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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Mentel, im Lichte des Heerdfeuers stehend, rechtfertigte die Bewunderung des Malers. Er war groß und schlank, von anscheinend nicht sehr kräftigem, aber sehnigem Gliederbau. Das Gesicht hatte etwas von Kordel’s südlicher Färbung, aber es war angenehm geröthet, und das pechschwarze krause Haar wie die dunklen Augen ließen vermuthen, daß die Gemüthsart der äußern Erscheinung nicht widersprach. Er that, als ob er die Frage und das Staunen des Malers gar nicht beachtete, warf den Rucksack ab und lehnte den Bergstock in die Ecke, aber ohne den Blick von Evi zu verwenden. Er wollte die Antwort, die doch kommen mußte, auch in ihren Mienen lesen. – Evi stand am Heerd, hatte den darüber hängenden Kessel bei Seite gedreht und Holz zugelegt, daß die Flamme hochauf prasselte; es war nicht zu unterscheiden, ob es Reinthaler’s Frage oder der Wiederschein des Feuers war, was ihre Wangen so glühend färbte. „Ich hab’ keinen Schatz,“ rief sie, „und das ist der Sohn von meinem Dienstbauern!“

Mentel, der in der Ecke an der Fensterbank niedergesessen war, drehte grimmig an seinem Schnauzbart und lachte eigenthümlich vor sich hin. Es konnte dem Maler nicht entgehen, daß das Lachen einige Beziehung auf ihn haben müsse. Er blieb vor ihm stehen.

„Was lachst Du, guter Freund?“ sagte er. „Mir scheint, meine Gegenwart ist Dir nicht angenehm?“

„Angenehm!“ lachte Mentel wie zuvor. „Ich hab’ mir nur Eure Schuh betrachtet, wo die Inwohner zum Fenster ’raus schau’n, und da hab’ ich lachen müssen über die Herrischen, die’s drunten im Thal und drinnen in der Stadt viel angenehmer haben, als bei uns! Das weiß unser lieber Herr-Gott, was so ein Maler auf den Bergen herumzusteigen hat!“

„Ich hoffe allerdings,“ sagte Reinthaler mit würdigem Ernst, „daß unser lieber Herr-Gott davon weiß, warum ich auf den Bergen herum steige. Sind sie nicht geschmückt mit auserwählter Schönheit? Bleibt nicht die Erde und ihr Kummer unten in der Tiefe? Ist man nicht näher am Himmel und an der Unendlichkeit? Meinst Du, das sei für Euch Bauern allein? Glaubst Du, wir Herrischen verstehen das nicht auch? Weil aber nicht Alle von uns so hoch hinauf steigen können, laß’ ich mir die Mühe nicht verdrießen und male, was ich sehe, damit die Andern sich auch an Gottes Herrlichkeit mitfreuen und das mitempfinden können, was Einem durch’s Herz geht bei ihrem Anblick!“

Evi trat hinzu und gab dem in Eifer Gerathenen die Hand. „Das ist schön von Euch, Herr Reinthaler,“ sagte sie, „mit dem stützigen Trutzkopf da müßt Ihr Euch gar nit einlassen – mir aber, mir müßt Ihr’s nachher noch zeigen, was Ihr wieder Schönes gemalen habt …“

„Es ist nicht viel,“ entgegnete Reinthaler. „Ich will den blauen Eis-Gletscher malen … aber es ist Alles so groß und gewaltig, das Licht ist so wundervoll, und das armselige Papier so klein, unsere Farben sind so matt … wollte man die Wirklichkeit wiedergeben, man müßte den Pinsel in die Abendröthe tauchen können …!“

„Ja, ja,“ lachte Evi, die sich wieder am Heerde zu schaffen machte und die Pfanne mit dem prasselnden Schmarrn über die Flamme hielt, „der liebe Gott laßt sich halt nit in’s Handwerk pfuschen! Ich hoff’ aber, Ihr werdet drum nicht den Appetit verlieren und meiner Kocherei Ehr’ anthun – ich bin bald fertig damit. Setzt Euch nur daweil’ und holt Euch die blechenen Löffel dort vom Gestell herunter!“

Mentel und Reinthaler folgten der Einladung; sie nahmen Platz auf der hölzernen Einfassung des Heerdes und führten eben die Löffel nach der dampfenden Schüssel, als Zuruf von der Thüre her sie unterbrach.

„Darf man vielleicht auch mithalten?“ rief eine rauhe Stimme über das geschlossene Halbgitter der Thür herein, und ein schmales schwarzbärtiges, verwegen geschnittenes Gesicht wurde in derselben sichtbar. „Grüß’ Gott, Herr Reinthaler, kommen wir da wieder zusammen?“

„Nur herein, Jäger-Gaberl!“ erwiderte der Maler. „Es wird wohl für uns Alle langen!“

„Und einen Platz auf dem Heu wird’s auch geben,“ sagte der Eintretende. „Was meinst, Evi?“

„Mir liegst gut droben im Heu!“ erwiderte das Mädchen, während der Jäger etwas abgewendet die Waidtasche abnahm, über den Stutzen hing und Beides neben der Thüre an die Bank lehnte. „Ein elender Hundsweg da vom Hochkaltern herunter! Ich kann doch sonst was vertragen, aber ich spür jedes Bein’l im ganzen Körper,“ fuhr er dabei fort. „Hab’ einen Wilddieb auf dem Korn gehabt und hab’ ihn scharf hineingesprengt in’s Gewandt, in der Zwielichten aber …“

In diesem Augenblick wandte er sich um, erblickte Mentel, der ihm bis dahin durch den Maler und Evi verdeckt gewesen war, und sprang mit einem raschen Satz bis an die Thüre zurück. Ebenso schnell hatte er den Stutzen ergriffen und schrie, die Hände am Schloß, um den Hahn zu spannen: „Himmelsacrament, Wilddieb, verfluchter, wie kommst Du da herein?“

„Geht’s Dich was an, Jager?“ rief Mentel entgegen, der sich in die Ecke gestellt hatte, in welcher sein Bergstock lehnte. „Sorg’ lieber, daß ich nit den Stiel umkehr’ und frag’, wie Du herein kommst! Der Scharten-Kaser gehört dem Bühelbauern von Schwarzeck – das ist mein Vater, also bin ich da in meinem Eigenthum!“

„Sei mir nit so frech, Kerl,“ eiferte der Jäger, „ich leid’s nit! Noch ein Wörtl, und ich sag’ Dir, wer heut’ den Zwölfender geschossen hat, droben am Hochkaltern! Meinst, ich hätt’ den Wilddieb nit durch die Boschen und Latschen schlupfen sehn? Kein anderer Mensch ists gewesen, als Du mit Deiner grauen Joppen … mach’ nur noch einen Schnaufer, so verarretir’ ich Dich!“

„Aber Gaberl,“ rief Evi, indem sie begütigend dazwischen trat, und auch Reinthaler gab dem Erzürnten gute Worte, ihn zu besänftigen. Mentel aber stand kaltblütig in einer Ecke und hatte den Bergstock ergriffen. „Probir’s einmal, Grünling, wenn Du Schneid’ hast … beim Verarretiren müssen Zwei dabei sein!“

„Gleich legst den Bergstock weg!“ schrie der Jäger, sich von den Friedensstiftern losmachend. „Ich hab’s schon gehört, daß Du einen Stutzen zum Abschrauben hast … her mit dem Stock! Gewiß steckt der Lauf drinnen – ich muß ihn visitiren!“

„Visitiren laß’ ich meinen Stock nit!“ rief Mentel und schwang denselben, so hoch es die Decke der niedrigen Hütte gestattete. „Aber verkosten kannst, wie er ausgiebt!“

Drohend standen sich die ergrimmten Gegner gegenüber, als Evi sich wieder dazwischen warf und, nachdem die Bitte nicht gefruchtet hatte, es mit ernsten Worten versuchte. „Stell’ Deinen Stock ins Eck, Mentel!“ rief sie befehlend. „Und der Jäger legt den Stutzen weg und giebt Ruh’ oder er geht wieder hin, wo er her’kommen ist! Wenn er dem Mentel was will, kann er ihn morgen finden … aber in meinem Kaser da leid ich keine Streitereien und da bin ich der Herr im Haus – Verstanden?“

Mit lächelndem Wohlgefallen betrachtete der Maler das Mädchen, wie es unerschrocken zwischen den Männern stand, und wie diese wirklich nicht zögerten, sich ihrem gebieterischen Worte zu fügen. Wie mechanisch stellte Gaberl den Stutzen zurück, nachdem Mentel ebenfalls den gefährlichen Stock abgelegt hatte. „So,“ sagte Evi dann begütigt, „jetzt setzt Euch wieder und laßt den Schmarrn nit kalt werden!“

(Fortsetzung folgt.)


Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.

Nr. 5.0 Nicolaus Lenau.


„Wildverwachsne, dunkle Fichten,
Leise klagt die Quelle fort:
Herz, das ist der rechte Ort
Für dein schmerzliches Verzichten!“

Dieses „schmerzliche Verzichten“ begleitete den Dichter wohl durch sein ganzes Leben, dessen größter Theil zu einer Passions-Geschichte wurde. „Sinnende Melancholie“ drückte ihr unheilvolles Siegel schon dem Knaben auf die Stirn und führte den Mann zuletzt in jene geistige Oede und Zerrissenheit, welche uns Alle einst erschütterte. Nicht mit Unrecht nannte ihn daher Justinus Kerner den deutschen „Byron“, der einer der größten, aber auch unglücklichsten Dichter Englands war. Lenau ist der Dichter des Weltschmerzes – aber nicht jenes, der neben Thränen und Seufzern „die Welt vom Moquirstuhle des Satirikers als eine große Komödie

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