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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Herrn oft, wenn die Ausgaben allzu sehr die Einnahmen überstiegen und Gläubiger, Handwerker und Lieferanten dem Herrn Geheimsecretair v. Weber die Hölle gar zu heiß machten, sehr kräftige Ermahnungsbriefe schreiben. Die maßlos schroffe und fast tyrannische Handlungsweise des Königs Friedrich Wilhelm von Würtemberg war Weber in tiefster Seele antipathisch, und er gab dieser Empfindung indirect häufig genug in den Briefen Ausdruck, die er im Namen des Prinzen Louis an den König zu schreiben hatte und die, wegen der zügellosen Lebensweise des Prinzen, meist ohnehin ärgerlichen Inhaltes für den König waren. Es konnte nicht fehlen, daß der König den Concipienten dieser Briefe, die der Prinz stets, oft ohne sie zu lesen, unterzeichnete und die nicht immer bloß Geschäftliches enthalten haben mögen, errieth und einen gründlichen Widerwillen gegen ihn faßte. Es kam dem Monarchen daher gelegen, als sich in den Finanzverhältnissen des Prinzen Erscheinungen zeigten, für die die Bezeichnung „Unordnungen“ ein euphemistischer Ausdruck sein würde, daß die ganze Schuld auf den Geheimsecretair von Weber geschoben werden konnte, der auch sofort arretirt und nach kurzer Untersuchung sogleich über die Grenze geschafft wurde. Würtemberg blieb Weber bis zum Tode des Königs Friedrich verschlossen. Erst sehr spät ist Weber’s Ehre, durch besseres Verständniß der wahren Motive jener Unordnungen, von jedem Flecken gereinigt worden; für den Augenblick haftete ihm ein böser Makel an, obwohl Niemand von denen, die ihn kannten, an seine Schuld glaubte und man nur beklagte, daß er, in jugendlichem Leichtsinne, sein Vertrauen Personen geschenkt hatte, die dasselbe schlecht rechtfertigten und ihn dadurch in diese böse Lage brachten.

Tief bildend, ja ihm eine neue Richtung gebend, hat in Stuttgart der Umgang mit dem Kapellmeister Danzi auf Weber gewirkt, dem er bis an sein Lebensende die wärmste Freundschaft bewahrte. Besonders in Bezug aus die Form des instrumentalen Ausdrucks soll, nach dem Zeugnisse der damaligen Kunstgenossen Weber’s, Danzi’s Einfluß bestimmend für Weber gewesen sein. Er selbst pflegte mit dem Weggange von Stuttgart den Abschluß seiner Lehrjahre zu datiren. Von der Anregung, die Weber durch Danzi empfing, zeugt die Menge musikalischer Arbeiten,, zu denen er neben seiner Secretariatsthätigkeit Muße fand. Die „Sylvana“ ward aus dem „Waldmädchen“ geschaffen, die kleine Rochlitzsche Cantate „der erste Ton,“ die einen bedeutenden Ruf erhielt, entstand, nebst einer Menge von Liedern und Clavier-Compositionen, worunter die große Polonaise in Es dur. Außerdem konnte es nicht fehlen, daß den jungen, eben im Gährungsprocesse für den Antritt einer neuen Kunstperiode begriffenen Künstler der Verkehr mit Männern wie Dannecker, Haug, Reinhardt, Wächter etc. mächtig leitend berührte.

Von dem unfreiwilligen Verlassen Stuttgart’s an erhielt Weber’s ohnehin schon so unruhig bewegtes Leben die Form einer mehrjährigen, wahrhaften Pilgerfahrt, die ihn alle Wonnen und Schmerzen, allen Jubel und alle Enttäuschungen der Künstlerlaufbahn durchkosten ließ. Zunächst nach Mannheim eilend, wo ihm eine Menge werther Freunde lebten und er in der Prinzessin (nachherigen Großherzogin) Stephanie eine edle Beschützerin hatte, begründete er dort seinem hinfällig werdenden Vater, dessen pecuniäre Mittel fast ganz erschöpft waren, eine bescheidene, aber behagliche Heimath. Eine kurze Zeit schien es, als wollte man ihn dort als Musikdirector fesseln, doch die Sache scheiterte, man kann sagen, zum Glücke, an des Kapellmeisters, des talentvollen, aber auch neidischen, alternden und trägen Peter Ritter, Widerstand; denn was wäre Weber ohne seine Kunstreisen geworden? Wie hätte er so das ganze deutsche Volk am Herzen fassen können, wenn er nicht mit allen Stämmen des deutschen Volkes gelebt und musicirt hätte?

Der Anfang wurde mit kleinen Ausflügen gemacht, auf denen er sich im Badener Land und zwischen Frankfurt, Darmstadt, Mannheim, Cassel, Carlsruhe hin und her bewegte. Diese Zeit war es, wo Weber die Freundschaften schloß, die ihn ohne Wanken durch das ganze Leben stützend, tröstend und erheiternd begleiteten. Er lernte Alexander v. Dusch, Gänsbacher, Gottfried Weber kennen und lieben und erneute die alte Freundschaft mit Meyerbeer. Zum trautesten Verkehr mit den letzteren Dreien führte ihn der gemeinsame Wunsch, noch einmal den Unterricht Vogler’s, der inzwischen geistlicher Geheimrath des Großherzogs von Darmstadt geworden war, zu genießen, zusammen. Da kam die Sommerzeit von Weber’s Jugend! Wir sehen die geistvollen, heiteren Studiengenossen, die selbst schon junge Meister waren, im Wetteifer den Unterricht eines abgöttisch verehrten Lehrers genießen, aber auch im Wetteifer Darmstadt mit den Spukgeschichten ihrer tollen Streiche erfüllen. Auf Jahrmärkten, in Wachtstuben, beim Bauerntanz auf Kirchweihen sah man die jungen Musikanten „Melodien sammeln“. Wenn aber dann das ehrbare Darmstadt sein langweiliges Gesicht in ernste Falten ob des wilden Treibens legen wollte, machten sie so hübsche Musik, daß ihnen Niemand böse sein konnte. Vogler pflegte, wenn er auf die vier jungen Evangelisten seiner Lehre blickte, wie er sie nannte und die doch dann so ganz andere Dinge als seinen Glauben predigten, zu sagen: „Gottfried weiß am meisten, Meyer thut am meisten, Carl Maria kann am meisten und Johann[1]trifft am meisten!“

Fortsetzung folgt)


Der Letzte seines Stammes.
Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung)


Veronika von Gunta an den Grafen von Rottenbuel.

„Gunta, den 5. Mai 1788. 

Haben Sie meinen aufrichtigen Dank, mein Herr Graf, für alle die gütige Zuvorkommenheit, welche Sie mir während dieses ganzen Winters bewiesen haben. Es that mir sehr wohl, mich Ihrer Theilnahme versichert halten zu dürfen, und wenn Schnee und Eis mich bisweilen für Tage und Tage von aller Welt abschieden, und mein armes Haus mir recht verödet schien, weil der Blick, der mein Leitstern durch das Leben gewesen ist, nicht mehr über demselben waltet, und die liebe Stimme, die ich jetzt nur noch in meinen Träumen vernehme, nicht mehr über mich und über unser Haus gebietet, dann haben die Bücher mir freundlich Gesellschaft geleistet, und mein Sinn hat sich daran aufgerichtet, mein Herz sich daran erwärmt.

Aber ich kannte die beiden Romane bereits, die Sie mir zuletzt gesendet haben. Sowohl die Nouvells Héloïse von Rousseau, als die Leiden des jungen Werther von Herrn Goethe hatte ich gelesen, als im vorigen Sommer unser Graubündener Dichter Herr von Salis uns besucht hatte und viel von Poesie und von den früheren und jetzt lebenden Dichtern die Rede gewesen ist. Ihre Schwester war nicht dafür, daß mein Vater mir diese Bücher zu lesen verstattete, mein Vater aber hatte kein Bedenken, mir den Genuß zu bereiten, und Genuß habe ich sehr viel davon gehabt. Es war mir, während ich las, immer zu Muthe, als stünde ich auf unsern Alpenhöhen und sähe hinab gen Süden nach Italien hin, wo Alles anders und Alles schöner ist, als bei uns; Alles so warm, so die Sehnsucht weckend, so verlockend und so überwältigend, daß man Scheu fühlt, es kennen und lieben zu lernen, aus Furcht es wieder entbehren zu sollen. Mein ernster Vater war ganz jung geworden bei den gedachten Büchern, und ich empfinde in der Erinnerung an ihn und an seine Freude noch ein ganz besonderes Glück und eine höhere Rührung, so oft ich sie wieder lese.

Nur Eines, daß ich es Ihnen bekenne, ist mir damals und jetzt wieder aufgefallen und hat mich in meinem Genusse innerlich beeinträchtigt. Ich vermisse an Werther’s Lotte die rechte Wahrhaftigkeit des Herzens, und ich meine, wem diese fehle, der könnte auch die rechte, wahrhaftige Liebe nicht empfinden, und der habe auch die einfache Herzensgüte nicht, welche Anderen kein Leid bereiten mag. Wenn ich mich der Thränen über Werther’s Leiden nicht erwehren konnte, so kränkte es mich immer um so mehr, daß Lotte ihn nicht mit offner Wahrheit von diesen Leiden heilte,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_094.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Johann Gänsbacher war ein ungemein feinfühlender Musiker, daneben aber auch vortrefflicher Büchsenschütze.