Seite:Die Gartenlaube (1861) 216.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und selbst in höchster Noth ihre fürstliche Würde bewahrte. Glücklicher war das Loos der nicht minder berühmten Enkeltochter, die unter der Leitung ihrer Mutter und einer trefflichen Hofmeisterin, der Frau von Harling, eine ausgezeichnete Erziehung erhielt. Am Hofe zu Hannover herrschte damals ein reges geistiges Leben, hauptsächlich gefördert durch die Herzogin Sophie. Leibnitz, der große Gelehrte, Philosoph und Weltmann, war ihr vertrauter Freund und Rathgeber, mit ihm besprach die hohe Frau die höchsten Geistesfragen, bei seiner Klugheit erholte sie sich Rath in den wichtigsten Familienangelegenheiten. In solcher Umgebung und unter solchen Eindrücken entfaltete Sophie Charlotte frühzeitig ihren regen Geist, der durch den besten Unterricht gepflegt und durch interessante Reisen erweitert wurde. Schon als zwölfjähriges Märchen sah sie Italien, das Land der classischen Bildung und der Künste, für die sie mit empfänglicher Seele sich begeisterte.

Zwei Jahre später lernte sie Paris und den Hof Ludwig des Vierzehnten kennen, der damals als das unerreichte Ideal höfisch feiner Sitte galt. Ludwig der Vierzehnte selbst war von der liebenswürdigen Erscheinung der kaum fünfzehnjährigen deutschen Prinzessin so entzückt, daß er ernstlich daran dachte, sie mit einem französischen Prinzen zu vermählen. Mutter und Tochter aber lehnten zum Glück diese lockende Verbindung ab, da Beide den damit nothwendig verbundenen Uebertritt zur katholischen Religion mit ihren echt protestantischen Grundsätzen nicht vereinbar fanden. Dagegen eröffnete sich für Sophie Charlotte eine andere, nicht minder glänzende Aussicht bei ihrer Rückkehr nach Hannover. Der damalige Kurprinz Friedrich von Brandenburg, der seine Gemahlin, eine geborene Prinzessin von Hessen-Kassel verloren hatte, hielt um die Hand der durch Geist und Schönheit gleich ausgezeichneten Fürstentochter an. Am 28. September 1684 geschah die Trauung zu Herrenhausen mit großer Feierlichkeit und unter Festlichkeiten, die dem prachtliebenden Sinne des hohen Bräutigams eine besondere Befriedigung gewährten, während Sophie Charlotte schon damals den eitlen Prunk der Höfe nach seinem richtigen Werthe würdigte. Durch Klugheit und Liebenswürdigkeit gewann sie das Herz ihres Schwiegervaters, des damals schon der Schwäche des Alters fast erliegenden großen Kurfürsten und seiner hochfahrenden zweiten Gemahlin, der herben, finstern Dorothee, mit der sie jedoch im besten Einvernehmen stand. Unter schwierigen Verhältnissen gelang es ihr, sich die Liebe und Achtung Aller und vornehmlich ihres Gatten zu erwerben, obwohl ihr Bildungsgang und ihre Lebensanschauung von den seinigen bedeutend abwich. Weit entfernt sich an dem Zwist und dem Treiben der Parteien zu betheiligen, oder in die Staatsgeschäfte einzugreifen, suchte und fand sie das wahre Glück in dem inneren Kreise einer ansprechenden Häuslichkeit, in der Gesellschaft gleichgesinnter Freunde und Freundinnen, wo zwanglose Gespräche mit musikalischen Genüssen abwechselten und jede lästige Etiquette verbannt war. Auch nicht Hoffähige fanden hier Zutritt, wenn sie sich durch Geist auszeichneten, welcher der erst siebzehnjährigen Fürstin höher galt, als der Adelsbrief ungeschlachter Junker.

Als regierende Kurfürstin änderte sie nichts in ihrer gewohnten Lebensweise; sie zog es vor in ländlicher Abgeschiedenheit mit ihrem Hofstaate zu leben, der meist aus den geistreichsten Herren und Damen zusammengesetzt war. Zu diesem Zwecke erkaufte sie das Dorf Lützow, zwischen Berlin und Spandau an der Spree gelegen. Die Großmuth des Kurfürsten setzte sie in den Stand, daselbst nach dem Plane des berühmten Schlüter ein Schloß im italienischen Geschmacke zu bauen, das erst nach ihrem Tode zu ihrem Andenken den Namen Charlottenburg erhielt. Die ganze Einrichtung zeigte von einem wahrhaft gediegenen Geschmack; ein Zimmer enthielt kostbares chinesisches und japanisches Porzellan, wie es die Mode der Zeit forderte, in einem anderen waren die Leuchter, ein kleiner Kaffeetisch, ein dazu gehöriges Service und selbst die Roste des Kamins von gediegenem Golde, ein kostbares Geschenk des hohen Gemahls. Die schönste Zierde des Schlosses bildeten aber die nach den Rissen des berühmten Lenôtre ausgeführten Gartenanlagen, ausgestattet mit schönen Orangebäumen, seltenen Blumen, Vasen und Statuen. Hier wandelte sie an der Seite des berühmten Leibnitz, der von Hannover öfters sie besuchte, im eifrigen Gespräche, voll Wissensdurst die höchsten Fragen der Menschheit mit ihm verhandelnd. Ihr Forschungstrieb hatte keine Grenze, so daß der große Philosoph ihr einst lächelnd sagte: „Es ist gar nicht möglich Sie zufrieden zu stellen, Sie wollen das Warum des Warum wissen.“ Hier entwarf sie mit ihm den Plan zur Gründung jener Berliner Akademie der Wissenschaften, welche den Grund zu der geistigen Größe des preußischen Staates legte und deren erster Präsident Leibnitz wurde, von dem Friedrich der Große urtheilt, daß er allein eine ganze Akademie vorstelle.

Hier in Lützelburg empfing sie den berühmten englischen Dichter und Freidenker Toland, mit dem sie in Gegenwart mehrerer Theologen über die Grundwahrheiten der christlichen Religion ebenso tief, als geistreich sprach. Den bedeutenden Eindruck, den sie auf ihn machte, schilderte der Reisende in seinem Bericht über seinen Aufenthalt am preußischen Hofe folgendermaßen: „Sophie Charlotte ist die schönste Prinzessin ihrer Zeit und sie steht keinem Menschen nach an richtigem Verstand, zierlichen und wohlgesetzten Worten und an Annehmlichkeit in der Unterhaltung und im Umgang. Sie hat überaus viel gelesen und kann mit allerhand Leuten von allerhand Gegenständen reden. Man bewundert eben so wohl ihren scharfen und gewandten Geist, als ihre gründliche Wissenschaft, die sie in den schwersten Stücken der Philosophie erlangt hat. Ja, ich muß frei und ohne die geringste Schmeichelei bekennen, daß ich in meinem ganzen Leben Niemand gehört habe, der geschicktere Einwürfe hätte machen oder die Unzulänglichkeit und Sophisterei vorgebrachter Schlüsse und Argumente entdecken, die Schwäche oder Stärke einer Meinung leichter durchdringen können als sie. Sie sieht es gerne, wenn Fremde ihr aufwarten und von allem, was in ihrem Lande merkwürdig ist, Unterricht geben. Ja, sie hat eine so genaue und rechte Erkenntniß von den Regierungen, daß man sie in ganz Deutschland nur zu nennen pfleget die republikanische Königin, oder die es nicht mit der absoluten unumschränkten Monarchie hält. Alles was lebhaft und gebildet ist, kommt an ihren Hof, und man sieht da zwei Dinge, die die Welt sonst für einander ganz zuwider hält, in vollkommener Einigkeit beisammen, die Studien und die Lustbarkeiten. Für ihre Person ist sie eben nicht sehr groß und schmächtig, vielmehr etwas stark von Körper, ihre ganze Bildung sehr regelmäßig und ihr Teint sehr weiß und lebhaft, sie hat blaue Augen und kohlschwarze Haare; sie hat sehr gerne schöne Damen um sich, wie denn ihr ganzes Frauenzimmer davon voll ist.“

Von derselben Toleranz wie ihr berühmter Freund Leibnitz beseelt, beschäftigte auch sie vielfach der damals öfters auftauchende Gedanke, eine Einigung der getrennten und sich feindlich gegenüber stehenden Glaubensbekenntnisse herbeizuführen. In diesem Sinne veranlaßte sie den geistvollen und weltklugen Jesuiten Vota, den Beichtvater des Königs von Polen, zu einer Zusammenkunft und Disputation über theologische Gegenstände mit ihren französischen Hofpredigern Beausobre und Lefant. Sie selbst nahm den lebhaftesten Antheil an diesem Streite, der wie gewöhnlich damit endigte, daß kein Gegner den andern überzeugte und jeder sich den Sieg zuschrieb. Sie selbst stand über beiden Parteien und mäßigte mehr als einmal den Eifer der Kämpfenden, der in Bitterkeit ausartete, durch ihr feines, taktvolles Benehmen, so daß ihr von katholischer, wie von protestantischer Seite das höchste Lob gezollt wurde. Der gewandte Jesuit entschuldigte in einem Briefe an sie seine Heftigkeit, indem er jedoch seine Gegner anklagte und von Neuem herausforderte. Sophie Charlotte theilte den Brief ihren beiden Theologen mit, um ihn zu widerlegen; wobei sie selbst den Anfang und den Schluß der weitläufigen Antwort verfaßte, welche der schon genannte Toland nach ihrem Tode unter dem Titel: „A letter against popery“ in englischer Uebersetzung herausgab.

Trotz dieser philosophischen Richtung und innigen Betheiligung an den großen Fragen ihrer oder vielmehr aller Zeiten bewahrte sich Sophie Charlotte den ihr angeborenen heiteren Sinn und eine frische Lebenslust. Neben den ernsten Wissenschaften pflegte sie die heitere Kunst; sie liebte vor Allem die Musik. Mit Anmuth und Fertigkeit spielte und sang sie Werke der ersten Meister; ihre musikalische Bibliothek wurde eine Tonne Goldes werth geschätzt. Ein Clavier, welches ihre Cousine, die originelle Herzogin von Orleans, ihr aus Paris zum Geschenk gesandt hatte, wurde noch lange als eine werthvolle Reliquie bewahrt. Sie hatte ihre eigene Capelle unter der Leitung des berühmten Virtuosen Attilio Ariosti und componirte selbst ausgezeichnet. Der berühmte Händel kam 1698, damals fünfzehn Jahr alt, nach Berlin und an den Hof, wo sie zuerst sein Talent erkannte und ihn auch dauernd zu fesseln suchte. Auch dem Theater widmete sie ihre Neigung und stete Aufmerksamkeit zu. Auf ihrem Schlosse zu Lützelburg ließ sie eine Bühne

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_216.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)