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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Arnold Ruge.
Nach einer Photographie aus dem Jahre 1863.

uns noch die Erhabenheit über das Gesindel, das nur ausschlägt, wenn’s wild wird, aber doch der Allgewalt der Entwicklung weichen muß, die in der Philosophie vornweg genommen wird.“ – Daher später der strenge, unbarmherzige Philosoph Ruge.

Als Hauptvertreter der neuen, sittlich strengen Burschenschaft und des Jünglingsbundes besuchte er, wie gesagt, fast alle Universitäten Deutschlands und der Schweiz. Nie hat Jemand etwas Schlagenderes gegen das Duell gesagt, als Ruge der Student, wie wir’s im zweiten Bande seiner Selbstbiographie finden. Die Polizei verfolgte den Freiheitsgeist der Studenten und diesen sittlichen Ernst der Jugend zu Gunsten landsmannschaftlicher Liederlichkeit und pietistischer Schwanzwedelei Jahre lang und bevölkerte die Gefängnisse größtentheils bei Nacht und Nebel mit immer neuen Opfern.

So ward auch Ruge in einer Januars-Mitternacht 1824 von einem „quäkenden Regierungsrath“ zu Heidelberg „im Namen des Großherzogs“ (nicht des Gesetzes) als Hochverräther verhaftet. Die Thätigkeit der Kamptz und Tzschoppe’s[WS 1] schaffte eine ganze Menge Jünglingsbündler herbei und hielt sie das ganze Jahr hindurch in Untersuchungshaft. Die Meisten wurden endlich zu 15 jähriger Festungsstrafe verurtheilt, darunter Ruge. Nachdem er fünf Jahre lang auf der Festung Coblenz tief und anhaltend studirt und sich sprachlich und philosophisch zu einem Kerngelehrten ausgebildet hatte, wurde er und mehrere Mitgefangene entlassen. Sofort trat er mit dem Geiste der Freiheitskriege wieder auf, er ließ in Stralsund das Trauerspiel „Schill und die Seinen“ veröffentlichen.

In Jena zum Dr. phil. promovirt, arbeitete er vorzugsweise als sehr bald gefürchteter Kritiker mit an den „Blättern für literarische Unterhaltung“.

Wie die Julirevolution von 1830 auf ihn wirkte, werden wir erst ordentlich im dritten Bande seiner Selbstbiographie erfahren. Er ließ sich aber praktisch nicht stören und benutzte die ihm gewordene Erlaubniß, wieder ohne polizeiliches Hinderniß von seiner Arbeit leben zu dürfen, zunächst dazu, in den Franke’schen Stiftungen zu Halle sein Probejahr als Lehrer durchzumachen. Hier, mit der Familie des Kanzlers Niemeyer befreundet, verlebte er glückliche Tage praktischen und poetischen Schaffens. Auf Grund seiner „Platonischen Aesthetik“ wird er Privat-Docent der Universität und verheirathet sich mit Fräulein Louise Düffer, wodurch er zugleich in Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt. Die Honig-Monde werden zu einem Jahre in Italien, besonders in Rom. Dann studirt er in Giebichenstein bei Halle die Philosophie Hegel’s und lehrt sie uns Studenten als Logik, Metaphysik, Politik und Aesthetik bis 1837. Ich war und blieb mit Wenigen ausdauernd sein Zuhörer, und das einzige Heft, welches ich mir je auf der Universität binden ließ, war die Aesthetik von Ruge. Ich und fünf bis sechs Andere, wir hielten’s aus bei ihm. Alle Andern blieben weg; es war ihnen zu starke Kost, vorgetragen in einer streng logischen „reinen Begriffs-Bewegung“, holperig, unbarmherzig, ohne Zeit, sich zu erholen oder es niederzuschreiben. Da saß er auf dem Katheder fest und knorrig, beinahe unbeweglich, hellblond, durchdringend blauäugig, körperlich stark, beinahe massiv, aber ganz unsichtbare, dialektische Gedankenbewegung, ohne Farbe, ohne Fleisch und Blut, ohne Wärme, uns armen Studenten zumuthend, das ganz raum- und zeitlose, ewig schrankenlose Evangelium von der geistigen Freiheit, wie es Hegel in gewaltigen Bänden classisch niedergeschrieben hatte, in unsere freitischgenährten, tabaks- und torfrauch- und bierumnebelten Köpfe aufzunehmen. Es war harte, harte Arbeit für uns.

Als Wirth, Gatte und Vater in seinem Hause (am Franke-Platz mit einem schönen eigenen Garten) stieg er manchmal auf die liebenswürdigste, witzigste Art mitten in unsere Anschauungsweise

herab, sang mit uns Studentenlieder, spielte mit der jungen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Tschoppe's
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_381.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)