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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die neue Lehre verbreitete sich immer weiter, und schon war auf Bitten der Bekenner derselben in den andern Gemeinden Rostocks, zunächst in der heil. Geistkirche, ein lutherischer Prediger angestellt worden. Im Jahre 1530 hatten die Lutherischen in allen Kirchen, und sogar im Dome, der am längsten von den Katholiken allein behauptet worden war, Prediger ihres Glaubens.

Dieses Jahr war überhaupt das schönste in Slüter’s Leben. Ein treues Weib, ein liebliches Kind, der Sohn, den Katharina ihm geboren, schmückte seine Häuslichkeit; angebetet von seinen Pfarrkindern, treue, ihn hochverehrende Freunde zur Seite, und selbst von den edleren unter seinen Gegnern geachtet, in seinem obgleich schweren Berufe das höchste Glück seines Lebens findend, blieb ihm kaum noch ein anderer Wunsch übrig, als den Tag noch zu erleben, wo sein liebes Rostock eine ausschließlich lutherische Stadt würde geworden sein. Allein lange, ehe dieses Ziel erreicht war, führten seine Feinde den Augenblick herbei, wo der edle Glaubenskämpfer vom Schauplatze seines Wirkens abtreten mußte.

Um Neujahr 1532 war Slüter in einem lutherischen Bürgerhause zum Gastmahl geladen. Hier ward ihm von einem ebenfalls anwesenden Buchbinder (seinen Namen hat die Chronik glücklicherweiser nicht aufbehalten) ein Becher Wein zugetrunken, aus welchem der mäßige Slüter nur einige Schlucke, seine beiden Tischnachbarn, ein Böttcher und ein Wollweber, desto mehr tranken. Diese beiden Leute starben nach wenigen Tagen unter sehr verdächtigen Symptomen. Slüter aber begann dahin zu siechen, rasch und ohne daß ihm konnte geholfen werden, so daß er schon in der Passions- und Osterzeit nur noch mit Anderer Hülfe die Kanzel zu besteigen vermochte. Erst wenige Tage vor Pfingsten gab der wackere Glaubensheld diesen furchtbaren Kampf mit einer Macht, der Niemand zu entgehen vermag, auf und verließ von nun an sein Lager nicht mehr. Am ersten Pfingsttage, den 19. Mai, Nachmittags zwischen zwei und drei Uhr entschlummerte er wie ein echter Jünger des Heilandes, indem er noch sterbend „für das Heil aller Welt“, mithin auch für seine Feinde betete.

Nicht weit von der Thüre seines Hauses entfernt, bettete man seine irdische Hülle und legte eine schwere Steinplatte auf das Grab, die noch bis auf unsere Tage erhalten ist. Diesen Stein hat man durch einen ganz ähnlichen neuen ersetzt, hinter welchem sich das Denkmal erhebt, von welchem ich zu Anfange dieses Aufsatzes geredet.




Blätter und Blüthen.

An Ludwig Uhland’s Grab. Erst an das Grab des deutschen Dichters und Patrioten kann nun die Gartenlaube treten, da es ihr nicht vergönnt ist, mit ihren Lesern den Tag eines frischen Ereignisses zu begehen, weil Wochen an ihrer Vollendung arbeiten. So ist es gekommen, daß die Tausende unserer Leser, welche im Geiste dem feierlichen Zuge der Bestattung des Geliebtesten der großen Todten unserer jüngsten Zeit gefolgt waren, nunmehr längst wieder heimgekehrt sind und nun in stiller Nachfeier sich ihre Herzen erheben an dem Anschauen des klaren Bildes von dem Streben und Schaffen des Heimgegangenen. Es ist ein stolzes Gefühl, das an diesem Grabe in uns aufsteigt, es ist über jede Trauer erhaben: wie ein heiliger Altar erhebt sich vor uns der einfache Hügel, es zwingt uns, vor ihm im Innersten, dem eigenen Gewissen allein, den Schwur abzulegen: ewig treu zu bleiben dem Kampfe nach den Zielen, welche die Leitsterne eines so reinen Lebens waren. Es ist eine Wonne, vor einem solchen Grabe zu stehen, einem Grabe, an welchem die Zuversicht, der Muth, der Stolz einer ganzen Nation eine so echte und gerechte Stärkung findet. Und so treten wir denn auch mit unseren Lesern an dasselbe hinan und legen mit ihnen gemeinsam den Kranz der Verehrung und treuer Volksdankbarkeit auf die Stätte, die fortan eine geweihete für das ganze deutsche Volk ist und für seine Glieder um die ganze Erde.

Zu den Zeichen der Mündigkeit unseres Volkes gehört auch Das, daß es seine begabten Geister nicht mehr einzig nach den Leistungen ihres Talents würdigt; es ist strenger geworden bei dem Austheilen der Preise seiner Liebe: es fordert, daß der gediegene Grund ihrer Schöpfungen ein männlicher Charakter, eine freie edle Gesinnung sei. Es huldigt wohl gern in gemüthlichen und friedesicheren Stunden dem Dienst des Schönen, aber es verlangt von den Männern, denen der Geist und das Wort gegeben ist, in der ernsten Stunde die volle Bereitwilligkeit und den vollen Muth zum schwersten und gefährlichsten Dienst, zum Dienst der Freiheit.

Ein solcher Mann war seinen Würtembergern und allen Deutschen, die diesen Namen verdienen, der Johann Ludwig Uhland aus Tübingen, welcher von den 75 Jahren seines Lebens mehr als fünfzig in diesem Dienst gestanden.

Und wie stand er in diesem Dienst! Geht hin und suchet seines Gleichen! – Schon in frühester Jugend war das Volk und Alles, was diesem Volke lieb und heilig ist, der Gegenstand seiner liebenden Forschungen, seiner Studien, seiner ersten dichterischen Verherrlichung. Er angelte nicht nach dem Lob der öffentlichen Tonangeber, unbekümmert um ihr Urtheil öffnete er sein Herz der Begeisterung für seine schöne Heimath, für seines Schwabenvolkes Sage und Geschichte, und so führte er mit der klingenden Leier sein Volk zurück in die Vergangenheit, um es an den Bildern derselben zu stärken für die Kämpfe der Gegenwart. Und das Volk verstand seinen Dichter, es fragte nichts nach dem Achselzucken und nichts nach dem vornehmen Schweigen der gelehrten Kritik, es sang seine Lieder und schwärmte für seine Balladen, lange bevor die Schriftgelehrten sich herbeiließen, in „dem kräftigen, durch und durch deutsch gesinnten Uhland den vollendetsten Repräsentanten des deutschen Liedes“ anzuerkennen, und trotz der absprechenden Urtheile, welche ein Goethe, Heine und selbst Börne gegen den „schwäbischen Dichter“ und seine „politische Poesie“ ergehen ließen.

Das Volk täuscht sich nicht in seinem Gefühl: wie das Kind erkennt es genau Den, der es wahrhaft gut mit ihm meint. So hatte es sich auch in Uhland nicht getäuscht. Als die Zeit des Kampfes nahte, war er es, der seine neue Pflicht, seine Pflicht zum Kampf im Dienst des Volks, so schön verkündete:

„Ich sang in vor’gen Tagen
Der Lieder mancherlei,
Von alten frommen Sagen,
Von Minne, Wein und Mai.
Nun ist es ausgesungen,
Es dünkt mir Alles Tand;
Der Heerschild ist erklungen,
Der Ruf: für’s Vaterland!

Ludwig Uhland, der Patriot und Staatsmann, steht von seinem ersten politischen Auftreten, von dem Kampfe an, der um Würtembergs alte Verfassung im Jahre 1816 begann und dessen Sieg er 1819 mitfeierte, bis zu dem Augenblick der gewaltthätigen Zersprengung des Rumpfparlaments, wo in demselben Stuttgart, in dem er für das Volk sein ganzes Leben lang gestritten, der Säbel eines Söldlings sein Haupt bedrohte, immer und überall da als „ein wahrer Vertreter des Volks, ein fester Freund und Vertheidiger des Rechts, ein eifriger Beförderer einer gediegenen Aufklärung“; – im kleinen Würtemberg begann sein Kampf gegen denselben deutschen Bund, der, als der Tag der großen Abrechnung der Nation mit ihm gekommen schien, sich hinter eine Schirmwand von Märtyrern der Volksfreiheit flüchtete, und zu diesen „Vertrauensmännern“ gehörte auch Uhland; – und wie er einst im kleinen Würtemberg zuerst gerufen: „Auch unsere Kammer zu Deutschlands Ehre!“, so galt im deutschen Parlament sein letzter Ruf der prophetischen Mahnung, das höchste Recht, die höchste Ehre der Nation zu wahren, das Recht der Wahl seines Oberhauptes. „Die Revolution und ein Erbkaiser,“ so donnerte sein Wort in die Halten der Paulskirche – „das ist ein Jüngling mit grauen Haaren! – Verwerfen Sie die Erblichkeit, schaffen Sie keinen herrschenden Einzelstaat, retten Sie das Wahlrecht, dieses kostbare Volksrecht, dieses letzte fortwirkende Wahrzeichen des volksmäßigen Ursprungs der neuen Gewalt! Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Oels gesalbt ist!

Möge die Nation dieses Prophetenwort zur Wahrheit machen! Es verdient, der offen und laut verkündete Wahlspruch im deutschen Nationalkampfe der Gegenwart zu sein – der Nation und ihrem Propheten zu Ehren! Wenn wieder die Zeit kommt, von der einst Uhland sagte: „Ich glaube, daß, wenn der Frühling Sprossen treibt, das alte Laub von selbst abfällt“ – wenn wieder einmal, nach Uhland’s Wort, „Wochen zu Jahrhunderten werden,“ – dann wird das deutsche Volk Das segnen, was Goethe bedauerte, daß „in Uhland der Politiker den Dichter fressen werde“ – dann wird man wieder zu Uhland’s Reden greifen und wird mit Vogt ausrufen: „Auch sie sind ein krystallheller Erguß einer reinen Dichterseele!“ – Die Nation wird den Tausch preisen, der ihr für eine wenn noch so stattliche Anzahl von Gedichten weniger einen solchen Mann mehr gegeben hat. Er hat genug geschrieben, um nimmermehr vergessen werden zu können, und wenn dem deutschen Volk nichts von ihm bliebe, als sein erschütterndes Lied: „Wenn heut ein Geist herniederstiege!“

Heil Deinem Namen, Ludwig Uhland! So lange noch Männer für Recht und Freiheit kämpfen müssen, bist Du ihr treuester Kampfgenosse! So lange noch die Jugend am Altar des Vaterlandes heilige Eide schwört, bist Du ihr Priester! So lange noch Liebe singt und Freude lacht, bist Du der Freund deutscher Herzen! Die Eiche schirme Dein Grab und Rosen schmücken es, und nie mögen an ihm andere als Thränen der Freude und der Begeisterung fließen!

Fr. Hfm.

Für Wilhelm Bauer’s „Deutsches Taucherwerk“

sind äußerst zahlreiche, bedeutende und von Beischriften voll der erfreulichsten patriotischen Aeußerungen begleitete Beiträge angekommen, mit deren Quittirungen wir in nächster Nummer beginnen wollen. Es ist nicht genug anzuerkennen, daß die Nation den zum Theil sehr übelwollenden Berichten über den Verlauf des nationalen Unternehmens mit um so energischerer Theilnahme an demselben entgegnet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_768.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)