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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

der Bequemlichkeit wegen ihre Hüte zu Hause gelassen und sich nur in leichte Umschlagetücher, selbstverständlich auch Kleider, gehüllt hatten. Es wurden Würfel gebracht, und die weiße sowohl als weise Dame, jetzt mit verbundenen Augen dasitzend, sagte einer jeden der hutlosen Jungfrauen, wie viel sie gewürfelt. Nach diesem trat der Geschäftsinhaber, der natürlich diese Fragen gestellt hatte, ab, die Binde fiel gleichfalls ab, und der wichtigste Moment für die Damen erschien, denn es sollte ihnen ihre Zukunft, vor allen der Zeitpunkt ihrer Verheirathung geweissagt werden. In ungefähr ein bis zwei Jahren und etwas darüber hatte zur allseitigen Befriedigung dieses ersehnte Ereigniß einzutreten. Ueberhaupt kamen alle gut weg, nur eine, welche unglücklicherweise die längste, erfuhr noch, daß sie stolz und eitel war, und ich konnte ihr mein ernstes Befremden darüber nicht ersparen. Doch eine wesentliche Lücke blieb noch in der Prophezeiung, und ich mußte daher an die Egeria die Frage richten, ob und wie viel Kinder die Damen in der Ehe zu erwarten hätten. „Das werden die Damen schon selbst merken, wenn es so weit ist,“ erwiderte sie mit classischer Ruhe, und gegen die unwiderstehliche Wahrheit dieses Ausspruchs war nichts einzuwenden. Als nun den glücklichen Heirathscandidatinnen noch für je einen Dreier gedruckte Zettel eingehändigt wurden, worauf noch Alles stand, was „Ihnen hier nicht vor Allen gesagt werden kann,“ gewiß ein mächtiges Anziehungsmittel, begegnete mir beim Ansehen des einen davon noch ein unglückliches Mißverständniß mit dem obenanstehenden Zeichen der Zwillinge, aber auch hier aufgeklärt, konnte ich nun gewiß „vollkommen befriedigt den Schauplatz verlassen“.

Auch für die Gesundheit wird von wandernden Heilkünstlern gesorgt, und die an so vielen Uebeln jetzt krankende Menschheit kann diesen braven Männern nicht genug danken, daß ihr hier die Heilung ihrer Leiden gleich auf der Straße geboten wird. Wen kann ich anders meinen, als die Elektriseure? „Kommen Sie heran, meine Herren,“ so ließ einst ein solcher seine Stimme ertönen, „kommen Sie heran, das ist ja nur ein momentaner Augenblick, und dann ist’s vorbei; das durchzuckt den ganzen Körper und thut ihm wohl!“ Noch wollte Keiner anbeißen. „Nun, einen Neugroschen wird doch wohl Ihr Körper werth sein?“ rief er jetzt dringender. Da trat ein Ehepaar in den besten Jahren heran, die Frau litt am Dickbein, wollte aber nicht mehr am Dickbein leiden. Die Maschine, welche bei der feuchten Luftt gar keine rechte Lust zur Thätigkeit hatte, wurde mit mächtigen Umdrehungen dazu gezwungen, und die würdige Dame, welche ermahnt worden war, die Hand, welche die Kette hielt, ja recht an’s Dickbein anzudrücken, empfing den Schlag mit einer Gelassenheit, welche dem Gedanken an Uebung bedeutenden Spielraum gewährte. Aus Gründen der Gerechtigkeit mußte nun der elektrische Funke noch einmal, d. h. auf dem entgegengesetzten Wege den Körper durchlaufen, und der Gatte, sehr befriedigt über die billige Cur, trat nun ebenfalls heran. Ihm fehlte offenbar nichts, denn er schien Nerven wie Bindfaden und überhaupt eine Hausknechtsgesundheit zu haben, da aber die Befestigung einer solchen für einen Neugroschen auch eine nicht zu verachtende Sache ist, so nahm auch er die Kette in die Hand; seine Gesichtszüge erlitten im Augenblicke des Schlags zwar einige Veränderung, welche, wenn photographisch aufgefaßt, die Aehnlichkeit einigermaßen beeinträchtigt hätte, aber seine Photographie, zu welcher er mit auf den Magen gelegter Hand und starrem, auf den verdächtigen Apparat gerichteten Blick mit großem Erfolg gesessen haben mochte, hing ja gewiß schon längst zu Hause, und unter derselben in Goldrahmen jedenfalls auch sein Wappen, von dem er früher wohl keine Ahnung hatte, dessen Kenntniß und Besitz ihm aber, und zwar auch von einem wandernden Künstler, gegen einen Preis vermittelt worden sein mochte, welcher für die empfangene Gewißheit, daß er von einem altadeligen Geschlecht aus der Ferne abstammt, jedenfalls pöbelhaft gering ist.

Jetzt näherte sich eine Gruppe junger Leute, und einer derselben fühlte das dringende Bedürfniß zum Elektrisiren, aber sein Genosse konnte sich so wenig, selbst nur für einen Augenblick, von ihm trennen, daß er ihn heimlich hinten anfaßte. Doch der blitzesendende Zeus am Drehrade hatte ihn wohl bemerkt. „Du, paß’ uf, da wollen welche umsonst elektrisiren!“ rief er seinem Collegen zu. Das Wort der Trennung wurde gesprochen, und die Schläge des Schicksals fielen nur auf Einen, so gern sie auch der Freund mit ihm getheilt hätte. Eine Junge hatte sich inzwischen vorgedrängt, sah aber nicht wie ein Inhaber von Neugroschen aus; „geh’ nach Hause, mein Sohn, wenn Dich Deine Mutter prügeln will, bist Du sonst nicht da!“ ermahnte ihn der wohlwollende Arzt, und der praktische Junge folgte freudig der Ermahnung. Da ich auch der Sohn einer Mutter war und nur zu lange schon dagestanden hatte, so ersparte ich dem Manne unnöthige Worte und ging.

Wie überall in der Welt Neues auftaucht und das Alte verschwindet, so geht es auch mit vielen wandernden Künstlern. Während z. B. die mit Stereoskopen reisenden Künstler eine neue Erscheinung sind, werden die Kameel- und Bärenführer immer seltener, obgleich sie gerade das Treiben bei den Gelegenheiten, wo sie sich einfinden, sehr wesentlich charakterisiren. In einer langen Reihe von Jahren habe ich nur ein einziges Mal eine vollständige derartige Gesellschaft gesehen. Es gehörten dazu außer den menschlichen Mitgliedern Kameel, Bär, Affen und ein Stachelschwein, und unser Bild führt sie uns in ihrer Vollständigkeit vor. (Das Stachelschwein ist nämlich noch im Kasten.)

Der erste Blick des Eintretenden auf die schwarzlockigen Gestalten, von denen die menschliche Hälfte der Gesellschaft gebildet ward, zeigte sofort, daß die Nation, welche der Welt schon einen Rafael und Titian schenkte, auch diese Künstler gesendet hatte, was am besten die schnöde Bedauptung widerlegte, daß Italien nicht mehr an der Spitze der Kunst marschire, wie dies bekanntlich jeder noch in den Windeln liegende Franzose mit der Civilisation zu thun längst gewohnt ist.

Gerade bei meinem Eintritt war der Bär (nach dem Fibelvers bekanntlich am grausamsten, wenn er vom Honigbaum herkommt) noch dabei, sein Quantum abzutanzen. Zwar erinnerte sein gemessener Schritt etwas an das „schwerwandelnde Hornvieh“ des guten Homer, aber die sentimentale Neigung des Kopfes nach seinem Chef zeigte doch eine gewisse Grazie.

Es wäre vielleicht hier der Ort, über den Cursus zu sprechen, welchen der Bär zur Erlernung seiner Kunst einem on dit zufolge durchzumachen hat, und welcher einfach darin besteht, daß man ihn auf eine mehr als warme Platte stellt und ihn dadurch zwingt, die Füße abwechselnd zu heben. Da aber kein Grund denkbar ist, warum der Bär dazu sich gerade auf die Hinterfüße erheben soll, indem die Abwechslung von vier Füßen doch günstiger bliebe, so erlaube ich mir an der ganzen Sache zu zweifeln; zu meinem eignen Bedauern freilich, denn man muß dann zugleich auf die Erwägung verzichten, ob nicht vielleicht eine Nutzanwendung dieser Unterrichtsmethode auf das menschliche Geschlecht anwendbar wäre.

Das Kameel stand während des Bärentanzes an einen Pfahl gebunden und hatte auf seinen Höckern ein Paar Affen sitzen. Dies waren indeß keine rohen Affen, wie sie ungebildeter Weise in den tropischen Wäldern hausen, nein, diese Affen waren, was ihre sorgfältige Ausrüstung, ihre militärische Disciplin und ihre Zahl anbetraf, das lebhafte Bild mancher kleinen deutschen Armee. Da die Zeit für die militärischen Uebungen noch nicht gekommen war, so beschäftigte sich der General in landesväterlicher Fürsorge mit der Reinlichkeit seiner Armee, und zwar eigenhändig, da ihm dies die beste Bürgschaft für das Gelingen war. Dafür nahm er dann natürlich gleiche Dienste von seiner Armee in Anspruch.

Als nun aber der Ruf der Pflicht erscholl, da verwandelte sich die Scene; zwar der Leierkasten tönte unermüdlich fort, aber die Armee bekam ein ganz anderes Ansehen: sie wurde, ich weiß nicht zum wie vielsten Male, mobil gemacht. In kecker Haltung saßen die Krieger auf ihren Reitthieren, die Lenden mit dem blechernen Säbel gegürtet. Nachdem der Generalissimus mit einiger Mühe seinen Säbel aus der Scheide gezerrt, begannen die Exercitien. Mit eingekniffnem Schwanz und hängendem Kopf trabten die Hunde einher, einen scheuen Blick auf die drohende Peitsche des Chefs gerichtet, welcher mit donnernder Stimme das Commando erschallen ließ. Bei den Exercitien im Feuer warf zwar der Gemeine, wenn das Zündhütchen knallte, regelmäßig das Gewehr weg, dies vergrößerte aber nur den Effect auf die Zuschauer, und so hütete man sich, ihm das abzugewöhnen. Um nun auch an die heitere Seite des Soldatenlebens, wie es das Lagerleben vielfach bietet, zu erinnern, wurde dem Generalissimus jetzt eine kleine Geige gereicht. Mit fabelhafter Geschwindigkeit, in grellen Absätzen unterbrochen, trug er ein Stück Zukunftsmusik vor, wie man es nicht unverständlicher wünschen konnte, wobei er aber selbst, im Gegensatz zu den meisten Virtuosen, ganz gleichgültig und ungerührt aussah.

Als nun die Truppen in ihre Cantonnirungen zurückgekehrt waren, so mußte noch das Kameel einen Rundgang machen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_102.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2018)