöhnte Arten vermittelte. In englischen Gärten giebt es Pflanzen, welche zwar das Klima an sich vertragen, indem sie in den Gärten ganz gut gedeihen, aber außerhalb derselben nicht, weil sie den Kampf mit den dort lebenden Mitbewerbern nicht auszuhalten im Stande sind. Daher ist auch die Mitbewerbung zwischen den am nächsten verwandten Arten am heftigsten, weil sie nahezu dieselbe Stelle im Haushalt der Natur einnehmen und daher am meisten bestrebt sind, sich gegenseitig zu verdrängen. So hängt nicht blos die Existenz, sondern auch sehr oft der Bau

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_093.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)