Seite:Die Gartenlaube (1863) 110.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


geleiteten, wo dann bis spät in die Nacht ein musikalisches Ständchen mit dem andern abwechselte. Kein geliebter Fürst, kein großer kriegerischer oder politischer Befreier dürfte eines allgemeineren Empfangsjubels, der so ganz und recht aus dem Herzen kommt, sich berühmen können. –

Nun, und wie bewegt sich dieser Mann denn sonst im geselligen Verkehr? Auf eine so liebenswürdige Weise, daß er für alle Cirkel, die nur irgend seiner habhaft werden können, als das willkommenste Mitglied gilt. Daß ein Mann von seiner geistigen Rührigkeit auch mit einer guten Dosis Witz und Humor begabt sei, wird man naturgemäß finden. Er ist ein vortrefflicher Erzähler, überhaupt der unterhaltendste Gesellschafter, aber sein Scherz ist stets harmlos, sein Witz nie persönlich wehthuend. Und geschieht es auch einmal – was wohl mitunter ihm passirt und worüber die Grämlichen schon des Oefteren Zeter geschrieen – daß er sich von der Heiterkeit des Augenblicks zu weit fortreißen läßt, ein wenig über die Grenze der pastoralischen Würde hinaus, so darf man mit Recht ein Wort Goethe’s über Lessing auch auf ihn anwenden. Goethe sagte nämlich einst in Bezug auf Lessing’s heftige Ausfälle gegen Götze: „Ja, Lessing darf in der Diskussion mitunter sogar so derb werden, daß er auf Augenblicke selbst die persönliche Würde von sich wirft, weil er der Mann ist, dieselbe jeden Augenblick wieder aufgreifen zu können.“ Dasselbe gilt von Bödeker. Als dahin gehörig sei hier unter Andern nur erwähnt, daß, wenn er auf der Straße einen Jungen antrifft, der den vor seinen Wagen gespannten Hund mißhandelt, er, als Präsident des Thierschutzvereins, nicht Anstand nimmt, den Jungen eigenhändig mit seinem Stocke durchzuhauen. Ebenso ist es bei ihm in der Ordnung, wenn er ein schwaches Kind auf der Straße Wasser holen sieht, ihm das Einpumpen zu besorgen, und wenn ein Hausknecht den Karren nicht über’s Trottoir bringen kann, mit in’s Rad zu fassen, oder wenn ein stätisches Pferd nicht anziehen will, mit nachzuhelfen; sowie er auch auf der Straße in derselben Minute dem Minister und gleich hinterdrein dem Arbeiter die Hand schüttelt.[1]

Einige pikante Einzelzüge, wovon es in Hannover eine ganze Anekdoten-Geschichte giebt, von denen wir aber nur einige uns gerade erinnerliche hier geben, werden das Bild dieses seltenen Mannes zu vervollständigen dienen.

Wie wenig er sich z. B. aus der Etikette macht, erfuhren wir einst in einer Gesellschaft, wo ein Fremder den vielgenannten Pastor Bödeker anwesend weiß und neugierig ist, ihn kennen zu lernen. Der Fremde bittet einen der Anwesenden, ihm denselben zu zeigen. „Das brauche ich nicht,“ sagte der Angeredete, „der formloseste Mensch, den Sie hier treffen, das ist der Pastor Bödeker.“ Und alsbald hatte der Fremdling ihn herausgefunden und stellte sich ihm vor.

„Darum bleibe ich doch immer Pastor Bödeker,“ sagt er, und wenn er auch mal Abends einem angetrunkenen Bürger den Arm reicht, ihn „wegen plötzlichen Schwindels“ gütig nach Hause zu führen.

Als er einmal in einer Versammlung behufs Gründung eines Vereins für einen Humanitätszweck zum Secretair gewählt wurde und ein Mitglied der Gesellschaft seitwärts äußerte, er hätte zum Präses gewählt werden müssen, erwiderte ein Dritter: „Macht ihn in Gottes Namen zum Schwanz; bei seiner Thätigkeit, Einsicht und Liebe wird er von selbst schon der Kopf werden, und auf den äußerlichen Rang kommt’s ihm ja nicht an.“

Entlassene Sträflinge oder solche, deren Entlassung bevorsteht und die die Absicht haben, sich zu bessern, wenden sich persönlich und brieflich an ihn, mit seiner Hülfe eine neue ehrliche Existenz zu gewinnen. – Dem unverschuldet bankerott gewordenen Miethskutscher schießt er 200 Thaler vor, um wieder zu miethkutschern, einem Schmied desgleichen kauft er Hämmer, Ambos und Blasebalg etc., um wieder zu schmieden. – Dem (wegen Trunks) abgesetzten Schulmeister verschafft er bei einem befreundeten Gutsbesitzer eine Hauslehrerstelle in der einsamen Haide, wo er keine Gelegenheit zum Kneipen hat und sich so des Branntweins entwöhnt, und sorgt schließlich für Wiederanstellung des Gebesserten im Staatsdienste. Einst begegnet ein verzweifelnder Familienvater auf seinem Pfade zum Wassertode einem Mitbürger und erklärt demselben auf Befragen, er wolle sich ersäufen. Da fagt der Letztere: „Dann sprich doch aber erst mit dem Pastor Bödeker!“ Der Mann gehorchte, und Bödeker sorgte für ihn und seine Familie, und noch jetzt segnen sie Alle den lieben Mann.

Wir sind damit zum Schlusse unserer Skizze gediehen, die hoffentlich dereinst eine stärkere Feder und mit mehr Muße zu einer vollständigen Biographie ergänzt. Im Uebrigen war es uns nicht darum zu thun, dem Manne einen Panegytikus zu halten; er selbst bedarf dessen nicht und lechzt nicht darnach. Beweis ist, daß noch die Artikel der Art über ihn in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen, wo doch Hunderte von anderen Personen, die ihm nicht bis an die Sohle reichen, sich haben illustriren, biographisiren und glorificiren lassen. Er würde fortfahren zu handeln, wie er handelt, wäre und würde auch nie ein Wort der öffentlichen Anerkennung über ihn gedruckt. Um seiner selbst willen brauchten wir also nicht zu, schreiben; aber es geschah um der Andern willen. – Denn das Wort des Historikers Johannes von Müller aus seiner Gedächtnißrede auf einen großen Todten ist von unumstoßlicher Wahrheit: „Eroberungen können verloren gehen, Triumphe kann man streitig machen. Aber der Ruhm und der Vortheil, den das Beispiel gewährt, sind unzerstörlich, unverlierbar. Der eine bleibt seinem Urheber eigenthümlich, der andere zugesichert allen Denen, die ihm nachahmen. – Wenn eine solche Lobrede, wie die hier gehaltene, keiner Künste bedarf, um die Theilnahme großer Seelen zu wecken und die Schwachen tröstend aufzuhalten, die im Begriff sind, sich selbst aufzugeben, dann ist die Weihe vollbracht; ein solcher Mann gehört, wie die unsterblichen Götter, nicht einem gewissen Land, nicht einem gewissen Volk – diese können veränderliche Schicksale haben – der ganzen Menschheit gehört er an, die so edler Vorbilder bedarf, um ihre Würde aufrecht zu erhalten.“

Dr. Wilhelm Schröder.


Leibnitz und die Stiftung der Berliner Akademie.

Es war im Herbste des Jahres 1697, daß die geistreiche Sophie Charlotte bei der Tafel ihr Bedauern äußerte, daß in einer solchen Stadt wie Berlin kein eigener Kalender erscheine, kein Astronom und keine Sternwarte zu finden sei. Der bei Tisch anwesende Hofprediger Jablonski beachtete sogleich diesen Wink und hinterbrachte dem damals noch am preußischen Hofe allmächtigen Oberpräsidenten von Dankelmann den Inhalt des Gespräches. Dieser faßte sogleich den Gedanken mit Eifer auf und versprach verläufig für die Errichtung einer Sternwarte Sorge zu tragen. Auch der berühmte Philosoph Leibnitz in Hannover, welcher mit Sophie Charlotte in fortwährender Verbindung stand, interessirte sich lebhaft für die Wünsche seiner fürstlichen Freundin. Er schrieb deshalb an einen Freund in Berlin: „Kann ich bei dem Allen mit meinem geringen Rathe etwas beitragen, so werde ich es von ganzem Herzen thun. Denn alle meine Blicke sind seit langer Zeit nur auf das allgemeine Beste gerichtet; und ich mache mir aus dieser Pflicht meine ganze Freude. Frankreich hat, unter uns gesagt, jetzt größtentheils ziemlich mittelmäßige Leute in den Wissenschaften. Wenn wir die Deutschen auf den Weg bringen können, so werden sie darin vielleicht ganz Europa die Spitze bieten.“


  1. Und selbst den geselligen Verkehr in engerem Kreise beutet er auf das Schönste für seine Wohlthätigkeitslust aus. Um sogar seiner körperlichen Rüstigkeit sich nicht allein zu freuen, stiftete er einen „Norddeutschen Morgenpromenadenbeförderungsverein“. Die Mitglieder desselben wandern jeden Morgen, Winter und Sommer, in rechter Frühe nach dem sogenannten Lister-Thurme, um da gemeinsam ihr Frühstück zu nehmen und dann frisch gestärkt an ihre Tagesarbeit zu gehen. Kommt aber mit der Weihnachtszeit, wie nun seit 20 Jahren, von Hildburghausen her Friedr. Hofmann’s „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ in Bödeker’s Hände, so verwandelt er rasch die Promenadenvereinler in eifrige Christbescheerungsväterchen. Die (60–80) Exemplare sind rasch und stets einträglich verkauft, und am Christtagmorgen wandelt mit den alten Herren eine ausgewählte Schaar armer Kinder mit zum Lister-Thurme. Und wenn dort die Kleinen durch des Herrn Pastors Fürsorge, mit Kaffee und Kuchen sich aufgewärmt haben und die jungen Herzen in die rechte Verfassung gebracht sind, so werden sie unter den strahlenden Christbaum geführt, singen Weihnachtslieder, empfangen die Gaben der Christfestfreude und ziehen auch als glückliche Kinder wieder von dannen. Das nennt dann Bödeker die heiligen Weihestunden seines Morgenpromenadenbeförderungsvereins.
    D. R.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_110.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)