Seite:Die Gartenlaube (1863) 456.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Nathan“ in Lessing’s „Nathan dem Weisen“, sein „Shylock“ in Shakespeare’s „Kaufmann von Venedig“, sein „Mephisto“, „Jago“, und vor Allem sein „Tischlermeister Anton“ in Hebbel’s „Magdalena“ reihen sich den vorzüglichsten Schöpfungen des deutschen Theaters an und beweisen die geniale Vielseitigkeit Döring’s.

In der Gesellschaft und im Umgange ist Döring eine der liebenswürdigsten Erscheinungen, ein heiterer, harmloser, stets zum Scherz aufgelegter Camerad, der einen Spaß versteht und gern einen zum Besten giebt, fröhlich mit den Fröhlichen, aber auch betrübt mit den Betrübten und stets bereit die Leidenden zu trösten und nach Kräften ihnen zu helfen. Der Grundzug seines Charakters ist eine fast an Schwäche grenzende Gutmüthigkeit, verbunden mit einer hohen, bei Künstlern aber nicht seltenen Reizbarkeit. Leicht erregt, ist er auch schnell wieder besänftigt und bietet dann gern die Hand zur Versöhnung. Seine Reden klingen zuweilen scharf und verletzend, aber sein Herz weiß nichts von dem, was der Mund spricht. Sein Hang zur Satire, durch sein großes Nachahmungstalent noch gesteigert, artet nie in Bosheit aus, und zuletzt lacht auch der Beleidigte über den stets zutreffenden und nie bös gemeinten Scherz. In guten Stunden und wenn er heiterer Laune ist, gilt Döring mit Recht für den besten Gesellschafter, den man in der Welt finden kann. Solche Abende, wo er beim schäumenden Champagner seinem Humor die Zügel schießen läßt und die Schleußen seiner bezaubernden Heiterkeit öffnet, werden gewiß allen seinen Freunden und Bekannten unvergeßlich sein.

Der beigegebene Holzschnitt, welcher den Künstler in der Rolle des komischen Haushofmeisters „Malvolio“ in Shakespeare’s „Was ihr wollt“ darstellt, ist nach einer trefflichen Photographie des Herrn Hofphotographen Graf in Berlin gefertigt und zeichnet sich eben so sehr durch charakteristische Auffassung als durch sprechende Aehnlichkeit mit dem Künstler aus.

Max Ring.



Ein Verleumdeter.
Von Dr. Ludwig Brehm, dem Vater.

Wer an einem stillen Maiabende durch den lieben Wald geht, begegnet oft genug, gewöhnlich wohl ohne daß er es weiß, einem der sonderbarsten Gesellen aus der ganzen Vogelwelt. Wie ein Schatten huscht in der Dämmerung an ihm Etwas vorüber, leicht und gewandt wie eine Schwalbe, rasch und zierlich wie ein Falk, und ist im Nu, vielleicht mit einer geschickten Wendung hinter einem Baum sich bergend, dem Auge verschwunden. Ich nehme es Niemandem übel, wenn er mir sagt, daß er diesen Vogel nicht kenne. Im Mai giebt es im Walde so viel zu hören und so viel zu sehen! Von den Auwäldern, in denen der Sänger Königin, die Nachtigall, ihr Hoflager aufgeschlagen hat, will ich gar nicht reden, ich habe unseren lieben Nadelwald, den würzigen, duftigen, im Sinne. Gerade ihn, ja gerade seine ärmsten Theile bevorzugt der Schattenvogel, welchen ich meine. Wer in der öden Haide oder auf ausgedehnten Schlägen beobachten will, wird ihn nicht nur sehen, sondern sicherlich auch hören; denn auch ihm wurde Klang und Stimme verliehen. Aber freilich, sein Gesang fällt nur durch seine Eigenthümlichkeit auf, und wenn die Singdrossel oder die Amsel, wenn der Mönch oder die Braunnelle, wenn Rothkehlchen oder Zaunkönig sich hören lassen, da verschwindet des armen Schelms ausdauerndes Flehen um Minne und Minnesold gänzlich dem verwöhnten Ohre. Dennoch kann es kommen, daß der aufmerksame Wanderer plötzlich überrascht stehen bleibt, weil er ein sonderbares Tönen vernimmt, welches ihn lebhaft an das Spinnen unseres Hausfreundes Hinz erinnern will. Lang gezogen und leise, abwechselnd bald wie „Oerrrrrr“, bald wie „Errrrrr“ klingend, tönt es durch den Wald, mit einer Ausdauer, die geradezu unbegreiflich scheint, weil man sich nicht denken kann, wie der eifrige Sänger inzwischen nur zu dem ihm doch unbedingt nöthigen Aufwand von Luft gelangen mag. Man geht, verdutzt fast, den sonderbaren Klängen nach, aber man muß geübt sein, wenn man ihren Urheber entdecken will. Ja, es kann kommen, daß man dicht an ihm vorübergeht, ohne ihn zu bemerken.

Der Vogel, den ich meine, ist aber durchaus nicht so unbekannt, als es nach Vorstehendem scheinen mag. Man berichtet von seinem Leben und Thaten Unglaubliches; man hat ihn schon vor Jahrhunderten in schlimmen Ruf gebracht, und, wie das Böse immer eher geglaubt wird als das Gute, alle Verleumdungen für baare Münze genommen. Ihm, welcher sein ganzes Leben nützlichen Geschäften widmet, wird Schuld gegeben, daß er sich gegen den Menschen und zwar vorzugsweise gegen den Armen sonderbare Eigenthumsvergehen zu Schulden kommen läßt. Das Alles geschah und geschieht einzig und allein aus einem Grunde, welchen sicherlich kein rechtlich Denkender billigen kann. Man urtheilt von der auffallenden Gestaltung unseres Vogels auf sein Thun und Treiben, ohne auch nur den geringsten weiteren Halt für sein Urtheil zu haben.

Viele meiner Leser haben längst errathen, daß mit Obigem ihnen der Ziegenmelker oder Nachtschatten vorgestellt werden soll. Mit diesen beiden Namen wird jener Vogel in den meisten Gegenden unseres Vaterlandes und in den wissenschaftlichen Schriften bezeichnet. Aber er trägt auch noch andere Titel, welche so recht eigentlich von jener ungerechtfertigten Mißachtung Kunde geben, zugleich aber auch von der großen Bekanntschaft, deren sich der Ziegenmelker erfreut. Nicht blos Ziegen-, Geis- und Rindermelker, oder Ziegen-, Kuh- und Milchsauger wird er genannt, sondern auch Nachtwanderer, Nachtrabe, Brillennase, Kalfater, Hexe und Pfaffe, – der verdienten Namen Tagschlaf und Nachtschwalbe nicht zu gedenken. Die Spanier schelten ihn, wie meine Söhne mich berichteten, Hirtenbetrüger, Windvater und Großmaul, und die übrigen Völker geben ihm in diesem Verhältnisse fast sämmtlich eine Menge ähnlicher Titel.

Ein so großer Reichthum an Namen hat stets seine Gründe, wenn auch dieselben nicht immer gerechtfertigt sind. Die Ziegenmelker gehören unzweifelhaft zu den merkwürdigsten Vögeln der Erde. Sie sind dasselbe unter den Schwalben, was die Eulen unter den Raubvögeln sind. Mit diesen Nachtgeistern haben sie das weiche Gefieder, das Sammtartige an den vordern Schwungfedern, die großen Augen und den weiten Rachen gemein. Der letztere aber ist verhältnißmäßig bedeutend größer als bei irgend einem anderen Vogel, und er allein ist es auch, welcher zu so schlimmen Verleumdungen Veranlassung gegeben hat. Der Rachen steht mit dem kleinen, unbedeutenden Schnäbelchen in gar keinem Verhältniß. Er öffnet sich bis hinter die Augen und ist so groß, daß er die Faust eines Kindes in sich aufnehmen könnte. Das Kinnladengelenk steht ganz nahe am Kopfende. Bei einigen Riesen der Familie kann der Rachen geradezu ungeheuerlich genannt werden; er wäre groß genug, um unseren deutschen Ziegenmelker mit Haut und Federn in sich aufzunehmen. Daß dieser Rachen zu den vielen Namen des Thieres und, wie bemerkt, zu den Verleumdungen Anlaß gegeben hat, ist leicht erklärlich. Dem mit dem Leben dieses Vogels nicht Vertrauten ist es undenkbar, wozu das Thier ein so gewaltiges Maul bedarf, und weil die liebe Phantasie ein gar geschäftiges Ding ist und den Verstand, wo sie kann, zu bemeistern und zu überwuchern sucht, mußte der Unwissende natürlich sich eine ihm zusagende Erklärung des Auffallenden ausdenken. Der weite Rachen des Ziegenmelkers ist gerade groß genug, den Strich eines Ziegen- oder Kuheuters in sich aufzunehmen, – der Vogel muß also ein Milchdieb sein; der erschreckte oder gefangene Nachtschatten sperrt entsetzt diesen Rachen vor seinem Gegner auf, so weit er kann, – und der Grund für die Schimpfnamen Hexe, Windvater und Großmaul ist gefunden; die Nachtschwalbe bleibt bei Tag so lang als möglich auf dem Boden liegen; sie wird am öftersten von den Hirten gesehen, deren weidende Schafheerden sie auftreiben; der Hirt versucht das merkwürdige Geschöpf zu fangen und wird betrogen, – hiermit ist ein neuer Titel erklärt. Selbst Humor liegt in der Namengebung. Der Name „Pfaffe“ will wahrscheinlich andeuten, wie viel schon in den Schlund Derjenigen hinabgegangen ist, welche sich Verkündiger des göttlichen Wortes nennen – ich wenigstens könnte mir sonst die Ursache nicht erklären, daß man ein so nützliches Geschöpf „Pfaffe“ schilt. Ueber die übrigen Namen brauche ich weiter nichts zu sagen, die nachstehende Beschreibung wird sie hinlänglich erklären.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_456.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)