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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Dieser kleine vierjährige Künstler war der jetzige Hofschauspieler Theodor Döring in Berlin. Er wurde im Jahre 1805 in Warschau geboren, wo sein Vater das Amt eines königlich preußischen Salzinspectors bekleidete. Durch die nachfolgenden politischen Ereignisse und den unglücklichen Frieden von Tilsit verlor derselbe seinen Posten und mußte sich mit seiner Familie kümmerlich ernähren, bis er in späterer Zeit wieder eine Anstellung erhielt, die es ihm möglich machte, den talentvollen Knaben auf das Joachimsthaler Gymnasium in Berlin zu schicken. Auch hier zeichnete sich der kleine Theodor durch seine dramatische Begabung aus, Lehrer und Schüler nannten ihn nur „den Schauspieler“ oder den „kleinen Roscius“, und bei jeder Festfeier oder öffentlichen Gelegenheit glänzte er durch seine Deklamationen und Vorträge. Sein mimisches Talent entwickelte sich mit den Jahren immer mehr, verursachte ihm aber auch zuweilen manche Unannehmlichkeit. Es fehlte nicht an Strafen und selbst an Prügel von Seiten der Beleidigten, die sich nur oft zu getroffen fanden. Ursprünglich zum Theologen bestimmt, zwang ihn die traurige Lage seiner Eltern, dem Studium zu entsagen und sich dem Handelsstande zu widmen. Er trat als Lehrling in ein Tuchgeschäft, mit dem zugleich eine Weinhandlung verbunden war. Aber Döring war einmal zum Schauspieler geboren und deshalb zum Kaufmann verdorben. So oft er konnte, stahl er sich in’s Theater, um sich von Künstlern wie Beschort, Lemm, Wolff etc. entzücken zu lassen, sein Liebling aber war der berühmte Ludwig Devrient, den er sich zum Vorbild machte. Mit der Zeit wuchs seine Liebhaberei zur wahren Leidenschaft; er wurde Mitglied des Liebhaber-Theaters „Urania“, dieser Pflanzstätte und Wiege manches großen Talents, in Berlin und spielte daselbst in kleinen Rollen, ohne jedoch die Aufmerksamkeit in irgend einer Weise auf sich zu ziehen.

In seinem zweiundzwanzigsten Jahre faßte er endlich den Entschluß, seine kaufmännische Carrière aufzugeben und sich ganz der Bühne zu widmen. Er ging von Berlin nach Bromberg, wo er bei der Gesellschaft des Director Gurray ein Engagement fand. Sein erstes Debut als Julius in dem „armen Poeten“ von Kotzebue fiel jedoch so unglücklich aus, daß der Vorhang sinken mußte, bevor er noch seine Rolle zu Ende gespielt hatte. Döring bekam nämlich das Lampenfieber, eine nicht seltene Krankheit bei angehenden Künstlern, der Anblick des Publicums wirkte vollkommen lähmend auf sein Gedächtniß und seine Bewegungen, das Wort blieb ihm in der zugeschnürten Kehle stecken, und statt zu sprechen, stotterte er vor unbesiegbarer Verlegenheit. Seit diesem traurigen Abende war er die Zielscheibe der Lacher im Parterre, und so oft er auftrat, wurde der Arme mit Spott und Hohn empfangen. Erst nach und nach legte er diese Furcht ab, und es gelang ihm sogar in Thorn, wohin sich die Gesellschaft indeß begeben hatte, als „Portechaisenträger“ in der „Schachmaschine“ durch ein geistreiches Impromptu den ersten Applaus zu gewinnen, der einen wunderbar belebenden Einfluß auf sein niedergedrücktes Gemüth ausübte. Geduldig ertrug er fortan die kleinen Leiden des Schauspielerlebens und seine Armuth, die bei seiner geringen Gage so groß war, daß er mehr als einmal sich hungrig zu Bett legen mußte. Mit vielem Humor erzählte Döring später seinen Freunden, wie er einmal, als er den „Prinzen“ in Körner’s „Rosamunde“ halbverhungert gespielt, noch im Hermelinmantel auf die Einladung seiner Wirthin, einer armen Buchdruckerfrau, sich zu der dampfenden Schüssel mit Kartoffeln gesetzt und sich einmal wieder seit langer Zeit satt gegessen, wobei er die Versicherung zu geben pflegte, daß es ihm nie in seinem Leben besser geschmeckt habe, als an jenem Abend. Die Begeisterung für die Kunst hielt ihn jedoch aufrecht, und sein angeborener Humor ließ ihn nicht verzweifeln.

Mit neun Thalern und sechs Groschen in der Tasche verließ Döring Bromberg und wanderte zu Fuß in grimmiger Decemberkälte nach Breslau, um daselbst ein Unterkommen zu finden. Sein Geld war bald zu Ende und seine Stiefeln so abgelaufen und durchlöchert, daß er sich unmöglich in diesem erbärmlichen Zustande präsentiren konnte. Seine ganze Garderobe bestand in einem abgeschabten, zeisiggrünen Leibrock mit hellen Metallknöpfen und in gelben Nankingbeinkleidern. Zum Glück erinnerte er sich an eine Freundin, die Schauspielerin Carlberg, mit der er zusammen auf dem Uraniatheater in Berlin aufgetreten. Diese streckte ihm einige Thaler vor, welche er zu dem nothwendigen Ankauf von einem Paar Stiefeln verwendete. So ausgerüstet stellte er sich dem Director Bierey vor, der ihm jedoch mit einem Seitenblick auf die traurige Garderobe ein Engagement rundweg abschlug. Seine inständigen Bitten und ein geschickt angebrachter Handkuß bei der Alles vermögenden Frau Directorin erweckten das Mitleid der gutmüthigen Dame und verschafften Döring ein Engagement mit einer wöchentlichen Gage von vier Thalern. Glücklich begab sich derselbe zu dem damaligen Regisseur Herrn Stawieski, der schon damals den Ruf eines ausgezeichneten Künstlers hatte, um sich pflichtschuldigst bei ihm als neuengagirtes Mitglied zu melden. Die ganze Erscheinung und vornehme Haltung Stawieski’s machte einen imponirenden Eindruck auf den armen Döring, besonders aber wirke das Arom des feinen holländischen Tabaks, den der Herr Regisseur aus seiner langen Pfeife rauchte, wahrhaft bezaubernd auf seine Sinne. Mit sichtlichem Wohlbehagen schlürfte er den würzigen Dampf ein, und sein ausdrucksvolles Gesicht verrieth so stark seinen Appetit nach einem ähnlichen lang entbehrten Genuß, daß sein jetziger Vorgesetzter ihm lächelnd eine gestopfte Pfeife anbot, wodurch er ihn in den siebenten Himmel versetzte. Seit jenem Tage wurden Döring und Stawieski Freunde für das ganze Leben, und noch heute erinnern sich Beide, wenn sie in der Weinhandlung bei Luther traulich beim Glase sitzen, lächelnd an diese erste Friedens- und Freundespfeife.

Unter der Leitung des trefflichen Stawieski entwickelte sich Döring’s Talent mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit; er gefiel dem Publicum besonders im Fache der Intriganten und in komischen Rollen. Aber trotz dieser Erfolge und des allgemeinen Beifalls wurde sein Einkommen erst nach drei Jahren um einen Thaler für die Woche erhöht und seine Bitte um eine Verbesserung seiner Lage als eine sträfliche Anmaßung zurückgewiesen. Unter diesen Umständen folgte Döring dem tüchtigen Schauspieler August Haake, als dieser das Theater in Mainz übernahm, dorthin nach mit einer alle seine Erwartungen übersteigenden Gage von 1200 Gulden jährlich. Haake selbst war ein anerkannter Künstler und übte besonders auf Döring einen höchst günstigen Einfluß aus. Ihm verdankte er zum großen Theil seine bessere Richtung und seine höhere Entwicklung, indem ihn Haake durch sein Beispiel und seine Belehrung wesentlich hob und förderte. In Mainz spielte Döring zuerst und mit großem Beifall jene Rollen wie „Schewa“, „Polonius“, „Lanzelot Gobo“ und den „Orgon“ in Molière’s „Tartuffe“, welche den Grundstein zu seinem Künstlerrufe legten. Immer klarer und bestimmter trat sein Talent hervor, immer entschiedener wendete er sich dem von ihm in der glänzendsten Weise vertretenen Charakterfach zu, nachdem er früher ohne Auswahl sich in den verschiedensten Rollen, als Liebhaber, Komiker und Intrigant, wenn auch immer mit Erfolg, versucht hatte und dadurch in die Gefahr gerathen war, sich allmählich zu verflachen. – In Mainz lernte Döring auch die Tochter eines angesehenen Arztes kennen, mit der er sich verheirathete. Leider sollte das Glück dieser Ehe nur von kurzer Dauer sein, da die junge reizende Frau schon nach vier Monaten ihm durch ein nervöses Fieber wieder entrissen wurde.

Um so leichter entschloß er sich, ein Engagement in dem nahen Mannheim anzunehmen, das ihm von dem dortigen Intendanten, Grafen Luxburg, angeboten wurde. Dieser war ein ausgezeichneter Pferdekenner, besaß aber nebenbei einen gewissen theatralischen Instinct, der ihn selten einen Fehlgriff thun ließ, wie auch die Anstellung Döring’s durch ihn bewiesen hat. Zu den Eigenheiten des originellen Mannes gehörte es, daß er nachträglich jeden von ihm engagirten Schauspieler den Mund öffnen ließ, um die Zähne einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, wie er sonst beim Kaufe seiner Pferde zu thun pflegte. Waren dieselben gesund und vollständig, so sagte der Herr Graf in seinem Dialekt: „Ich geb’ Ihne noch 200 Gulde zu, die Zähn’ sein gut.“ – Da Döring noch heute sehr schöne und fast vollzählige Zähne besitzt, so äußerte der wunderliche Intendant seine volle Zufriedenheit mit ihm und legte die gewiß sehr willkommenen 200 Gulden dem erfreuten Künstler zu. In Mannheim gefiel Döring dem Hofe und dem Publicum; wahrhaft Furore machte er aber daselbst in dem Bauernfeld’schen Lustspiele „die Bekenntnisse“ als „Banquier Müller“, eine Rolle, die zu den vorzüglichsten Leistungen der deutschen Schauspielkunst gehört und die er mehr als dreihundertmal in den verschiedensten Städten stets mit dem gleichen Beifall gegeben hat. Kein zweiter Künstler besitzt aber auch wie Döring diese genaue Kenntniß des jüdischen Volkscharakters mit allen seinen Schwächen und Vorzügen, wofür dieser Banquier Müller das glänzendste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_454.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)