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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Bett leer und den größten Theil seiner Garderobe verschwunden. Von einer bestimmten Ahnung getrieben, wandte er sich nach dem ihm von dem Freunde bezeichneten Hause und ließ sich bei der Besitzerin desselben melden. Alles indessen, was dort zu erfahren war, lautete, daß der junge Mann von dem Mädchen nicht lassen könne und sich in dem Etablissement als Pianospieler habe engagiren lassen. – Der Italiener nahm vorläufig die zurückgelassenen Effecten des Freundes an sich, sicher, daß dieser früher oder später noch einmal danach fragen würde.

Sechs Wochen später kam an ihn die Nachricht, daß der junge Deutsche am Nervenfieber darniederliege. Was in dieser Zeit mit ihm vorgegangen, ist nie bekannt geworden. Der Violinspieler vermittelte für ihn die Aufnahme in ein Hospital; als aber der Kranke körperlich wieder genesen, war er genau in demselben Zustande, in welchem ihn später die Gäste des Bierlocals gewohnt waren zu sehen. Nur zwei Einflüsse, die ihn mit der übrigen Welt in Verbindung setzten, gab es noch für ihn: die Stimme seines Freundes und das Piano. Er ward auf das Ansuchen des Italieners diesem überantwortet, und es gelang dem treuen Cameraden, in dem Bierwirthe in Douanestreet einen Beschützer für den Unglücklichen zu gewinnen. –

Ich verließ bald darauf New-York, und als ich es, manches Jahr später, wiedersah, war weder von dem unheimlichen Pianospieler noch von dem Bierlocale selbst mehr eine Spur zu entdecken.

O. R.     




Blätter und Blüthen.


„Vom verlassenen Bruderstamm. Das dänische Regiment in Schleswig-Holstein.“ Unter diesem Titel ist im Verlag von A. Vogel in Berlin vor Kurzem von dem Mitarbeiter der Gartenl., Hr. Dr. jur. Gustav Rasch, der erste Theil eines Werkes erschienen, in dem die traurigen Zustände in Schleswig geschildert werden. Ueber den Inhalt und die Tendenz des Werks entnehmen wir aus der Vorrede zu demselben folgende Stelle:

Ich schildere in diesen Blättern die gegenwärtigen Zustände in Schleswig auf Grund eigener Anschauung und gestützt auf den Wortlaut diplomatischer, officieller und gerichtlicher Actenstücke. Sie sind unerhört. Die dänische Regierung wendet, um zu ihrem Ziele, der heimlichen und schleunigen Danisirung eines deutschen Landes, zu gelangen, Mittel und Maßregeln an, welche die österreichische Regierung in Venetien und die Priester-Regierung in Rom niemals anzuwenden gewagt haben. Holstein ist um Vieles glücklicher als Schleswig; die Verbindung mit dem deutschen Bunde macht in Holstein die Danisirungs-Versuche und die Anstellung dänischer Beamten, Pastoren und Schullehrer schwieriger. Aber beide Herzogthümer sind baar aller politischen Rechte: die Presse überall in den Händen der dänischen Polizei, selbst das Petitionsrecht bis zur Lächerlichkeit einer Unterschrift herabgesunken; Strafen an Leib und Vermögen, wenn die Bürger bei dem Könige petitioniren; kein Vereins- und Versammlungsrecht; die Communal-Verwaltung überall auf dem Wege, den Dänen und ihren Creaturen in die Hände zu gerathen, oder bereits in ihren Händen; die Wirksamkeit der Stände-Versammlungen auf Null reducirt. In Schleswig Erbitterung, Schmerz und Haß überall; die rechtloseste Willkür Seitens der dänischen Administrativbeamten und Polizisten, wozu der berüchtigte § 9. der Schleswig-Holstein octroyirten Verfassung, indem er den deutschen Bürgern in den beiden Herzogthümern jeden Rechtsweg abschneidet, sie vollkommen autorisirt; eine unerhörte Knechtschaft der Geister in Sprache, Kirche und Schule; vollkommene Unsicherheit der Person und des Eigenthums vor den unaufhörlichen Angriffen der dänischen Beamten; ein über das ganze Land ausgebreitetes Netz von Spionage und Denunciation; zunehmende Armuth in den Städten bei den kleinen Bürgern und Handwerkern und ein schnell fortschreitendes Sinken des Realcredits in den nördlichen und mittleren Districten des unglücklichen Landes. Man erwidere mir nicht, daß diese traurigen Resultate meiner Anschauungen zu grelle Farben zu haben scheinen. Ich habe nur die eigenen Worte der Actenstücke, mit denen ich in der zweiten Hälfte meines Buches die in der ersten enthaltenen Schilderungen belegt habe, wiederholt. Sie bestehen aus einer dänischen Denkschrift, aus einer preußisch-ministeriellen Denkschrift, welche die preußische Regierung bis jetzt nicht gewagt hat, in Deutschland der Öffentlichkeit zu übergeben – sie ist nur bruchstückweise in englischer Sprache erschienen – aus dem Ausschuß-Berichte der schleswig’schen Ständeversammlung, aus Urtheilen und Aussprüchen hochgestellter dänischer Geistlichen und Beamten, welche den Muth gehabt haben, der Partei, welche im Kopenhagener Ministerium ein deutsches Land terrorisirt, die Wahrheit in’s Gesicht zu sagen. Man wird in diesen Documenten, welche selbst die eiderdänische Presse nicht wird antasten können, jedes Wort, welches ich angewandt habe, um die heutigen Zustände in Schleswig-Holstein zu schildern, wiederfinden.

Trotz alledem wird mein Buch der Gegenstand maßloser und heftiger Angriffe Seitens der eiderdänischen Presse werden. Ich wende mich deshalb hier an die gesammte deutsche Presse mit der ernsten Bitte, mich in meinen Anstrengungen thatkräftig zu unterstützen. Ich habe ein Recht zu dieser Bitte, und die Erfüllung derselben ist eine Pflicht der deutschen Presse; denn es handelt sich um die mit Füßen getretenen heiligsten Menschenrechte eines von Deutschland verlassenen Bruderstammes, gegen den Deutschland immer noch seine verpfändete Ehre einzulösen hat. Auch an die conservative deutsche Presse richte ich dieselbe Bitte. Ich hoffe, sie wird nicht vergessen, daß ich dieses Mal keine „aufrührerische oder republikanische Tendenzen“ vertheidige, sondern die Leiden eines deutschen Landes schildere, welches ihre Partei vor zehn Jahren wehrlos den Dänen überliefert hat.


Meine Fledermaus. Während meiner Universitätsjahre hielt ich mir häufig zum Behufe anatomischer und physiologischer Studien Thiere der mannigfaltigsten Arten, deren Lebensweise ich auch wohl längere Zeit beobachtete. – Eines Abends verirrte sich eine Zwergfledermaus (Vespertilio pipistrellus) in mein Zimmer und wurde wohlbehalten eingefangen. In der irrigen Meinung, daß die Fledermäuse Speck fressen, gab ich ihr dieses Futter, aber sie rührte es nicht an und war nach zwei Tagen dem Hungertode nahe. Eine Fliege, die ich dem zum Sterben schwachen Thierchen hinhielt, wurde mir begierig aus der Hand genommen und verschluckt. Von nun an fütterte ich die Fledermaus mit Fliegen, die ich sie, auf meiner Hand sitzend, theils an den Fensterscheiben selbst fangen ließ, meist aber ihr lebend hinreichte. Sie fraß am Tage nichts, sondern schlief sehr fest in einem dunkelen Winkel meines Büchergestelles, wo sie sich auf die bekannte Weise, den Kopf nach unten, mit den Hinterfüßen an ein Buch aufhängte und so von Mitternacht bis zum nächsten Abende der Ruhe pflegte. Erst bei anbrechender Abenddämmerung kam sie hervor, um Insecten zu fangen. Schon nach wenigen Tagen war sie so an mich gewöhnt, daß sie bei meinem Herankommen ihr Verlangen nach Futter durch pfeifende Töne und Flattern kund gab, wie ein junger Vogel, welcher von den Alten gefüttert wird. Nach einigen Wochen hatte sie sich gewöhnt, nach dem Erwachen von ihrer Schlafstelle aus auf dem Boden zu mir an meinen Arbeitstisch zu kriechen, sie kletterte dann an mir empor, fraß aus meiner Hand eine Anzahl Fliegen und begann von meiner Schulter aus ihren Flug durch die Stube, um dort selbst der Jagd obzuliegen. – An einem jungen Sperlinge, der frei durch das offene Fenster aus- und einflog, hatte sie, wenn sich dieser am Abend noch nicht zur Ruhe begeben hatte, einen Rivalen, welcher mit der diesem Vogel eigenen Dreistigkeit mir immer die für die Fledermaus bestimmten Fliegen mit Gewalt wegzunehmen suchte. Es entspann sich aus dieser Rivalität bald eine tödtliche Feindschaft, in Folge welcher der Sperling einst die kleine Fledermaus durch einen Biß auf den Kopf tödtete, nachdem sie über zwei Monate bei mir gelebt hatte. Eigenthümlich war die Art, wie die Fledermaus mit besonders lebhaften Fliegen verfuhr. Durch einen Schlag mit dem Flügel warf sie die Fliege gegen ihren Bauch, bildete in demselben Momente aus der Flughaut ihres Schwanzes eine Tasche, in welcher nun die Fliege sich abzappelte, und holte aus dieser Falle die Fliege mit ihrem Maule heraus. Die ganze Procedur war das Werk eines Augenblickes, ich habe häufig Gelegenheit gehabt, sie zu beobachten.

Es spricht sehr für die Intelligenz dieses kleinen Thierchens, daß es schon nach wenigen Tagen in mir seinen Wohlthäter erkannte und in so kurzer Zeit bis zu dem beschriebenen Grade gezähmt werden konnte. – Masius in seiner „Thierwelt“ behauptet zwar, die Zähmung von Fledermäusen sei bis jetzt nur bei einigen ausländischen Arten gelungen, aus vorstehender Beobachtung geht aber das Irrige dieser Behauptung hervor; vielleicht hatte man den eingefangenen Fledermäusen nicht das richtige Futter gegeben, und der Hungertod ereilte sie, ehe an Zähmung zu denken war. Ich habe seitdem mehrere Arten von Fledermäusen, die zum Theil in Rauchkammern gefangen worden waren, mit Speck eingesperrt, keine einzige war, selbst nicht durch den äußersten Hunger, dazu zu bewegen, daß sie Speck gefressen hätte. (Die Spuren von Zähnen an angenagtem Speck beweisen immer, daß ein Nagethier, eine Maus oder Ratte, dort genascht hat.) Um so lächerlicher ist es, daß man in Lebensmittelmagazinen die Fenster sorgfältig mit Drahtgittern verwahrt, die den schädlichen Insecten, den Speckkäfern, schwarzen Kornwürmern, Mehlkäfern, Motten etc. den ungehinderten Zutritt gestatten, deren Hauptfeind aber, die Fledermaus, abhalten.

G.     


Michael Bakunin, schreibt man aus London, ist nicht nur aus Sibirien entflohen, sondern auch zum Christfest hier in London angelangt. Gewiß wird es Viele in Deutschland interessiren zu hören, daß der Mann, dem man in Oesterreich Ketten an die Füße legte, und den man mit einer Kette um den Leib an die Wand schmiedete, den man an Rußland auslieferte, wo er in den feuchten Gefängnissen von Schlüsselburg am Scorbut alle Zähne verlor, der dann endlich seit 1857 in Sibirien als Verbannter lebte – daß er all diese Qual überstanden hat und noch kräftig an Körper, besonders aber unverwüstlich frisch und energisch an Geist und Herz, sich endlich wieder in Freiheit auf englischem Boden befindet. Von seiner interessanten Flucht, den Amur hinunter, über Japan, den stillen Ocean, Californien, Panama, New-York und das atlantische Meer bis hierher, hoffen wir aus seiner eigenen Feder bald Mehreres zu hören. Für Sibirien ist er sehr eingenommen, er sagt, es sei ein Land, das eine gute Zukunft habe und in welchem herrliche Menschen wohnen, zum Theil die Nachkommen der politischen Verbrecher, meist freier, edler Menschen. Ganz besonders haben, wie er sagt, die Polen dort ungemein viel für die Civilisation gethan.

Dem Vielgeprüften begegnete überall, schon in Amerika und so auch hier, die freudigste Theilnahme. Schon vor seiner Ankunft erhielt sein Freund, A. Herzen, eine Adresse englischer Arbeiter, die ihre Freude über seine Befreiung aussprachen. In Amerika weigerte man sich in den Läden, Geld von ihm zu nehmen, als man seinen Namen hörte, da man wohl denken konnte, daß des Flüchtlings Casse nicht übervoll ist, und man es sich zur Ehre rechnete, ihn mit dem Nöthigen zu versehen. In London kömmt ihm die allgemeinste Theilnahme entgegen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_048.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2020)