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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und die Juden hatten unter seiner schützenden Hand ungestörte Freiheit, die unglücklichen Würtemberger zu schinden und auszubeuten. Alles war unter der Judenregierung käuflich; Titel, Aemter und Rang wurden öffentlich versteigert; auf alle Gewerbszweige wurden Steuern gelegt, selbst auf das Geschäft der Schornsteinfeger. Alle Processe kamen vor den Fiscalgerichtshof, dessen Präsident er war. So versank das Land allmählich in eine Tiefe des Elends, von der man sich heutzutage kaum eine Vorstellung machen kann. Wir wissen in der That nicht, worüber wir am meisten staunen sollen – über den im Grunde edlen Fürsten, der sich so von einem Schurken betrügen lassen konnte, oder über das Volk, das Alles dies ertrug und sich durch seine ekelhafte Kriecherei gewissermaßen zum Mitschuldigen machte.“

Seinem jüdischen Charakter getreu, fuhr er fort in Gold, Juwelen und Silber zu handeln und gewann durch seine geschickte Behandlung der Finanzen des Herzogthums große Summen. Seine Verschwendung in Equipagen, Dienerschaft, Maitressen und Luxus aller Art war ungeheuer; gleichwohl wurden alle seine Excesse geduldig ertragen bis zum Tod des Herzogs 1737. Dann trat die Kehrseite seines Schicksals hervor. „Alle Juden wurden jetzt arretirt, verhört, durchgepeitscht und dann vom Pöbel durch die Straßen gehetzt. Der Jude Süß selbst konnte nur mit den größten Schwierigkeiten der Wuth der Bevölkerung entzogen und als Gefangener auf den Hohenasperg gebracht werden. Anfangs war er unverschämt und nahm einen hohen Ton an, aber seine Kühnheit verließ ihn bald und er machte verschiedene Male Selbstmordversuche. In der Hoffnung, seine Lage zu verbessern, gestand er endlich, daß er das Vertrauen seines Herrn mißbraucht, die Gerechtigkeit gefälscht, Betrug und Erpressung begangen habe, und bot sein Vermögen, das von ihm selbst auf 400,000 Gulden geschätzt wurde, sich aber in der That weit höher belief, als Entschädigung an. Als er bemerkte, daß seine Richter sehr aufgebracht gegen den verstorbenen Herzog und die Herzogin waren, bemühte er sich niederträchtiger Weise, die Schärfe der Anklage auf seine Beschützer fallen zu lassen. Die ganze Untersuchung wurde übrigens mehr im Geiste des siegreichen Parteiübermuths als der unparteiischen Gerechtigkeit geführt. So z. B. wurde Süß gezwungen, die Namen aller der Damen zu nennen, welche sich zu gütig gegen ihn bewiesen hatten; und die Zahl dieser schwachen Schönen war so groß, daß der Gerichtshof in Anbetracht der Unmöglichkeit, Alle zu bestrafen, beschloß, sich mit einem Opfer zufrieden zu geben.“ Nach welchem Grundsatze dies eine Opfer ausersehen wurde, oder ob vielleicht die schwachen Schönen genöthigt waren, das Loos zu ziehen, wird leider nicht mitgetheilt. Wegen Unterschlagung, Fälschung und Hochverraths wurde er zum Tode verurtheilt. In der kurzen Zwischenzeit zwischen Urtheilsspruch und Execution stritten sich ein katholischer und ein lutherischer Priester um seine Seele; er wurde unablässig mit dem Taufbecken verfolgt, obgleich er auf den Knieen darum bat, ihm diese beleidigende Verfolgung zu ersparen. Zu seiner letzten Mahlzeit erhielt er Speisen, deren Genuß ihm von seiner Religion versagt war. Auf dem Schaffot leistete er einen so gewaltsamen Widerstand, daß es nöthig war, ihn zu binden. In ein reichgesticktes Scharlachgewand gekleidet, wurde er an einen 50 Fuß hohen eisernen Galgen gehängt, – denselben, an welchem eine andere Berühmtheit unseres Werkes, der Geldmacher Honauer, im Jahre 1597 seinen Tod gefunden hatte. Der Volksunwille hatte jedoch schon vor seinem Tode eine Wandlung erlitten und wurde durch die Strenge der Strafe vollends besänftigt. Von seinen eigenen Glaubensgenossen wurde er als Märtyrer betrachtet; die große Synagoge von Fürth erklärte ihn für einen Heiligen, dessen Todestag zu allen Zeiten gefeiert werden müßte. „So“ – schließt der Verfasser – „machte der blinde Haß der Stände einen Heiligen in Israel aus einem frivolen, sinnlichen, betrügerischen Abenteurer, welcher der Fluch Würtembergs gewesen war.“

Wir empfehlen das Studium dieser und ähnlicher Beispiele des Abenteurerthums, von denen sich in Hrn. Wraxall’s Buche eine große Auswahl findet, allen denjenigen, welche die Kleinstaaterei als ein wünschenswerthes und unantastbares Resultat der „geschichtlichen Entwickelung“, der deutschen Eigenthümlichkeit und des deutschen Geistes hinzustellen pflegen. Auch Johann Kalb und die Scene in „Kabale und Liebe“, welche Schiller seinen Memoiren entnommen zu haben scheint, wird vom Verfasser in seinem Panorama berühmter Abenteurer vorgeführt. Wir meinen selbstverständlich die Scene, in welcher Lady Milford erfährt, daß die Juwelen, welche ihr fürstlicher Liebhaber ihr zum Geschenk macht, mit Blutgeld gekauft worden seien. Der Prinz war der Markgraf von Ansbach-Baireuth und die Dame Lady Craven, welche später Markgräfin wurde. Die Welt hat längst ihr Urtheil über diesen Seelenhandel gefällt, der von dem Genius Schiller’s in so ergreifender Weise für alle Zeiten geächtet worden ist. Daher ist es ziemlich auffallend, daß ein Potentat, der so ängstlich bemüht zu sein scheint, sich einen Charakter zu gründen, wie Louis Napoleon, neuerdings ein ähnliches Geschäft entrirt haben sollte. Das schwarze Contingent, welches der Pascha von Aegypten für den mexicanischen Krieg geliefert hat, wurde wie eine Viehheerde verkauft und gegen den Willen der überrumpelten Schwarzen eingeschifft und zur Schlachtbank geführt.

Es fehlt uns an Raum, um weitere Auszüge aus dem reichen Inhalte dieses interessanten, auf einem ausgedehnten Quellenstudium beruhenden Werkes zu geben. Wir wollen daher zum Schluß die bereits oben angedeutete Moral, die von all den mitgetheilten Abenteurerbiographien bestätigt wird, nochmals kurz zusammenfassen. Sie läßt sich auf folgende Punkte reduciren: 1) der glänzendste und scheinbar vollständigste Erfolg des Abenteurers ist von kurzer Dauer, und die sittlichen Grundlagen der Weltgeschichte werden nie ungestraft verletzt; – 2) die Welt ist viel dümmer, als man gewöhnlich glaubt, und „je gröber das Stück, desto größer das Glück“; – 3) die Abenteurer aller Zeiten und Nationen gleichen sich, wie ein Tropfen Wasser dem andern, nicht nur in Charakter und Beweggründen, sondern auch in der Wahl der Mittel, die sie benutzen, „um ihr Glück zu machen“, wie Herr Kinglake sagt.





Uhlandslinde. In der Frühe des ersten Mai hat auf Anregen des Verschönerungsvereins in Stuttgart die Einweihung einer zu Uhland’s Andenken gepflanzten Linde; die, wie die Höhe, auf der sie steht, des Dichters Namen trägt, stattgefunden. Der Liederkranz sang drei Uhland’sche Lieder, ein Gedicht von C. Schönhardt wurde gesprochen, und J. G. Fischer sprach folgende Einweihungsworte:

„Zwischen die Blüthen dieses und des vorigen Frühlings fällt der Schatten eines theuren Grabes. Heute vor einem Jahr klang es durchs ganze deutsche Land von Liedern und Segenswünschen und flatterte von Ruhmeskränzen um das Haupt des geliebten Dichters, der sein fünfundsiebzigstes Wiegenfest beging. Diese Jubelrufe waren nicht ohne Trübung, denn die Sorge durchkreuzte sie, dieses Wiegenfest könnte das letzte sein, das der Gefeierte beging. Das Geschick hat die Sorge wahr gemacht, und wir haben, eben als die Blätter jenes Frühlings herbstlich dahin sanken, Ludwig Uhland in die Erde gelegt. Was Jedem einmal beschieden ist, den schwersten Gang hat die allgemeine Trauer ihn gehen sehen müssen.

Aber auch das, was nur Wenigen, was nur den Auserwähltesten zu Theil wird, ist ihm geworden, die Liebe und die Bewunderung der ganzen Nation. Heute schon zieht die Geschichte eine große Summe von Beweisen, wie er eingedrungen, wie er wirkt, und der erste Frühling nach Uhland’s Tode giebt lautes Zeugniß, welch lebendiger Organismus ihn mit seinem Volk verbindet.

Ja, das Volk, das deutsche Volk ist der Grund und Boden, durch welchen Uhland’s Seele ihr starkes Wurzelwerk schlingt und treibt. Ist er doch recht ein Vorläufer und Bahnbrecher des Gedankens gewesen, dem Hochflug unserer Classiker den schönsten und natürlichsten Canal in’s Volk herab zu öffnen dadurch, daß er, wie selten einer vor ihm, mit dem Auge des Volkes sah, mit dem Munde des Volkes sang, seine Wander- und Frühlingslieder, seine glockenhellen Balladen, sind sie nicht Gewächse, ganz und voll nur aus einem Herzen gezeugt, das an der Lust und Sonne des Volkes großgewachsen? Darum sind sie auch die ganz eigenthümliche, seelenerfrischende, duft- und safthaltige Volksnahrung, darum singt sie das Volk und singt sie wieder, so reich und vielgestaltig der Hall und Schall von andern Vögeln dazwischen klingt; und von Uhland’s Muse selbst könnte der Mund des Dorfes singen: „Ich hatt’ einen Cameraden, einen bessern find’st Du nit!“ Darin liegt es eben, warum Uhland so ganz verstanden ist und bleibt, daß er sich nicht verführen ließ von dem Schallen und Knallen, darnach überreizte und übersättigte Ohren begehren mögen, daß er mit weiser Selbstbeschränkung sein klargegossenes heimathliches Lerchenlied anhub und aufhörte, unbeirrt von dem exotischen Grazioso und Maestoso, das die Salonschläger schwülerer Zonen in die Mode brachten. Diese charaktervolle Selbstbeschränkung ist es, wodurch er groß ist; dieses Insichselbsthineinknieen und Insichselbsthineinhorchen hat ihm seine Wirkung gesichert, von der man tausend Anderen gegenüber sagen kann:

Sie suchen und suchen ohne Ruh’,
Doch der Wahrheit fällt es von selber zu.

Und darum kamen wir heraus, um ihn, der nur die Natur zum Meister genommen, mitten in der Natur zu feiern, die auf ungesuchte Weise, wie er, blühend und herrlich ist. Diesen Baum hat die Dankbarkeit und Liebe seiner Ehre und seinem Namen gesetzt.

Es ist ein echt altdeutscher Baum, der gepflanzt zu werden pflegt am Eingange der Dörfer und Städte, wo die Straßen hineinführen zu Haus und Hütte der Einzelnen und heraus in alles weite Vaterland. So soll Uhland’s Name uns stehen als ein Merkzeichen unlösbarer Verknüpfung aller deutschen Herzen zu einem ganzen und starken Volke.

Einst, wenn unsere Urenkel herauspilgern werden zu diesem Baume, wenn die Vögel und Bienen ihn durchschwärmen, werden sie noch wie wir Uhland’s Lieder singen, werden seinen Namen preisen wie den Walther’s von der Vogelweide – und noch mehr, sie werden sagen: er war ein echter, er war im unbeugsamsten Sinne des Wortes ein ganzer deutscher Mann!

Dieser Zukunft treibe in Stamm und Aesten zu, aufgrünendes Gewächs, eingeweiht von Uhland’s eigenen Worten:

Gesegnet seist du allezeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_320.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2018)